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# taz.de -- Fußballvereine und Vergangenheitsbewältigung: "Genug geschrieben!"
> Noch immer verweigern sich etliche Fußballklubs der Beschäftigung mit
> ihrer Geschichte während der Nazidiktatur. Nicht selten sind es die Fans
> der Vereine, die die Forschung vorantreiben.
Bild: 1939 waren die Jungs von Schalke eher braun als königsblau.
Uwe Wagner hatte gute Absichten. Der Fan des 1. FC Nürnberg wollte Anfang
des Jahrtausends seine Magisterarbeit über seinen Lieblingsklub schreiben,
nicht über die Gegenwart, sondern über dessen Rolle im Nationalsozialismus.
Er wollte niemanden an den Pranger stellen, trotzdem verwehrte ihm der
Vereinsarchivar den Weg zu wichtigen Dokumenten mit den Worten: "Über die
braune Zeit ist genug geschrieben worden, da muss irgendwann mal Schluss
sein!" Eine Aussage mit Symbolkraft für den Großteil einer Branche.
Bald werden es 50.000 wissenschaftliche Publikationen sein, die den
Nationalsozialismus zum Thema haben - auf Untersuchungen Vereine und
Verbände des Sports betreffend entfällt dabei nur ein Bruchteil. "Ich
verstehe mich selbst nur, wenn ich meine Geschichte verstehe. Verdrängte
Vergangenheit macht krank", sagt Eberhard Schulz, Kuratoriumsmitglied der
Versöhnungskirche Dachau und Teilnehmer einer Tagung über den Fußball in
der NS-Zeit am Starnberger See.
Markwart Herzog beschreibt die historische Aufarbeitung im deutschen
Fußball nicht allein deshalb als Abenteuer. Der Bildungsreferent der
Schwabenakademie Irsee forschte in seiner Freizeit über die
NS-Vergangenheit seines Lieblingsvereins 1. FC Kaiserslautern. Groß war die
Angst in der Pfalz gewesen, dass er düstere Geheimnisse des Idols Fritz
Walter hätte aufdecken können. "Enttäuschung ist besser als Täuschung",
sagt Herzog. Er traf Zeitzeugen, besuchte zwanzig Archive und Bibliotheken,
oft war die Quellenlage schlecht. Am Ende stand die Erkenntnis, dass Fritz
Walter kein Kriegsverbrecher war, höchstens ein Mitläufer.
Inzwischen wird Herzogs Buch "Der Betze unterm Hakenkreuz" auch in Schulen
genutzt, da der Fußball den Zugang der Jugendlichen zur Geschichte
erleichtern kann. "Für mich war das ein Verlustgeschäft", sagt Herzog. "Es
ist eine Frage des Fleißes, weniger der Intelligenz." Die Studie entstand
auf Initiative eines Fans, zunächst gegen zaghafte Gegenwehr des FCK,
später mit dessen Unterstützung. Doch selten gehen die Forschungen von den
Vereinen aus, wenige verfügen über Geschichtsbände oder ein Klubmuseum.
"Der Fußball ist kein Nachzügler", berichtet Nils Havemann, Historiker aus
Mainz und Autor des Buches "Fußball unterm Hakenkreuz". Seine Arbeit
beleuchtet den Deutschen Fußball-Bund in der NS-Zeit. Mehr als fünfzig
Jahre mussten vergehen, bis der DFB sich dazu entschloss, eine ernsthafte
Studie in Auftrag zu geben, und das wohl nur aufgrund des öffentlichen
Drucks vor dem 100-jährigen Jubiläum des Verbandes im Jahr 2000 und der
Vergabe für die WM 2006. Havemann sieht den DFB in einer Tradition mit
deutschen Firmen. Erst als in den 90er-Jahren eine Debatte um jüdische
Zwangsarbeiter und Enteignungen entbrannte, öffneten Unternehmen wie
Daimler oder die Deutsche Bank ihre Archive.
Vereine wie Werder Bremen, Borussia Dortmund, der FC Schalke, Eintracht
Frankfurt, Hertha BSC und demnächst auch der FC St. Pauli und als erster
Regionalverband der Westdeutsche Fußballverband haben sich mehr oder
weniger tiefgründig mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt, materiell
unterstützen sie die Forscher dabei nicht immer.
Siehe München. Stadtarchivar Anton Löffelmeier forscht seit mehr als einem
Jahrzehnt über die NS-Zeit der bayrischen Vereine. Im kommenden Jahr wird
er ein Buch über den TSV 1860 veröffentlichen, schon jetzt ist klar, dass
der Klub sich dem Naziregime schneller unterworfen hat als andere.
Löffelmeier hat es nicht leicht, ein Teil des Klubarchivs wurde zerstört
oder weggeschmissen. Als er einen Zeitzeugenaufruf im Vereinsmagazin
inserierte, erhielt er zwei Rückmeldungen. Ein Mann beschimpfte seinen Sohn
am Telefon. "Es herrscht eine Mischung aus Angst und Unkenntnis vor",
berichtet Löffelmeier. "Die Funktionäre haben Angst, mit Dingen
konfrontiert zu werden, die sie nicht kennen."
Ähnlich sieht es beim FC Bayern aus. Im Gegensatz zur Führungsriege des TSV
1860 schickte der Rekordmeister auf die Einladung der Tagung immerhin eine
Absage. Zwar hat der FC Bayern in soziale Projekte investiert, doch sein
Bewusstsein für die Geschichte scheint sich in Grenzen zu halten. Bislang
gibt es keine umfassende Aufarbeitung der NS-Zeit, obwohl gerade der FC
Bayern durch seine jüdischen Mitglieder und seinen jüdischen Präsidenten
Kurt Landauer einen schweren Stand gehabt hatte. Zuletzt hatten sich sogar
die Münchner Grünen, die ansonsten gerne gegen den CSU-nahen FC Bayern
motzen, für einen Kurt-Landauer-Weg an der Münchner Arena ausgesprochen.
Auf der Pressestelle des Klubs hatte man auf eine diesbezügliche Anfrage
folgende Antwort parat: "Schicken Sie uns bitte eine E-Mail. Wir
konzentrieren uns zurzeit auf den Uefa-Pokal."
8 Apr 2008
## AUTOREN
Ronny Blaschke
## TAGS
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