# taz.de -- Fußballpionier Walther Bensemann: Angefeindeter Grenzüberschreiter | |
> Der jüdische Kosmopolit Walther Bensemann, vor 150 Jahren geboren, | |
> gründete Klubs, ein Fußballmagazin und mischte im Deutschen Fußball-Bund | |
> mit. | |
Bild: Walther Bensemann, in der Mitte mit Ball auf dem Bein, mit Karlsruher Tea… | |
Es klang nicht eben freundlich, was an einem Nachmittag des ausgehenden 19. | |
Jahrhunderts über die Frankfurter Hundswiese schallte: „Bensemann, | |
Bensemann, wann holt dich der Sensemann?“, sangen junge Männer, so laut sie | |
konnten. | |
[1][Die Schmähung galt Walther Bensemann], Kopf des frisch gegründeten | |
Fußballteams „Frankfurter Kickers“, das unter Gymnasialschülern rasch an | |
Popularität gewonnen und talentierte Spieler anderer Teams angelockt hatte. | |
Dank Bensemanns Erfahrungen mit dem neuartigen Spiel dribbelten die | |
„Kickers“ bald besser als andere, und dank der von ihm finanzierten | |
schicken Trikots – schwarze Hose, weißes Hemd mit Adler auf der Brust – | |
kamen sie ziemlich cool daher. Kein Wunder, dass die Konkurrenz sauer war. | |
Ihr Schmähgesang zählt zu den ersten verbürgten Hasstiraden auf deutschen | |
Fußballplätzen. | |
Walther Bensemann war oft dabei, wenn es um „das erste Mal“ im deutschen | |
Fußball ging: Er gründete den ersten Verein in Süddeutschland, er | |
organisierte die ersten internationalen Spiele, er mischte 1900 bei der | |
Gründungsversammlung des DFB mit und er war erster Herausgeber der noch | |
heute existierenden Zeitschrift Der Kicker. Angeeckt ist der streitbare | |
Bensemann nicht nur in Frankfurt, doch zweifellos zählt er zu den | |
wichtigsten deutschen Fußballpionieren. | |
Als er am 13. Januar 1873, also vor 150 Jahren, in Berlin geboren wurde, | |
rollte in Deutschland noch nirgendwo ein Lederball. Der Sohn eines | |
jüdischen Bankiers lernte das Spiel auf einem Internat in Montreux kennen, | |
wo es von englischen Mitschülern eingeführt wurde. Als er im Jahr 1889 nach | |
Karlsruhe kam, um hier das Abitur abzulegen, war er entschlossen, seine | |
Heimat für den Fußball zu missionieren. | |
## „Meistermannschaft des Continents“ | |
Zu diesem Zeitpunkt existierten in Deutschland bereits erste Mannschaften, | |
nicht jedoch südlich des Mains. Baden-Württemberg, Bayern und Hessen wurden | |
fortan Bensemanns Missionsgebiet. In Karlsruhe gründete er nach dem | |
kurzlebigen „International Footballclub“ im Jahr 1891 den heute noch | |
existierenden Karlsruher Fußballverein, Deutscher Meister von 1910. | |
Berühmt wurde die von ihm organisierte süddeutsche Auswahl, die „Karlsruher | |
Kickers“, die sich großspurig „Meistermannschaft des Continents“ nannte. | |
Das Team genoss in der jungen Fußballgemeinde einen überragenden Ruf, | |
weshalb sich einige Neugründungen nach ihm benannten, so die „Kickers“ in | |
Stuttgart und Offenbach. Und ebendie in Frankfurt. Aus Bensemanns hippen | |
„Frankfurter Kickers“ entstand nach Fusionen mit anderen Vereinen übrigens | |
die heutige Eintracht; der Adler blieb auf der Brust. | |
Nicht weniger prominent entwickelte sich eine andere Gründung. 1897 war | |
Bensemann wesentlich beteiligt, als im MTV München eine Fußballabteilung | |
entstand – aus ihr ging drei Jahre später der FC Bayern hervor. | |
Von Anfang an verband Bensemann mit dem Fußball den Gedanken der | |
Völkerverständigung, weshalb er zum Pionier grenzüberschreitender | |
Begegnungen wurde. Im Oktober 1893 organisierte er gegen eine Schweizer | |
Mannschaft in Karlsruhe das erste internationale Spiel der deutschen | |
Fußballhistorie. Hartnäckig verfolgte er ein Treffen mit Teams aus | |
Frankreich, damals „Erzfeind“ des Deutschen Reiches. An solch ein Spiel | |
knüpfte er die Hoffnung, dass „Franzosen und Deutsche sich zum ersten Mal | |
auf friedlichem Boden träfen und den alten Nationalhass vergessen würden“. | |
1898 konnte er nach vielen Widerständen erste Spiele in Paris realisieren, | |
und ein Jahr später gelang es ihm, erstmals eine englische Auswahl auf den | |
Kontinent zu locken. | |
Den Ersten Weltkrieg verfolgte der überzeugte Kosmopolit und Europäer mit | |
Entsetzen. Die Tragödie festigte seine Ansicht, dass grenzüberschreitende | |
Fußballspiele der Versöhnung dienen sollten. Als Forum für diese | |
„pazifistische Sportidee“ gründete er 1920 den Kicker, zunächst als | |
Ein-Mann-Unternehmen, später mit einer überschaubaren Redaktion und in | |
ewiger Geldnot. | |
Die internationalistische Ausrichtung des Blattes [2][erregte rasch den | |
Unwillen der DFB-Führung, die mehrheitlich deutschnational dachte.] Felix | |
Linnemann, DFB-Präsident erst in den Weimarer Jahren und als | |
SS-Obersturmbannführer bis weit in die NS-Zeit, warf dem Herausgeber schon | |
1923 vor, er denke und fühle „zu stark in fremder Mentalität“. | |
Antisemitische Anwürfe kamen früh aus dem westdeutschen Regionalverband, in | |
dem Rechtsextremisten das Wort führten. Im Verbandsorgan beschimpften sie | |
Bensemann als „Krämer und Geschäftemacher mit Volksseele und Volksgemüt“. | |
Während seine Gegner 1933 Karriere machten, blieb Bensemann nur das Exil in | |
der Schweiz, wo er bereits ein Jahr später starb – verarmt, verfemt [3][und | |
für lange Zeit vergessen.] Es sollte über 70 Jahre dauern, bis sich die | |
deutsche Fußballgemeinde wieder an ihren großen Pionier erinnerte, unter | |
anderem mit dem prominenten, seit 2006 verliehenen Walther-Bensemann-Preis. | |
16 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Bernd B. Beyer | |
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