| # taz.de -- „Schweigsame Frau“ in Staatsoper Berlin: Der Guckkasten wird kl… | |
| > Mit „Die schweigsame Frau“ bringt Christian Thielemann das einzige | |
| > Gemeinschaftswerk von Richard Strauss und Stefan Zweig an die Staatsoper | |
| > Berlin. | |
| Bild: Barbier Schneidebart (Samuel Hasselhorn) weiß vor Sir Morosus (Peter Ros… | |
| „In der Mitte dieses Platzes verbrannten am 10. Mai 1933 | |
| nationalsozialistische Studenten die Werke hunderter freier Schriftsteller | |
| […]“ steht auf den bronzenen Plaketten, die am Bebelplatz in den Boden | |
| eingelassen sind, um Flaneurinnen auf die Existenz des unterirdischen | |
| Mahnmals zur Bücherverbrennung hinzuweisen. Es bietet sich an, eine der | |
| zwei Pausen zwischen den drei Aufzügen von Richard Strauss’ „Die | |
| schweigsame Frau“ zu nutzen, um diesem Ort eine kleine Reverenz zu | |
| erweisen; denn hier, direkt neben dem Gebäude der Staatsoper unter den | |
| Linden, wurden auch Werke von Stefan Zweig verbrannt. | |
| „Die schweigsame Frau“ war die erste Strauss-Oper auf ein Libretto von | |
| Zweig, und aufgrund der Zeitumstände sollte es die einzige bleiben. Die | |
| Uraufführung fand noch 1935 statt („nachdem Hitler und Goebbels offiziell | |
| ihre Zustimmung gegeben“, wie der Komponist dem Textdichter schrieb), doch | |
| nach vier Vorstellungen wurde die Produktion abgesetzt. | |
| Die letzte Premiere der Saison 2024/25 ist für [1][Christian Thielemann] | |
| gleichzeitig die erste Opernpremiere, die er seit seinem Antritt als | |
| Generalmusikdirektor der Staatsoper Berlin leitet. Er selbst, der | |
| Strauss-Spezialist, hatte die Projektidee mitgebracht. Auch für die | |
| Staatsoper ist es eine Premiere, denn eine „schweigsame Frau“ hatten sie | |
| hier noch nie im Haus. Nun ist der Stoff, rein inhaltlich gesehen, nicht | |
| sehr günstig gealtert, wozu aber ergänzt werden muss, dass das Zweigsche | |
| Libretto (auf einem Stück des Renaissance-Dichters Ben Jonson basierend) | |
| geistreich und oft wundervoll komisch ist. | |
| Der weibliche Teil des Publikums honoriert das mit hellem Lachen – die | |
| Männer trauen sich nicht – an den misogynsten Textstellen. Die Intrige des | |
| Stückes basiert auf der Grundannahme der Hauptfigur, des alternden | |
| Ex-Kapitäns Morosus (Peter Rose), dass alle Frauen unerträglich | |
| schwatzhaft, laut und also nicht auszuhalten seien. | |
| Er bewegt sich souverän zwischen Sprechen und Gesang | |
| Der Alte hasst Lärm jeder Art, wozu auch Musik zählt. Als sein Neffe Henry | |
| (Siyabonga Maqungo) mit einer ganzen Musikerhorde zu Besuch kommt und | |
| offenbart, dass er das Studium geschmissen habe, um Sänger zu werden, | |
| beschließt Morosus, den Jungen zu enterben. Sein Barbier – toll gespielt | |
| von Samuel Hasselhorn, der souverän zwischen Sprech- und Gesangspassagen | |
| wechselt – schlägt ihm daher vor zu heiraten und verspricht, ihm eine | |
| wahrhaft schweigsame junge Frau zu finden. Gleichzeitig paktiert der | |
| Intrigant mit Henry und dessen KünstlerfreundInnen, die sich fortan in | |
| allerlei Verwandlungskünsten üben, um Morosus in eine Scheinehe zu locken, | |
| nach welcher er, so der Plan, den in Ungnade gefallenen Neffen umso lieber | |
| wieder aufnehmen würde. | |
| Regisseur Jan Philipp Gloger, der mit der Produktion sein Debüt an der | |
| Staatsoper gibt, versucht die Morosus’sche Misere mit der Gegenwart zu | |
| verbinden, indem er statistische Daten zu Einsamkeit im Alter sowie | |
| Fake-Wohnungsanzeigen auf den Pausenvorhang projizieren lässt. Die Wohnung, | |
| in der die gesamte Handlung spielt, hat er als Guckkasten auf die | |
| Hinterbühne bauen lassen. Dass er vorsichtshalber an einer Stelle eine | |
| Sängerin mit einem „Vorsicht, [2][Regietheater!]“-Schild auf die Bühne | |
| schickt, hilft da auch nicht mehr, denn die künstlich verengte Bühne ist so | |
| klaustrophobisch, dass sich darin jeder wirkliche Regieeinfall erübrigt. Es | |
| ist eh kein Platz da, um die DarstellerInnen wirkungsvoll agieren zu | |
| lassen. Sehr oft ist die gesamte Komödiantentruppe auf der Bühne, aber | |
| zwischen den Wänden der Morosus-Wohnung können die vielen Menschen | |
| höchstens im Kreis hintereinander her laufen oder einzeln auf der Stelle | |
| zappeln. | |
| Es ist schwer mitanzusehen. Manchmal, wenn Siyabonga Maqungo als Henry zu | |
| singen anhebt, beginnt man unwillkürlich zu hoffen, dass er mit diesem | |
| strahlenden Heldentenor, mit dem er die verdienten KollegInnen glatt an die | |
| Wand singt, diese Wände vielleicht zum Einsturz bringen könnte. Aber das | |
| gelingt ihm dann doch nicht – ebenso wenig der Staatskapelle und ihrem | |
| Dirigenten, die im Orchestergraben ihr Bestes tun, das mediokre | |
| Bühnengeschehen mit größtmöglicher musikalischer Raffinesse zu | |
| konterkarieren. | |
| ## Der Nachgeschmack eines Stilbruchs | |
| Thielemann kennt natürlich [3][seinen Strauss] und vergibt keine noch so | |
| kleine Farbnuance in der beständig changierenden Partitur. Der Komponist | |
| hat großzügig in die Palette gegriffen, bedient alle Ausdrucksformen | |
| zwischen Eben-mal-so-hingetupft und breitem Tschingderassa-Pinsel und | |
| integriert diverse musikalische Parodien. | |
| Manchmal kann es in der Oper die Lösung sein, die Augen zu schließen, um | |
| wenigstens den akustischen Teil des Abends zu genießen. Das funktioniert | |
| hier nicht, denn offenbar war es Strauss’ Absicht, die Musik so nah wie | |
| möglich am Geschehen entlangzuführen. Aller gestischen Extreme zum Trotz | |
| führt sie wenig eigene Geheimnisse mit. Das geht an sich in Ordnung; aber | |
| wenn sich neben dieser extrovertierten musikalischen Opulenz das Szenische | |
| so auffällig klein macht, bleibt der Nachgeschmack eines ungewollten | |
| Stilbruchs. | |
| 21 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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