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# taz.de -- Historiker über Universitäten im NS: „Widerstand blieb ein Rand…
> Seit Mitte der 1990er erforscht Michael Grüttner, wie sich die
> Universitäten dem Nationalsozialismus hingaben. In Osnabrück stellt er
> sein Buch vor.
Bild: Aufmarsch des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds vor dem Ha…
taz: Herr Grüttner, „Talar und Hakenkreuz“ ist die erste Gesamtdarstellung
der deutschen Universitätsgeschichte im Nationalsozialismus. Liegt das auch
daran, dass viele Universitäten sich nach 1945 schwergetan haben, ihre
NS-Geschichte aufzuarbeiten?
Michael Grüttner: Ja, da herrschte die diskrete Rücksichtnahme auf die
eigenen Lehrer, die im Dritten Reich aktiv gewesen waren und denen man
persönlich oft viel zu verdanken hatte. Und da war die Sorge um das
Prestige der Universität. Die Beschäftigung mit einem solchen Thema konnte
leicht zum Karrierekiller werden.
taz: Aber wäre es dann nicht sinnvoller gewesen, alles offenzulegen?
Irgendwann fällt einem das ja auf die Füße.
Grüttner: Das ist das Denken der Gegenwart. Bis in die 1980er Jahre
dominierte das Narrativ, dass sich die Universitäten damals in einer
wissenschaftsfeindlichen Atmosphäre lediglich unpolitischer Forschung
widmeten, mit nur äußerlichen Anpassungsleistungen an das Regime.
taz: Spielen die „Talare“ des Titels auf das Transparent „Unter den Talar…
– Muff von 1.000 Jahren“ an, das 1967 in der Universität Hamburg, kurz
bevor Sie dort studiert haben, an die Vereinnahmung in der Nazi-Zeit
erinnert hatte?
Grüttner: Das Transparent spielt nur insofern eine Rolle, als den meisten
Menschen ohne diese Aktion vermutlich gar nicht bewusst wäre, dass Talare
die traditionelle Amtstracht von Professoren waren – und es teils heute
noch sind. Im Übrigen ist offen, ob das Transparent tatsächlich auf den
Nationalsozialismus anspielte oder nur allgemein die Fortdauer veralteter
Strukturen anprangern wollte.
taz: Ihre Studie erstreckt sich von der Zeit vor der
nationalsozialistischen Machtübernahme an den Universitäten bis zur
[1][Entnazifizierung]. Wie war es, dabei auf Ihre eigene Familiengeschichte
zu stoßen?
Grüttner: Aus Erzählungen meiner Mutter wusste ich, dass sie als
Studierende in Hamburg 1944 von einer Kommilitonin denunziert und
anschließend inhaftiert worden war, weil sie nach dem 20. Juli das
Scheitern des Attentats auf Hitler [2][bedauert hatte]. Aber dann plötzlich
diese Denunziation in einer Akte zu finden, das war doch ein ganz
unerwarteter Augenblick. Viele Unterlagen sind ja im Krieg oder bei
Kriegsende verbrannt worden.
taz: Was aber hat das Wissenschaftssystem so anfällig gemacht für diese
ideologische Vereinnahmung?
Grüttner: Die Universitäten standen schon der [3][Weimarer Republik]
distanziert oder ablehnend gegenüber. Die meisten Professoren hatten sich
stark mit dem Kaiserreich identifiziert und sahen in ihr nur das traurige
Resultat eines verlorenen Krieges. Ein weiterer Grund ist die massive
Überfüllungskrise in den akademischen Berufen. Viele Studierende und
Nachwuchswissenschaftler hatten Zukunftspanik und wandten sich dem
[4][Nationalsozialismus] auch deshalb zu, weil sie hofften, dass sich ihre
Karrierechancen im Dritten Reich verbessern würden. Der NS-Studentenbund
war bereits 1931/32 die stärkste Kraft unter den Studierenden.
taz: Auch heute herrscht viel Zukunftspanik.
Grüttner: Es gibt Ähnlichkeiten mit der Vergangenheit, aber auch
grundlegende Unterschiede: Die Universitäten sind in der Gegenwart deutlich
gefestigter gegenüber rechtsradikalen Kräften. Wer heute sein Studium
beendet, ist nicht mit einer Überfüllungskrise konfrontiert, sondern
profitiert vielfach vom [5][Fachkräftemangel].
taz: Welchen Widerstand gab es an den Universitäten gegen die NS-Ideologie?
Grüttner: Es gab Unzufriedenheit. Mehrere Hochschullehrer haben sich an
linken Widerstandsgruppen beteiligt, und eine etwas größere Zahl
nationalkonservativer Professoren war im Umfeld des 20. Juli aktiv. Aber
Widerstand definiert als Handeln zum Sturz des Regimes blieb ein absolutes
Randphänomen.
taz: Was hat Sie während der Recherche am meisten beeindruckt?
Grüttner: Die Gnadenlosigkeit, mit der Studierende und junge
Nachwuchswissenschaftler 1933/34 gegen Professoren gehetzt haben, weil sie
Juden waren oder Kritik geäußert hatten. Da wurden regelrechte Treibjagden
inszeniert, die oft mit der Entlassung der Betroffenen endeten, manchmal
mit deren Suizid.
taz: „Talar und Hakenkreuz“ hat sicher viele Jahre erfordert.
Grüttner: Es ist das Buch, an dem ich am längsten und intensivsten
gearbeitet habe. Die Arbeit begann Mitte der 1990er, wurde aber immer
wieder durch andere größere Publikationsprojekte und einen längeren
Auslandsaufenthalt unterbrochen.
taz: Sind Sie bei den Universitäten auf Widerstände gestoßen?
Grüttner: Anfangs hatte ich manchmal Probleme mit Archivaren, die mir die
Einsicht in Akten verweigern wollten. Mittlerweile ist für Historikerinnen
und Historiker in staatlichen Archiven aber alles Relevante zugänglich.
8 Oct 2024
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## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
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