# taz.de -- Berliner Bücherverbrennung 1933: Grausame Karrieristen | |
> Am 10. Mai jährt sich die Berliner Bücherverbrennung zum 90. Mal. Eine | |
> Ausstellung am Bebelplatz untersucht die tragende Rolle der Studierenden. | |
Bild: Studenten bei der Berliner Bücherverbrennung | |
BERLIN taz | Auf einem der Bilder ist eine Gruppe von Studenten zu sehen. | |
Sie schauen aufgekratzt und forsch in die Kamera. Und sie halten stolz ein | |
paar Broschüren und Papiere hoch. Würde man ihre Schaftmützen mit den | |
Reichsadlern und die Papiere aus dem Foto retuschieren: Es könnten auch | |
harmlose Studenten bei einer Party sein, wie sie noch heute an der | |
Humboldt-Universität unterwegs sind. | |
In Wahrheit aber handelt es sich bei diesen Jungs um Berliner Studenten bei | |
der [1][Bücherverbrennung am 10. Mai 1933] auf dem Opernplatz, der heute | |
Bebelplatz heißt. Zu sehen ist das Foto am 90. Jahrestag der Berliner | |
Bücherverbrennung am 10. Mai, im Rahmen der Ausstellung „Wer weiter liest, | |
wird erschossen …“ im Foyer der Alten Bibliothek am Bebelplatz, die heute | |
die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin beheimatet | |
und besser als Kommode bekannt ist. | |
Die Ausstellung, die unter anderem von der Historischen Kommission des | |
StudentInnenparlaments der HU organisiert wurde, fokussiert nicht nur auf | |
die Voraussetzungen, Wirkungen und Folgen der Berliner Bücherverbrennung, | |
die zwar nur eine von bundesweit 93 Bücherverbrennungen war, dafür aber die | |
symbolträchtigste und medienwirksamste. | |
Sie schneidet auch ein Thema an, das in diesem Zusammenhang eher weniger in | |
den Fokus rückt. | |
## Goebbels schubste nur an | |
Wer an die Bücherverbrennung denke, dem würden sofort Bilder von [2][Joseph | |
Goebbels] einfallen, der auf dem Opernplatz gesprochen hat, berichten der | |
Wirtschaftshistoriker Bern Schilfert und der Literaturhistoriker Jacob | |
Panzner vom Kooperationspartner, der Historischen Kommission Zeitpfeil, | |
einem Netzwerk für politische Bildung an der HU. | |
Sie sitzen in einem Raum der Kommode, der während der Ausstellung als | |
begehbare Bücherbox fungiert. Hier können in Zusammenarbeit mit dem | |
Berliner Büchertisch und der Initiative Bookcrossing Werke betroffener | |
Autor*innen weitergereicht werden. | |
Goebbels, so Schilfert, schubste den Eifer der [3][Deutschen | |
Studentenschaft] höchstens an, so Schilfert. Dieser antisemitische | |
Dachverband der Studentenschaften hatte parallel zum Aufstieg der NSDAP | |
schon 1930 die Mehrheit in fast allen Studentenparlamenten errungen. Die | |
Presse heizte die antiintellektuelle Stimmung an den Hochschulen weiter an. | |
## Eine Art geistige SA | |
Es ist die tragende Rolle der Studierenden bei der Berliner | |
Bücherverbrennung, die in der Ausstellung „Wer weiter liest, wird | |
erschossen …“ eine der Hauptrollen spielt. Die Deutsche Studentenschaft | |
verstand sich – „inspiriert vom Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und | |
Geschäftsleute“ – als eine Art geistige SA und organisierte mit großem | |
Eifer und aufwendigem bürokratischem Formalismus die Kampagne unter dem | |
Titel „Aktion wider den undeutschen Geist“. | |
Goebbels hatte bei alldem nicht einmal eine lenkende Hand im Spiel: Die | |
Studierenden organisierten völlig selbstständig die Sammelaktionen der | |
circa 25.000 Bücher, die Akquise von Sympathisanten sogar noch angesehener | |
Germanistikprofessoren bis hin zum Fackelzug vom Hegelplatz hinter der | |
Universität über die Oranienburger Straße und den Reichstag bis zum | |
Opernplatz. | |
Diese Studierenden, so Schilfert, waren Kinder aus großbürgerlichem, aber | |
auch aus kleinbürgerlichem bis prekärem Milieu, die Stipendien erhielten | |
und angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit auf einen sozialen Aufstieg | |
hofften. „Das waren knallharte Karrieristen, die zackig organisieren | |
konnten. Und sie hatten viel Konkurrenz, jeder musste sich ein Opfer | |
suchen, über das er laut brüllen und effektiv schreiben konnte.“ | |
## Manche sind bis heute vergessen | |
Auch über die Studierenden als zu wenig beachtete Akteure der | |
Bücherverbrennung hinaus bietet die Ausstellung „Wer weiter liest, wird | |
erschossen …“ Einblicke, die bis heute selten in den Geschichtsbüchern zu | |
finden sind. So geht es beispielsweise nicht nur um die großen | |
Autor*innen von Walter Benjamin bis Stefan Zweig, deren Bücher verbrannt | |
wurden, sondern auch um jene, die keinen Fuß mehr auf den Boden bekamen. | |
Hier untersucht die Ausstellungen vor allem die Ursachen: Autoren wie | |
[4][Magnus Hirschfeld] oder [5][Wilhelm Reich] waren im biederen | |
Nachkriegsdeutschland einfach zu fortschrittlich, berichtet Jacob Panzner. | |
„Auch Autor*innen mit kommunistischen oder anarchistischen Positionen | |
wurden noch sehr, sehr lang mehr als argwöhnisch beäugt.“ Andere wurden | |
dank Kaltem Krieg in der BRD nicht rezipiert, weil sie in die DDR gegangen | |
waren – oder umgekehrt. | |
Zu diesem Thema gibt es in der Ausstellung eine interessante Tafel mit der | |
Überschrift Memorizid, einem Begriff des italienischen Autors und | |
Holocaust-Überlebenden [6][Primo Levi]. Hier ist zu erfahren, wie effektiv | |
die Politik der Nazis war, Erinnerungen aus dem kollektiven Gedächtnis zu | |
löschen. Sie strichen „jüdische Doktorand*innen aus den | |
Promotionsverzeichnissen“, erklärten „unliebsame Autor*innen für nicht | |
zitierfähig“. | |
## Entrechtet, eingesperrt, ermordet | |
Sie änderten die Namen von Straßen und Plätzen, verbrannten Torarollen, | |
vernichteten jüdische Grabsteine. Aus den bei der Bücherverbrennung | |
betroffenen 94 Autor*innen wurden später 149. | |
Sie wurden mit Berufs- und Publikationsverboten mundtot gemacht, sie | |
verschwanden aus den Bibliotheken und dem Literaturunterricht, wurden ins | |
Exil getrieben oder entrechtet, eingesperrt, ermordet oder in den Suizid | |
getrieben. | |
Viele von ihnen wie die deutschsprachige ungarische, | |
proletarisch-revolutionäre [7][Journalistin und Schriftstellerin Maria | |
Leitner] oder der pazifistische Schriftsteller Alexander Moritz Frey | |
gerieten in Vergessenheit – von beiden ist in der Ausstellung leider nichts | |
zu lesen. | |
Dafür aber vom Berliner Rechtswissenschaftler Max Apt, der nach 1945 um | |
eine Entschädigung für die Entwertung seines Lebenswerks durch Aussonderung | |
und Vernichtung seiner Schriften kämpfte. „Das letztinstanzliche Gericht | |
verwirft seine Ansprüche mit der Begründung: Ruhm ist kein Vermögen“, hei�… | |
es im Ausstellungstext. | |
10 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hu-berlin.de/de/ueberblick/geschichte/verbranntes-wissen-1 | |
[2] /Dokumentarfilm-Hitlers-Hollywood/!5383477 | |
[3] /Hohenzollern-und-Langemarck-Mythos/!5807246 | |
[4] /Buch-ueber-Pionier-der-Sexualforschung/!5866649 | |
[5] /Ohne-Orgasmus-keine-freie-Gesellschaft/!5662832 | |
[6] /Primo-Levi-warnte-vor-neuem-Faschismus/!5609969 | |
[7] /Die-Opfer-der-Buecherverbrennung/!5182618 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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