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# taz.de -- Kolumne Männer: Stranger than fiction
> Männer und Fußball, das ist ein ausgelutschtes Thema. Es sei denn, man
> ist ein Mann und guckt Fussball.
Fußball ist mir egal. Ich muss mich nicht abhängig machen von
Klischeevorstellungen von Männlichkeit. Warum sollte meine Wochenendlaune
daran hängen, ob eine Mannschaft einen Ball häufiger in ein Netz kickt als
eine andere? Mit dieser Haltung setze ich mich auf meinen Tribünenplatz.
Umgeben von 50.000 Menschen, die die Sache ein wenig anders sehen.
Zwei Schulfreunde haben mich überredet, mitzukommen zum wichtigen Heimspiel
des 1. FC Köln gegen den VfB Stuttgart. Sie zeigen mir, was sie unter einem
gelungenen Samstag verstehen. Einem Männertag.
Meine Freunde sind Männer mit Karrieren, Visitenkarten und ersten
Rückenschmerzen. Nur am Wochenende leben sie für wenige Stunden ein
klassisches Männerbild. Das gegnerische Team wird Projektionsfläche aller
Ängste und Aggressionen: das personifizierte Böse. Das ist natürlich
Unsinn, schließlich spielt man nicht jede Woche gegen den FC Bayern.
Lieder gehören zur Gruppenidentität dazu. Zur Melodie des „Trompetenechos“
– der Polka von Slavko Avsenik und den Original Oberkrainern – singt die
Menge „Pillemann, Fotze, Arsch“. Der Stadionsprecher nennt die
Spielernamen. Traditionell brüllt das Publikum die Nachnamen der
Heimmannschaft. Wenn ich meine Freunde recht verstehe, spielt rechts außen
beim FC ein Mann namens Christian „Hodensack!“. Auf der Außenbahn zum
Einsatz kommt Slawomir „Taxirandalierer!“.
Lange steht es 0:0. Köln kämpft gegen den Abstieg, entweder Hertha BSC
Berlin oder der FC wird dran glauben müssen. Meine Freunde bangen. Ich
denke: Können Männer ihr Herz nicht an Sinnvolleres hängen als an die
Frage, ob eine Mannschaft in der nächsten Saison in der ersten oder zweiten
Liga spielt? Lassen sich Aggressionen und Ängste nicht anders ausleben, als
bei jedem Ballbesitz des Gegners zu schreien: „Lächerlich! Erbärmlich!“?
Was bringt es schon, den Kölner Abwehrspielern aus der 18. Sitzreihe
zuzurufen: „Wat macht ihr so beruflich?“
Und dann schießt Taxirandalierer in der 50. Minute ein Tor. 1:0 für Köln.
Ein Stadion steht auf, die Erlösungssehnsüchte zigtausender Menschen
richten sich für Sekunden aufs selbe Objekt. Auch die eines gewissen
Skeptikers in Reihe 18. Ich bin von jetzt an voll dabei. „Wer soll den denn
gefoult haben?“, brülle ich dem Schiedsrichter zu. „Der Rasen“? Der Schi…
tut, als höre er mich nicht.
Der Rest ist schnell erzählt. Stuttgart wechselt Cacau ein, dafür geht
Julian „Arschloch!“. Cacau schießt den völlig unverdienten Ausgleich. Ein
Trost: Zur selben Zeit verliert die lächerliche, erbärmliche Hertha.
Ich bin selig, als ich den Rückweg antrete, und frage mich, warum. Weil
Männer zwar viele Aggressionen hegen, ich aber lerne, dass deren Ausleben
nicht zwangsläufig zerstörerische Folgen hat? Weil ich mich für kurze Zeit
entlastet fühle vom Zwang zu logischem Denken und Tun? Dann singt die ganze
überfüllte Straßenbahn ihre Version des Tankard-Songs „Eurobbapokal“: �…
fahren nach Moskau! Wir fahren nach Wien! Wir befrein Sad-dam Hus-se-in!“
Da singe ich natürlich nicht mit. Dafür bin ich viel zu heiser.
25 Apr 2012
## AUTOREN
Matthias Lohre
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