# taz.de -- Magazin „Kicker“ im Nationalsozialismus: Mitgeschossen, mitgema… | |
> Eine Studie widmet sich dem Fußballblatt „Kicker“ im Nationalsozialismus. | |
> Sie zeigt, dass der Ballsport immer schon ein politisches Umfeld hatte. | |
Bild: Institution der Fußballschreiberei: Verleihung des Walter-Bensemann-Prei… | |
Seit über 100 Jahren gibt es [1][den Kicker], das wichtigste | |
Fußballfachblatt hierzulande. Er hat also Weimarer Republik, Drittes Reich, | |
westdeutsche Bundesrepublik und vereinigtes Deutschland begleitet und | |
partiell geprägt. Dennoch gibt es, wenn etwa in dieser Zeitung, also der | |
taz, sehr sporadisch außerhalb des Sportteils Texte zum Fußball erscheinen, | |
Leserbriefe, Sport sei unwichtig und unpolitisch: Wer sich tatsächlich für | |
so was interessiere, solle doch den Kicker kaufen. | |
Tatsächlich hat dieses Image des Kicker, es ginge hier nur um Tore, Taktik | |
und Trainer, ihm lange geholfen, unbehelligt über die Runden zu kommen. | |
Unbehelligt etwa ob seiner Rolle im Nationalsozialismus. Umso mehr muss man | |
die aktuelle Kicker-Chefredaktion loben, dass sie die zwei renommierten | |
Sporthistoriker Lorenz Peiffer und Henry Wahlig bat, eine Studie anzugehen. | |
[2][Das Ergebnis liegt in Form eines Sammelbandes mit 20 Autoren und | |
Autorinnen vor]. Gegründet wurde der Kicker 1920 von dem jüdischen | |
Publizisten Walther Bensemann, der den Fußball, diesen aus England | |
kommenden kosmopolitischen Sport, als gesellschaftliches Projekt für ein | |
friedliches Zusammenleben der Nationen verstand. Bensemanns letzte | |
Kicker-Kolumne erschien im März 1933, dort notierte er, dass künftig „die | |
Sportpresse eine mehr referierende als kritische Aufgabe hat“. In der | |
selben Ausgabe ließ Bensemanns Nachfolger, Hanns-Jakob Müllenbach, im | |
Fettdruck eine Huldigung an Adolf Hitler abdrucken. | |
## Täter unter der Lupe | |
Müllenbach, damals 30 Jahre alt und lange Jahre von Bensemann gefördert, | |
war es, der den Kicker im Schnellverfahren von einem | |
demokratisch-pazifistischen zu einem Naziblatt ummodelte. Das zeigte sich | |
auch bei den unmittelbar fußballerischen Themen: Vom englischen | |
Ligafußball, bis 1933 wichtigster Bezugspunkt aller Sportbetrachtung, | |
erfuhr man dann kaum noch etwas, und Länderspielberichte wurden in | |
militaristischer Sprache zu Schlachten gegen England hochgejazzt. | |
Dass in den Jahren 1933/34 etwa 10 Prozent der Journalisten in Deutschland | |
ihre Stellung verloren, gilt auch für den Kicker, etliche flogen raus. Etwa | |
Stella Bloch, eine der wenigen Sportjournalistinnen damals, Tochter des | |
deutschjüdischen Fußballpioniers John Bloch. Ihr, wie auch ihren Kollegen | |
Ludwig Rosenberger, Ludwig Isenburger und Willy Meisl, wird in dem | |
Sammelband ein hochspannendes Kapitel gewidmet, das Petra Tabarelli | |
verfasst hat. | |
Den, wenn man so will, Täterjournalisten, wird auch nachgespürt. Peiffer | |
und Wahlig schildern akribisch das Netzwerk, das ihnen vor und nach 1945 | |
half. In einem Beitrag gehen Thorben Pieper, Christopher Kirchberg und | |
Marcel Schmeer der Entnazifizierung von Kicker-Redakteuren nach. Nach einem | |
von ihnen, Heinz Cavalier, war ab 1986 ein Medienpreis des | |
Leichtathletikverbandes benannt, der erst 2002 umbenannt wurde. Da kam | |
raus, wofür sich in den 1990er Jahren kein Mensch interessierte, dass | |
Cavalier nämlich Nazipamphlete geschrieben hatte. | |
Ob Cavalier oder Bloch – das Sichtbarmachen von lange Verborgenem eint die | |
Texte in diesem Band: Weder dass der Kicker pünktlich ab 1933 ein | |
völkisches Sportverständnis propagierte, war bislang im öffentlichen | |
Bewusstsein präsent, noch dass es Männer und auch Frauen gab, die bis 1933 | |
einen liberalen und kosmopolitischen Blick auf den Fußball pflegten. Wer | |
diesen Sammelband liest, versteht vieles besser: diese Gesellschaft, das | |
NS-System und auch den Fußball und seinen Journalismus. | |
22 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kicker.de/ | |
[2] https://www.werkstatt-verlag.de/buecher/fussballgeschichte/einig-furchtlos-… | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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