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# taz.de -- Ausstellung im Museum Frieder Burda: Die geretteten Bücher
> Annette Kelms Fotoserie „Die Bücher“ erinnert an die
> nationalsozialistische Bücherverbrennung im Mai 1933. Die Bildsprache ist
> klar und nüchtern.
Bild: Installationsansicht Annette Kelm, Die Bücher
Die Buchcover scheinen vor dem Weißraum, der sie umgibt, zu schweben –
sacht umfasst von den schmalen Leisten eines weißen Rahmens. Er misst immer
70 x 52,5 cm, während die Cover selbst im Format unterschiedlich, dabei
aber alle gegenüber ihrer Vorlage etwas vergrößert sind.
Typografie und grafische Gestaltung haben eine große Bandbreite, wobei eine
expressive oder konstruktivistische Formensprache, Kleinschreibung und
rasante Fotomontagen deutlich auf die 1920er und 1930er Jahre verweisen. In
der bunte Reihung sitzt dann ein weinendes Baby im Topf, während anderswo
eine Giraffe im Meer schwimmt und ein Segelboot hinter sich herzieht.
Würde der Buchdeckel umgeschlagen, träfe man im einen Fall auf politische
Gedanken und Gedichte von Kurt Tucholsky, im andern auf ein
„Kinder-Verwirr-Buch“ von Joachim Ringelnatz mit vielen Bildern und
Gedichten wie diesem: „Der Klapperstorch hat krumme Beine. Die Kinder
werfen ihn mit Steine. Aber Kinder bringt er keine.“
So unterschiedlich Inhalt und Genre der durch ihren Titel repräsentierten
Bücher sind und so unterschiedlich der Bekanntheitsgrad ihrer Autoren ist,
heißen sie nun Vicky Baum, Alice Berend, Heinz Faldi oder Johannes R.
Becher, eines eint sie: sie alle gehören zu den verbrannten Büchern, den
von den Nationalsozialisten aus den Büchereien und Bibliotheken verbannten
Büchern.
## Aufnahmen von rund 160 Buchcovern
[1][Annette Kelm, bekannt für ihre kühl-konzeptuell verfremdeten
Stillleben], hat die noch verbliebenen Exemplaren gesucht und so die
Vorderansicht von rund 160 Büchern fotografiert, immer im identischen
Abstand und immer mit dem identischen Licht, das für den schmalen
Schlagschatten am rechten Rand der Buchdeckel sorgt.
Dieser Schlagschatten und der neutral weiße Hintergrund, dazu die leichte
Vergrößerung der Bucheinbände mögen den Eindruck ihres Schwebens
hervorrufen. Gleichzeitig sind die Aufnahmen aber gestochen scharf, die
Bildsprache ist klar und nüchtern.
So wie sie uns die Restexemplare präsentiert, feiert Annette Kelm mit ihrer
Serie „Die Bücher“ also die Überlebenden, die Zeitzeugen einer liberalen,
aufgeklärten, intellektuell wachen, politisch und sozial engagierten,
gleichzeitig vom technischen Fortschritt und Komfort faszinierten
Großstadtkultur.
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, setzten sie
bekanntlich alles daran, diese urbane Gesellschaft zu zerstören. Die am 10.
Mai 1933 von nationalsozialistischen Studenten organisierte Verbrennung von
rund 30.000 Büchern auf dem Opernplatz in Berlin bedeutete nicht nur den
Auftakt zur Gleichschaltung der öffentlichen Meinung, sondern auch zur
Verfolgung und Vernichtung der verfemten Autoren und Autorinnen.
## Die konkreten Bücher, frisch aus der Druckerpresse
Über sie wird ja gerne gesagt, in ihren Büchern hätten sie den
Nationalsozialismus, die Konzentrationslager und den Holocaust überlebt,
und man meint damit ihre Texte, die, nachgedruckt und neu aufgelegt,
fortleben. Die konkreten Bücher meint man nicht, die, die sie – frisch aus
der Druckerpresse gekommen – stolz und nach geleisteter Anstrengung sicher
auch erleichtert in der Hand hielten und die sie später in den
Buchhandlungen signierten.
Steht man nun vor den 50 Fotografien, die Annette Kelm in Berlin zeigt,
kann man die großartige Idee nicht genug rühmen, just diese Bücher mit
ihren Spuren von Abnutzung und Schändung in den Fokus zu rücken und mit
ihrem Porträt auch das ihrer Schöpfer und Schöpferinnen heraufzurufen.
Wie könnte man schneller ein Bild des Schriftstellers Erich Kästner
bekommen als durch die telefonierende Giraffe mit dem Elektrostaubsauger,
die der Illustrator Walter Trier auf den Deckel ihres gemeinsamen
Bilderbuchs „Das verhexte Telefon“ von 1931 setzte?
Die Erfahrung der geradezu persönlichen Ansprache der Fotografien rührt
auch vom Ort der Ausstellung her, dem Salon Berlin in der Auguststraße.
Die schlichte Hängung in den Klassenzimmern der ehemaligen Jüdischen
Mädchenschule – in der sich die Außenstelle des [2][Frieder Burda Museums
aus Baden-Baden] ganz bewusst angesiedelt hat – lässt ein Gefühl der
Verletzlichkeit aufkommen, verstärkt noch durch die trügerische Idylle von
munterem Vogelgezwitscher, das durch vereinzelt geöffnete Fenster dringt,
am sonnigen Besuchstag.
15 Jun 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
zeitgenössische Fotografie
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Konzeptkunst
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Mode
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Fotografie
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