| # taz.de -- Die gefälschten „Hitler-Tagebücher“: Bertelsmann blieb im Hin… | |
| > Bis heute wird der „Stern“ für die Veröffentlichung der | |
| > „Hitler-Tagebücher“ ausgelacht. Dabei ist das glorreiche Magazin nicht | |
| > allein verantwortlich. | |
| Bild: Gerd Heidemann präsentierte 1983 die gefälschten Dokumente. Der Ankauf … | |
| Der Publizist und Wissenschaftler Hersch Fischler warf im Jahr 1998 | |
| Bertelsmann vor, das Medienunternehmen beschönige und verdrehe seine | |
| Vergangenheit im Dritten Reich und rechne sich zu Unrecht zum Widerstand. | |
| Damals dauerte es Monate, bis der Konzern schließlich unter internationalem | |
| Druck Historiker mit einer Untersuchung beauftragte – welche die Vorwürfe | |
| Jahre später bestätigten. | |
| So gesehen handelte Bertelsmann-Chef Thomas Rabe schnell, als [1][der NDR | |
| diesen Februar berichtete], dass man die gefälschten „Hitler-Tagebücher“ | |
| erstmals umfassend ausgewertet habe und sich zeige, dass Hitler darin | |
| gezielt vom Massenmord an den Juden freigesprochen werden sollte. | |
| Ein mieses Ergebnis für den Stern und auch für seinen Verlag Gruner + Jahr | |
| (G+J). | |
| Dessen [2][Zerschlagung hatte Rabe erst kurz davor verkündet]. War ihm | |
| klar, dass der schwere Vorwurf auch Bertelsmann treffen könnte, der schon | |
| zur Zeit der „Hitler-Tagebücher“ Anteile von G+J besaß? Er verwies nach d… | |
| NDR-Bericht jedenfalls umgehend auf den Auftrag an das Münchner Institut | |
| für Zeitgeschichte (IfZ), das die Rolle Henri Nannens und des Stern seit | |
| der NS-Zeit bis 1983 prüfen soll: „Wir halten es für notwendig, den Umgang | |
| mit der Entdeckung, Bewertung und Veröffentlichung der gefälschten | |
| ‚Tagebücher‘ bei Gruner + Jahr und Bertelsmann wissenschaftlich untersuchen | |
| zu lassen.“ | |
| ## Bertelsmann hielt sich bedeckt | |
| Seit Jahren schien der Betrug einzig und allein Sache des Stern gewesen zu | |
| sein. Vom „Stern-Skandal“ schrieb der Spiegel am 24. Februar, als der NDR | |
| alle 60 Bände erstmals online stellte. „Die Hitler-Tagebücher und der | |
| Stern-Skandal“, titelte auch der NDR. Der Stern selbst hatte schon 2018 | |
| „Die wahre Geschichte der gefälschten Hitler-Tagebücher“ [3][in einem | |
| mehrteiligen Podcast aufgearbeitet]. Ausgespart blieb dabei allerdings die | |
| Rolle von Bertelsmann. | |
| Vielleicht weil bei der gerichtlichen Aufarbeitung der Affäre alle | |
| „richtigen“ Bertelsmänner aus der Gütersloher Konzernzentrale, wenn | |
| überhaupt, nur als Zeugen aufgetreten waren, während zwei der drei | |
| damaligen Stern-Chefredakteure als Schuldige gefeuert (und mit je mehr als | |
| 3 Millionen D-Mark abgefunden) wurden. Stern-Reporter Gerd Heidemann und | |
| Fälscher Konrad Kujau wanderten beide für mehrere Jahre ins Gefängnis. | |
| Auch jetzt, 40 Jahre nach der Veröffentlichung, wird oft nicht | |
| wahrgenommen, dass es in Wahrheit gerade auch ein Bertelsmann-Skandal war. | |
| „Es läuft unter Stern-Skandal, aber die Rolle von Bertelsmann ist | |
| wesentlich“, sagt Michael Seufert, der im Auftrag des langjährigen | |
| Stern-Chefredakteurs Henri Nannen 1983 die Vorgänge aufklärte. Seufert war | |
| von 1970 bis 1997 beim Stern, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur, | |
| und veröffentlichte 2008 das Buch „Der Skandal um die Hitler-Tagebücher“. | |
| Die Verstrickung von G+J und Bertelsmann zeigt sich schon im Ankauf der | |
| Bücher. Den bewilligte der damalige G+J-Chef und spätere | |
| Bertelsmann-Vorstandsvorsitzende Manfred Fischer im Januar 1981 für 2 | |
| Millionen D-Mark. Es war eine Geheimoperation bei G+J. Die Chefredaktion | |
| des Stern erfuhr davon zunächst nichts. Denn es ging Fischer gar nicht in | |
| erster Linie um den Stern – er wollte vielmehr den Stoff für Bertelsmann | |
| sichern. Fischer witterte für den Konzern ein Riesengeschäft beim | |
| weltweiten Verkauf der Buchrechte. Der Stern war bloß für die Vermarktung | |
| vorgesehen. | |
| Bertelsmann-Eigentümer Reinhard Mohn wurde von Fischer frühzeitig | |
| eingeweiht – auch in das mögliche finanzielle Risiko. Mohn war ebenso | |
| begeistert wie Fischer. Der stieg am 1. Juli 1981 zum | |
| Bertelsmann-Vorstandsvorsitzenden auf. | |
| All das ist bei Seufert und anderen nachzulesen. Oft in Teilaspekten, die | |
| aber zusammen betrachtet werden sollten. Bei [4][Robert Harris] etwa, der | |
| mit „Selling Hitler“ schon 1985 ein spannend geschriebenes Sachbuch | |
| vorlegte, das die Rolle von Bertelsmann klar benennt. | |
| ## Bewusste Geschichtsklitterung? | |
| Aber warum wurde das Buch nie ins Deutsche übersetzt? So wie all seine | |
| Romane, die er später schrieb und damit zu einem der Bestsellergaranten von | |
| – genau – Bertelsmann avancierte? Er selbst ließ Anfragen, ob je eine | |
| Übersetzung geplant war und warum es nie dazu kam, unbeantwortet. | |
| Felix Schmidt, einer der drei Chefredakteure des Stern, notierte zeitnah | |
| 1983 [5][in seinem Tagebuch zur „Tagebuch“-Affäre]: „Den Text für die e… | |
| Folge (…) lese ich vier oder fünf Mal. Den Satz, dass ‚die Biografie des | |
| Diktators und die Geschichte des Dritten Reiches in großen Teilen neu | |
| geschrieben werden muss‘, will ich ändern zu: ‚in Teilen umgeschrieben | |
| werden muss‘. Der Chef vom Dienst und der Serienchef raten ab. Schließlich | |
| habe Hitler, folgt man den ‚Tagebüchern‘, das Ausmaß der Judenvernichtung | |
| nicht gekannt. Ich gebe nach.“ | |
| Waren Reinhard Mohn, Manfred Fischer und andere Verantwortliche sich dieser | |
| Geschichtsklitterung auch bewusst? Ging es ihnen wirklich nur ums Geschäft? | |
| Oder war ihr Ziel auch, Hitler mit der Veröffentlichung zu entlasten? In | |
| seinem Buch „Hitlers Sternstunde“ zitiert der ehemalige stellvertretende | |
| Stern-Chefredakteur Manfred Bissinger eine Quelle. Laut der sagte | |
| Bertelsmann-Eigentümer Mohn zu Fischer: „Das ist das unglaublichste | |
| Manuskript, das je meinen Schreibtisch passiert hat. Das ist die Sensation | |
| des Jahrhunderts. Es ist unglaublich, wenn es stimmt.“ | |
| ## Hitler verharmlost | |
| Robert Harris beschreibt ebenfalls Mohns und Fischers Begeisterung. Lässt | |
| sich klären, was sie tatsächlich vom Inhalt wussten und mit der | |
| Veröffentlichung beabsichtigten? Manche versuchen es. | |
| Ende April 2023 trafen sich Historiker und Medienwissenschaftler auf | |
| Einladung von Bertelsmann und dem Institut für Zeitgeschichte (IfZ), um | |
| über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit Henri Nannens und des Stern und | |
| den Umgang mit den Kujau-Kladden zu debattieren. Bis der Bericht des | |
| Instituts für Zeitgeschichte vorliegt, werden zwar wohl noch Jahre | |
| vergehen. | |
| Doch Magnus Brechtken, stellvertretender Direktor des IfZ, gab bereits bei | |
| der Tagung einen „Zwischenstand der Forschung“, den man in Gütersloh | |
| vermutlich beruhigt zur Kenntnis nimmt. Demnach gebe es keine Belege, dass | |
| die Verantwortlichen bei G+J und Bertelsmann das Ziel verfolgten, Hitler | |
| reinzuwaschen. | |
| Auf Anfrage schreibt Brechtken: „Es gab bereits in den 80er Jahren eine | |
| Diskussion über die Inhalte. Es ist seitdem bekannt, dass Kujaus Texte | |
| Hitler verharmlosen (…) Konrad Kujau schrieb einen Hitler für seine Kunden. | |
| Das war sein Geschäftsmodell. Seine Kunden zahlten für einen verklärten | |
| Hitler.“ | |
| ## Erster Versuch, Stern zu übernehmen | |
| Brechtken ist tief im Stoff. Er sichtete Dokumente in der | |
| Bertelsmann-Konzernzentrale in Gütersloh, besuchte Ex-Reporter Heidemann | |
| und dessen Archiv. Sein Fazit: Der Ankauf und die Veröffentlichung seien | |
| bei G+J und Bertelsmann „eine Managementfrage“ gewesen: „Das war nicht | |
| ideologisch motiviert. (…) Das war ein geschäftlicher Vorgang, aus | |
| Gütersloher Perspektive nicht mal besonders groß.“ | |
| Besonders groß waren die Folgen dagegen für den Stern – und damit für | |
| Gruner + Jahr. Als sich die 60 Kladden, für die G+J 9,3 Millionen D-Mark | |
| zahlte, als Fälschung herausstellten, versuchte Bertelsmann die Krise des | |
| Stern zu nutzen, um beim eigentlich progressiven Blatt konservative | |
| Chefredakteure zu etablieren. | |
| Damit unternahm der Konzern damals so etwas wie den ersten Versuch, den | |
| Stern zu übernehmen und G+J zu schleifen. Die Redaktion wehrte sich | |
| vehement, konnte aber nur einen der beiden Chefredakteure verhindern. Die | |
| Folge war Peter Scholl-Latour. | |
| Wie die Stern-Chefredakteure musste auch Bertelsmann-Chef Fischer 1983 | |
| gehen, allerdings nicht wegen der „Hitler-Tagebücher“. Bertelsmann-Eigner | |
| Mohn servierte ihn vielmehr, kurz bevor die Bombe platzte, wegen | |
| unterschiedlicher Auffassungen über die Konzernstrategie ab. | |
| Wie eng das besondere Vertrauensverhältnis von Fischer und Stern-Reporter | |
| Heidemann blieb, zeigte sich noch mal bei seinem Abschied. Vier Monate | |
| bevor Fischer Ende März 1983 als Bertelsmann-Vorstand ausschied, | |
| informierte er Heidemann vertraulich vorab. Fischer schrieb: „Ich hoffe, | |
| dass unsere guten gegenseitigen Kontakte, lieber Herr Heidemann, trotz | |
| dieses beruflichen Einschnitts nicht abreißen werden.“ | |
| 19 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Vor-40-Jahren-Die-Hitler-Tagebuec… | |
| [2] /Protest-gegen-Ausverkauf-bei-GrunerJahr/!5907880 | |
| [3] /Podcast-ueber-Hitler-Tagebuecher/!5564533 | |
| [4] /Robert-Harris-neuer-Krimi/!5052587 | |
| [5] https://web.archive.org/web/20200808071626/http://www.zeit.de/2013/15/hitle… | |
| ## AUTOREN | |
| Steffen Grimberg | |
| Thomas Schuler | |
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