# taz.de -- Gedenken an Bücherverbrennung der Nazis: Der Krieg um die Bücher | |
> Vor 91 Jahren verbrannten die Nazis tausende Bücher missliebiger Autoren. | |
> Ein Bibliotheksbesuch im Jüdischen Museum. | |
Bild: In einem feierlichen Akt wurden am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Ber… | |
BERLIN taz | „Wider den undeutschen Geist“: Mit diesem Propagandafurz | |
begründeten die Nazis 1933 wenige Monate nach ihrer Machtübernahme die | |
Bücherverbrennungen in über 90 deutschen Städten, mit einem Höhepunkt am | |
10. Mai. An diesem Tag ließ der NS-Studentenbund auf dem Berliner | |
Opernplatz wie in 18 weiteren Universitätsstädten tausende Werke verfemter | |
Autoren zu Scheiterhaufen schichten und in Flammen aufgehen. Fortan durften | |
die Werke von hunderten Schriftstellern nicht mehr vertrieben werden. Sie | |
verschwanden aus den Bibliotheken. Die Autorinnen und Autoren sollten aus | |
dem Bewusstsein gelöscht werden – für immer. | |
91 Jahre später hat Monika Sommerer einige Bücher auf dem weißen | |
Empfangstresen der Bibliothek des Jüdischen Museums Berlin ausgelegt, deren | |
Autoren damals verfolgt, verjagt und im günstigen Fall ins Exil gezwungen | |
worden sind. Rund 20 Interessierte sind zu einer Bibliotheksführung auf den | |
Spuren eines Verbrechens erschienen. Nein, dies ist keine | |
Großveranstaltung. Aber ein angemessenes Gedenken dort, wo es hingehört: in | |
die Bücherei. | |
Damals haben auch viele Bibliothekare an dem Versuch mitgewirkt, das | |
kulturelle Gedächtnis zu löschen. Sie waren beteiligt, als die schwarzen | |
Listen verfasst wurden, mit den Titeln der auszusondernden Literatur. Sie | |
nahmen die Bücher aus den Regalen der öffentlichen und privaten | |
Bibliotheken. Jüdische Büchersammlungen wurden geplündert und kamen in | |
„Giftschränke“ der Bibliotheken, wurden meistbietend versteigert oder | |
landeten auf dem Müll. Erst in den letzten Jahren hat man damit begonnen, | |
die Erben der früheren Besitzer ausfindig zu machen, und ihnen die | |
gestohlenen Werke zu übereignen. Das gelingt nicht immer. | |
Doch nicht nur die [1][Bücher kamen 1933 auf schwarze Listen], sondern auch | |
nicht angepasste Bibliothekare, sei es weil sie jüdischer Abstammung waren | |
oder linke Ideen vertraten. Alleine in Berlin verloren 44 Bibliothekarinnen | |
und Bibliothekare aus 18 Einrichtungen ihre Arbeit. | |
## Empfindliche Erstausgaben | |
Manche der Bücher von damals sind heute kostbar und selten geworden. Im | |
Jüdischen Museum stehen diese Werke nicht einfach in einem der Regale in | |
der Präsenzbibliothek. Die Erstausgaben mit ihren kostbaren | |
Schutzumschlägen kommen vielmehr aus dem Depot des Museums, wo sie | |
staubgeschützt im Dunkeln lagern. Einige wenige Werke sind so empfindlich, | |
dass Sommerer darum bittet, diese nicht zu berühren. Manche tragen ein | |
Exlibris, aus dem der Name des früheren Besitzers hervorgeht. | |
Die Bibliothekarin Monika Sommerer kann zu jedem Buch und zu jedem Autor | |
eine Geschichte erzählen. Von Oskar Maria Graf etwa, dem bayerischen | |
Schriftsteller, dessen Werk „Wir sind Gefangene“ über die Räterevolution … | |
München 1919 auf dem Tresen liegt. Die Nazis hatten es unterlassen, seinen | |
Namen auf den Listen der verbotenen Schriftsteller zu vermerken. Graf | |
meldete sich aus dem Ausland. „Verbrennt mich!“, forderte er. Graf wollte | |
nicht in die falsche Gesellschaft der NS-Freunde geraten, er wollte bei | |
seinen verfolgten Freunden sein. Oskar Maria Graf floh 1933 über die | |
Tschechoslowakei in die USA. Er kehrte nie mehr nach Deutschland zurück, | |
außer zu kurzen Besuchen. | |
Ganz anders sei es bei Anna Seghers gewesen, sagt Sommerer. Von der | |
Schriftstellerin sind die Romane „Aufstand der Fischer“ und „Das siebte | |
Kreuz“ ausgestellt. Letzteres Werk über die Flucht aus einem deutschen | |
Konzentrationslager erschien erst 1942 mit einer beeindruckenden | |
Einbandzeichnung in Seghers’ mexikanischem Exil, herausgegeben vom Verlag | |
„el Libro Libre“, den deutsche Kommunisten wie Seghers gegründet hatten. | |
Das Signet des Verlags zeigt ein aufgeschlagenes Buch, das ein Hakenkreuz | |
zermalmt. Die Autorin kehrte nach 1945 zurück, lebte in Ostberlin und | |
avancierte zur linientreuen SED-Genossin. | |
Die ausgestellten Bücher, erzählt Sommerer ihren Besuchern, gehörten George | |
Warburg, der 1938 als Jude Deutschland verlassen musste und ein angesehener | |
Bankier wurde, zuerst in Großbritannien, später in New York. Nach seiner | |
Pensionierung begann er die Erstausgaben der Menschen zu sammeln, von denen | |
nach dem Willen der Nazis niemand mehr hätte wissen sollen. Am Ende waren | |
es etwa 400 Werke, die er dem Jüdischen Museum vermacht hat. | |
## Wer kennt noch Gina Kraus? | |
Und da liegt nun eine kleine Auswahl auf dem Tresen, geschrieben von so | |
unterschiedlichen Autoren wie Albert Einstein oder Else Lasker-Schüler, | |
Franz Kafka und Gina Kraus. Es sind wissenschaftliche Werke darunter sowie | |
Belletristik. Viele der verfolgten Schriftsteller waren Juden und deshalb | |
doppelt bedroht. Magnus Hirschfeld war es gleich dreifach: als Jude, als | |
Sozialdemokrat und als bekennender Schwuler. Nicht jeder Autor von damals | |
hat es in das Gedächtnis von heute geschafft, viele sind doppelt bestraft | |
und im Exil vergessen worden. Wer kennt etwa noch die Österreicherin Gina | |
Kraus? | |
Das Ziel, missliebige Autoren zu „verfemen“, haben die Nazis jedoch nicht | |
erreicht. Manche Schriftsteller von damals sind heute viel berühmter als zu | |
Beginn der 1930er Jahre. Die Nazis haben nicht nur den Krieg verloren, | |
sondern auch ihren Propagandafeldzug von 1933, als sie die Bücher | |
verbrannten. Sie sind nämlich noch da, nicht nur in den seltenen | |
Erstausgaben in der Museumsbibliothek, sondern in jeder Buchhandlung, als | |
preiswertes Taschenbuch oder in feiner Leinenausgabe. Zwar bekommt man | |
manches nur im Antiquariatshandel, manche Werke warten auf einen neuen | |
Verleger. Aber sehr vieles ist erhältlich. Bitte greifen Sie zu. | |
10 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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