| # taz.de -- Historisches Fußballspiel: Als Bayern München spielen lernte | |
| > Vor hundert Jahren trat der FC Bayern München gegen MTK Budapest an. Das | |
| > 1:7 war eine beeindruckende Lehrstunde mit großen Nachwirkungen. | |
| Bild: Wiedersehen: Uli Hoeneß (links) im Spiel gegen MTK Budapest im Jahr 1978 | |
| Am Samstag jährt sich zum hundertsten Male eines der bedeutendsten und | |
| wegweisendsten Spiele in der Geschichte des FC Bayern. Damals empfing der | |
| heutige Rekordmeister auf dem MTV-Platz an der Marbachstraße in Sendling | |
| das Team von MTK Budapest. Mit MTK kam die zu diesem Zeitpunkt beste | |
| kontinentaleuropäische Fußballmannschaft nach München. | |
| Der Klub wurde 1888 gegründet. Viele der MTK-Väter waren großbürgerliche | |
| Juden. Ihre Vision: ein von Diskriminierung freier Sportklub, in dem jeder | |
| die Chance besitzt, seine Disziplin auf höchstem Niveau zu betreiben. Denn | |
| damals waren die Sportklubs der ungarischen Aristokraten für Juden | |
| unzugänglich. | |
| 1905 wurde der Jude Alfréd Brüll, ein Pionier des ungarischen | |
| Sportfunktionärswesens, Präsident des MTK, dem er auch als Mäzen diente. | |
| Die besten jüdischen Kicker des Landes spielten fast ausnahmslos für diesen | |
| Klub. | |
| Bereits vor dem 1. Weltkrieg versuchten einige deutsche Klubs die Qualität | |
| ihres Spiels durch den Import von Wissen aus Ländern zu verbessern, die | |
| fußballerisch weiter waren. Man vereinbarte Freundschaftsspiele und | |
| verpflichtete ausländische Übungsleiter. Zunächst kamen die | |
| Entwicklungshelfer aus dem „Fußball-Mutterland“ England. Nach dem 1. | |
| Weltkrieg waren besonders Übungsleiter aus den Fußballschulen Budapests und | |
| Wiens gefragt. | |
| Die beiden Donaustädte waren mit einem Gegenentwurf zum englischen Spiel zu | |
| kontinentaleuropäischen Fußballmetropolen aufgestiegen. In den | |
| Kaffeehäusern von Budapest, Wien und Prag hatte man um Antworten auf die | |
| englische Überlegenheit gerungen, die vornehmlich auf Kraft und Tempo der | |
| Spieler beruhte. Hier wurde das Spiel erstmals intellektuell diskutiert. | |
| Das Ergebnis war der sogenannte „calcio danubiano“. | |
| Freundschaftsspiele gegen MTK waren so heiß begehrt wie heute Besuche von | |
| Real Madrid oder des FC Barcelona. Dass die Bayern die Ersten waren, die | |
| MTK auf deutschem Boden begrüßen durften, verdankten sie dem | |
| deutsch-jüdischen Fußballpionier Walther Bensemann, der 1920 den Kicker | |
| gründete. Bensemann unterhielt gute Beziehungen zum MTK-Boss Alfréd Brüll. | |
| Am Tag des großen Spiels streikten die Buchdrucker, weshalb | |
| Bayern-Präsident Kurt Landauer pferdebespannte Wagen mit handgeschriebenen | |
| Ankündigungsplakaten durch Münchens Straßen schickte. Die Gäste waren nicht | |
| billig, Landauer fürchtete um die Zuschauereinnahme. Am Ende drängelten | |
| sich über 10.000 Zuschauer an der Marbachstraße, die bis dahin größte | |
| Kulisse bei einem Fußballspiel in München. | |
| Nie zuvor hatte München einen derartigen Haufen brillanter Fußballer zu | |
| sehen bekommen wie am 27. Juli 1919. Der größte und schillerndste unter | |
| ihnen war der Donauschwabe Alfred „Spezi“ Schaffer, Europas erster | |
| „Fußballkönig“. Kapitän der Elf (wie auch der ungarischen | |
| Nationalmannschaft) war der 29-jährige Innenstürmer Vilmos Kertész, ein | |
| taktisch und technisch herausragender Spieler. Kertész war Jude, ebenso | |
| seine Mitspieler Jenö Konrad, dessen jüngerer Bruder Kalman, ein | |
| dribbelstarker Innenstürmer und Torjäger, Gyula Feldmann, Joszef Braun, | |
| Gyula Mándi und Antal Vágó. | |
| Aber im MTK-Kader standen neben dem erwähnten Schaffer auch eine Reihe | |
| nichtjüdischer Stars. Trainer der Mannschaft war Izidor „Dori“ Kürschner, | |
| ein weiterer ungarischer Jude, der zuvor selber für MTK und Ungarns | |
| Nationalelf gespielt hatte. | |
| ## Sehnsucht nach Kunst, nach Erhebung | |
| „Fußballkönig“ Schaffer und seine Mitstreiter schlugen die Bayern souver�… | |
| mit 7:1. Die Presse geriet ins Schwärmen. So las man in den Münchener | |
| Neuesten Nachrichten: „Die Gäste entwickelten eine wunderbare Spieltechnik, | |
| ihre Spielstärke ist in jeder Hinsicht vorbildlich. Ungemein schnell im | |
| Lauf und in der Ballbehandlung, einzig im Ballabnehmen mit systematischem | |
| Ballverteilen bei gut ausgeprägtem Flügelspiel, vornehm in jeder Lage, | |
| stellte sich hier dem Münchener Vertreter ein Gegner, der den Sieg vollauf | |
| verdiente.“ Auch der Berichterstatter der Zeitung Der Sportsmann war | |
| begeistert:„Was ist Fußballgeist? Dieser eine Sonntag hat’s gezeigt: | |
| Grenzenloser Enthusiasmus für das Schöne, Vollendete in unserem | |
| herrlichsten Kampfspiel! Nicht Fanatismus, nicht Sensationslust, nein, | |
| Sehnsucht nach Kunst, nach Erhebung, Veredelung.“ | |
| MTKs beeindruckende Demonstration führte dazu, dass der FC Bayern nun die | |
| Schule des „Donaufußballs“ kopierte. Unter Anleitung von Trainern, die der | |
| Fußballschule Budapests entstammten, avancierte München zur Bühne eines | |
| Kulturtransfers.Die Spielweise der Bayern wurde bald mit ähnlichen | |
| Attributen bedacht wie die der Wiener und Budapester Vereine. „Flüssig“ und | |
| „geschmeidig“ würden die Bayern spielen. 1932 feierte man den Deutschen | |
| Meister Bayern München als die „am schönsten spielende deutsche Elf“. | |
| Die Verpflichtung von ungarischen bzw. ungarisch-österreichischen | |
| Fußballlehrern wurde durch die Entwicklung in Ungarn begünstigt. Am 1. | |
| August 1919, vier Tage nach MTKs Besuch in München, wurde in Ungarn das | |
| rätekommunistische Experiment zerschlagen. Das Ende der Räterepublik wurde | |
| von einem antisemitischen Furor begleitet. Die Antisemiten riefen zum Kampf | |
| gegen die „Judäo-Bolschewisten“ auf. Etwa 3.000 Juden wurden Opfer des | |
| „weißen Terrors“. Die meisten von ihnen hatten mit der Rätebewegung nichts | |
| zu tun. | |
| Am 16. November 1919 übernahm der rechtsgerichtete antisemitische Admiral | |
| Miklós Horthy die Macht. Dies und die große Nachfrage trieb viele | |
| ungarisch-jüdische Trainer und Spieler ins Ausland. Davon profitierten vor | |
| allem der Fußball Österreichs, Italiens und Deutschlands, wo die Ungarn nun | |
| als Entwicklungshelfer wirkten. Am 24. Mai 1938 erließ Ungarns | |
| Ministerpräsident Bela Imvedy das erste Judengesetz, denen 1939 und 1941 | |
| weitere folgten. Am 26. Juni 1940 MTK traten Alfréd Brüll und die ebenfalls | |
| jüdischen Geschäftsführer Lajos Preiszman und Henrik Fodor zurück. Die | |
| Spieler und Mitglieder der MTK wollten aber ohne das Trio nicht | |
| weitermachen und beschlossen die Auflösung des Klubs. | |
| Alfréd Brüll starb 1944 in Auschwitz. Jószef Braun kam 1942 im | |
| Arbeitsdienst ums Leben, Antal Vágó wurde 1944 im KZ ermordet. Dori | |
| Kürschner, die Konrad-Brüder, Vilmos Kertész, Gyula Feldmann und Gyula | |
| Mándi überlebten die Schoah – dank des Netzwerkes Fußball. | |
| 27 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Dietrich Schulze-Marmeling | |
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