# taz.de -- Historiker über Bücherverbrennung: „Der Bibliothekar ließ sich… | |
> Vor 90 Jahren gab es auch in Meldorf Bücherverbrennungen. Das war ein | |
> Jahr später als im übrigen Deutschland – dabei war Dithmarschen | |
> NS-Hochburg. | |
Bild: „Wider den undeutschen Geist“: Studenten und SA-Lelute verbrennen am … | |
taz: Herr Binckebanck, warum brannten „verfemte“ Bücher in Meldorf erst | |
1934 – ein Jahr später als anderswo? Die Region Dithmarschen war doch früh | |
NSDAP-Hochburg. | |
Jens Binckebanck: Ja, das ist erstaunlich. Denn bei den Kommunalwahlen im | |
März 1933 hat die NSDAP im Bündnis mit der Deutschnationalen Volkspartei | |
(DNVP) und dem „Stahlhelm“ in Dithmarschen 77 Prozent der Stimmen bekommen. | |
Da hätte man meinen können, dass die Region bei der Aktion „Wider den | |
undeutschen Geist“ – den deutschlandweiten Bücherverbrennungen vom Mai 1933 | |
– sofort dabei gewesen wäre. Stattdessen brannten die aussortierten Bücher | |
der Meldorfer Stadtbücherei erst am 14.5.1934, also vor 90 Jahren. Und das | |
zwar nicht öffentlich im Heizungskeller der damaligen Knabenschule, der | |
heutigen Grundschule. Aber die Zeitung berichtet durchaus darüber. | |
Warum diese Verzögerung? | |
An der „Obrigkeit“ lag es nicht. Schon Ende April 1933 drängten die | |
Stadtverordneten darauf, jüdische, antinationale, pazifistische Literatur | |
aus der Stadtbücherei zu entfernen. Deren Leiter, Adrolf Hameyer, ließ sich | |
allerdings Zeit und sagte, er warte auf offizielle „Schwarze Listen“ des | |
preußischen Kultusministeriums. Erst im Juli 1933 hat er die Bücher | |
übergeben. Warum deren Verbrennung erst zehn Monate später stattfand, lässt | |
sich nicht rekonstruieren. | |
Wer war Hameyer? | |
Aus dem Schriftwechsel mit der Stadtverwaltung geht hervor, dass Hameyer | |
sehr zurückhaltend formulierte, sich nicht der Propagandasprache bediente | |
und auch nicht die damals üblichen NS-Grußformeln nutzte. | |
War er NSDAP-Mitglied? | |
Das geht aus den Akten nicht hervor. Bekannt ist aber, dass ihm – im Zuge | |
der „Beurteilung“, die alle Bibliotheksleiter betraf – eine politisch | |
korrekte Haltung attestiert wurde, sodass er seinen Job nicht verlor. | |
Trotzdem misstraute man ihm und stellte ihm zwei bürgerliche Mitglieder der | |
Bildungsausschusses zur Seite, die seine Arbeit „begleiten“ sollten. Im | |
Januar 1935 gab Hameyer sein Amt freiwillig auf. Er wurde durch einen | |
parteikonformen Leiter ersetzt. | |
Von wie vielen verbrannten Büchern reden wir? Und von welchen? | |
30. Die Liste ist erhalten und nennt unter anderem Remarque, Döblin, Arnold | |
und Stefan Zweig. Aus einigen dieser Werke werden wir bei der Veranstaltung | |
zum 90. Jahrestag der Meldorfer Bücherverbrennung lesen. Interessant ist, | |
dass diese „Schwarzen Listen“ des preußischen Kulturministeriums auf Listen | |
beruhten, die der Dithmarscher „Literaturkritiker“ Adolf Bartels schon in | |
den 1920er Jahren erstellt hatte. Er war schon in der Weimarer Republik | |
einer der einflussreichsten antisemitisch-völkischen „Literaturkritiker“, | |
der früh definierte, was ein „jüdischer“ Schreibstil sei, und forderte, | |
solche Autoren aus dem öffentlichen Bewusstsein zu entfernen. | |
Waren Bücherverbrennungen in der Peripherie häufig? | |
Es muss sie in ähnlichem Umfang gegeben haben wie in den Großstädten. Nur, | |
dass die von der Studentenschaft organisierten Verbrennungen etwa in | |
München oder Berlin öffentlichkeitswirksamer waren und von der | |
NS-Propaganda entsprechend genutzt wurden. Daher sind sie besser erforscht | |
als jene in kleinen Städten, die die HJ oder andere Unterorganisationen | |
initiierten. Zumindest für den norddeutschen Raum sind regionale | |
Verbrennungen bzw. „Säuberungen“ meines Wissens nicht systematisch | |
erforscht. | |
Wie gut war Meldorf erforscht? | |
In den 1980er Jahren hat Klaus Bohnsack im Zuge einer | |
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eine Geschichte der Stadtbücherei verfasst. Auf | |
diese in Vergessenheit geratene Schrift habe ich meine Recherche gestützt. | |
Ich belebe dieses Wissen also gewissermaßen wieder. | |
16 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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