# taz.de -- Berliner Fußball-Clubs in der NS-Zeit: Mitläufer und Mittelstürm… | |
> Der Berliner Fußball-Verband lässt seine Rolle während der Nazizeit | |
> wissenschaftlich aufarbeiten. An der TU wurden nun erste Ergebnisse | |
> vorgestellt. | |
Bild: Braune Kicker: Die deutsche Fußballnationalmannschaft bei den Olympische… | |
BERLIN taz | Von der Gefahr, einfach ein „Häkchen“ zu setzen, spricht | |
Derviş Hizarcı. Er ist Pädagoge, er ist Muslim, er ist | |
Antisemitismusexperte, und am Donnerstag war er in der Technischen | |
Universität zu Gast bei einer Fachtagung des Berliner Fußball-Verbands | |
(BFV). | |
Die Häkchengefahr sieht demnach so aus: Einerseits, so der [1][Leiter der | |
Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus KIgA], gebe es Fälle, wo | |
kickende Kinder plötzlich den sogenannten Hitlergruß zeigen. Einfach, weil | |
ein Mann am Rand des Platzes ihnen das beigebracht habe. Auch könne er | |
berichten von mit voller Überzeugung vorgetragenen Meinungen von elf- und | |
zwölfjährigen D-Jugend-Spielern, schwarze Fußballer seien doch von Natur | |
aus besser, weswegen es unfair sei, sie mitspielen zu lassen. | |
Andererseits, sagte Hizarcı, glaubten viele Funktionäre, mit dem Aufstellen | |
von Erinnerungstafeln, dem Verfassen kritischer Kapitel in Gedenkschriften | |
oder der Vergabe von Studien zur Aufarbeitung der Verbandsgeschichte hätten | |
sie ja ihre Hausaufgaben getan. Häkchen dahinter. | |
Der BFV hat eine Studie über seine Rolle im NS-Regime in Auftrag gegeben. | |
Er ist damit der erste Landesverband im deutschen Fußball, der sich des | |
Themas angenommen hat, wie Christian Gaebler stolz berichtete. Der | |
SPD-Politiker war nicht als Bausenator zu der Veranstaltung gekommen, | |
sondern in seiner Funktion als Vizepräsident Kommunikation des BFV. | |
## „Selbstgleichschaltung“ der Vereine | |
Vorgestellt wurden an der TU vor allem Berichte von ersten Archivfunden. | |
Der Sporthistoriker Lorenz Peiffer etwa berichtete davon, wie die | |
Ausgrenzung jüdischer Sportlerinnen und Sportler vonstatten ging. Kurz nach | |
der Machtübergabe an die Nazis – und lange, bevor das NS-Regime eine | |
entsprechende Anweisung erteilte – warfen die Sportvereine nämlich aus | |
freiem Willen ihre jüdischen Mitglieder hinaus, laut Peiffer etwa 50.000 | |
bis 60.000 allein in Berlin, allein im Jahr 1933. Der [2][emeritierte | |
Professor der Universität Hannover] spricht von „Selbstgleichschaltung“. | |
Bereits im Juli 1933 löste sich der Verband Brandenburgischer | |
Ballspielvereine (VBB), der Vorläufer des BVV, selbst auf. Wie Peiffers | |
Kollege Berno Bahro von der Universität Potsdam zeigte, dauerte die | |
historische Sitzung nur 20 Minuten. Die versammelten Fußballfunktionäre | |
waren sich einig, dass es den Verband, den sie über Jahrzehnte aufgebaut | |
hatten, nicht mehr brauchte. Der VBB wurde in den Gau III | |
Berlin-Brandenburg überführt, der eine entsprechende Gauliga durchführte. | |
Wie einig man sich war, belegt auch die Forschung des Historikers Julian | |
Rieck. Er nahm sich Berliner Fußballvereine in der NS-Zeit vor und schaute | |
an Fallbeispielen, ob es wenigstens ein bisschen Widerspruch oder | |
Unzufriedenheit gab. | |
Beim BFC Germania 1888 aus Tempelhof beispielsweise, [3][dem ältesten noch | |
existierenden Fußballverein Deutschlands], fand sich zwar kein | |
Arierparagraf, weder in der Satzung von 1910 noch in der von 1935. Dass | |
dies aber nichts zu bedeuten hat, legen die Befunde, die Rieck vorlegte, | |
aber eben auch nahe. So verkündete Germania während des NS-Regimes stolz, | |
man sei doch schon immer „judenfrei“ gewesen. | |
## Ausradiertes Gedächtnis an den jüdischen Fußball | |
Auch jüdische Sportvereine existierten in Deutschland bis 1938. Ihre | |
Mitgliederzahlen stiegen dabei – zumindest bis 1936 – sogar stark an. Im | |
Bereich des Berliner Fußballs hatte es in den 1920er Jahren nur einen | |
jüdischen Fußballverein gegeben, eine Abteilung des SC Hakoah Berlin, die | |
Mitglied des Deutschen Fußballbundes (DFB) war, also auch des VBB. Noch bis | |
Mai 1933 spielte Hakoah in der Kreisliga. Dann, im Juni, fehlte der Name | |
plötzlich in der offiziellen Tabelle. Kein Hinweis auf eine Streichung, | |
nichts. Das Gedächtnis an jüdischen Fußball war ausradiert. | |
Und das macht die Aktualität der Studie aus, für die der BFV mit dem | |
Institut für Antisemitismusforschung der TU zusammenarbeitet: Das blieb bis | |
heute so. Lorenz Peiffer spricht von einem Phänomen der „Elektrifizierung“ | |
des sporthistorischen Erinnerns: „Im Januar 1933 hat jemand das Licht | |
ausgemacht, im Mai 1945 ging es wieder an. Zwischendurch war nichts zu | |
sehen.“ | |
Das lässt auch einen Bereich außen vor, für den die damals „arisch“ | |
genannten Berliner Fußballvereine sich nicht mal schämen müssten. Denn mit | |
Rücksicht auf die Olympischen Spiele 1936 hatte das NS-Regime ihnen | |
explizit Spiele gegen jüdische Mannschaften erlaubt. Nicht im Ligabetrieb, | |
aber auf privater Basis, heute würde man Freundschaftsspiel sagen. | |
Mindestens 48 Spiele waren es 1934 in Berlin, 1935 sogar mindestens 91 | |
Spiele, so Peiffer. Doch im Juli 1935 endete diese scheinbare | |
Normalisierung abrupt. Der Grund war ein Frauenhandballspiel: Der Jüdische | |
Turn- und Sportclub (JTSC) Berlin 05 hatte gegen den Berliner Meister | |
gespielt, den Polizeisportverein Berlin (PSV). | |
Weil der PSV aber nur mit neun Spielerinnen angereist war – beim | |
Feldhandball wurden elf benötigt –, halfen zwei jüdische JTSC-Sportlerinnen | |
beim PSV aus. Die NS-Presse schäumte über den „krassen Fall, dass | |
fremdrassige Weiber in den Reihen der deutschen Frauen standen“. Kurz | |
danach gab es keines dieser Spiele mehr, nicht in Berlin und auch nirgendwo | |
anders im Deutschen Reich. | |
## Geschichtsblinde Festschriften | |
Der Historiker Daniel Küchenmeister leitet das Projekt, mit dem der BFV nun | |
seine Geschichte aufarbeiten lässt. Er nahm sich die Festschriften vor, die | |
der 1897 gegründete Verband zu seinen Jubiläen vorgelegt hat. Die erste | |
stammt von 1957, verfasst hat sie der auch zur NS-Zeit aktive Funktionär | |
und Fußballpublizist Carl Koppehel. Kurzes Ergebnis: Die Rede ist in dessen | |
Schrift wohl von einem „politischen Umschwung“. Ansonsten findet man | |
Spielergebnisse, Finalansetzungen und Ligazugehörigkeiten. Den | |
Nationalsozialismus scheint es im Berliner Fußball nicht gegeben zu haben. | |
1972 stand das nächste Jubiläum an, der Berliner Fußballjournalist Lutz | |
Rosenzweig verfasste die Festschrift. „Er folgte Koppehel fast | |
vollständig“, so Küchenmeister. Sogar zum hundertjährigen Verbandsjubiläum | |
1997, für das die Journalisten Wolfgang Hartwig und Günther Weise die | |
Festschrift schrieben, gilt: „Die NS-Zeit findet nicht statt.“ | |
Das ist durchaus ungewöhnlich, hatte der BFV von 1949 bis 1970 mit Paul | |
Rusch doch einen durchaus integren Präsidenten, der schon vor 1933 als | |
Funktionär gewirkt hatte. Weil Rusch aus der Gewerkschaftsbewegung kam und | |
die Nazis ablehnte, hatte er sich 1933 aus dem Sport zurückgezogen und war | |
erst nach dem Krieg zurückgekehrt. In der 1997er-Festschrift stand indes, | |
er habe erst 1945 die Bühne des Fußballsports betreten. | |
Der DFB sah sich mit der WM 2006 im eigenen Land gezwungen, [4][seine | |
Verbandsgeschichte von einem Historiker aufarbeiten zu lassen]. Nun, fast | |
zwei Jahrzehnte später, folgt der Berliner Landesverband. | |
Dass dies wichtig ist – auch wenn es sehr spät kommt –, darin waren sich | |
die am Donnerstag versammelten Experten und Expertinnen einig. Was es für | |
den Umgang mit heutigen Problemen bringt? Es sei das Problem aller gut | |
gemeinten Aktionen gegen Rassismus und Antisemitismus, sagte KIgA-Leiter | |
Derviş Hizarcı: „Sie kommen alle zu spät.“ | |
17 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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