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# taz.de -- Jüdische Familienfotos aus Nazi-Zeiten: Der private Blick der Verf…
> Das Museum Schöneberg zeigt Fotos von jüdischen Familien während der
> NS-Zeit. Sie dokumentieren den Willen nach etwas Normalität in grausamen
> Zeiten.
Bild: Aufnamen von Edith Schlomann; auf der linken Seite: am Strand von Swinem�…
Berlin taz | Eine junge Frau sitzt entspannt in einem Garten. Ein älteres
Ehepaar ist vor einem Haus im Grünen zu sehen, ein jüngeres steht eng
aneinander gelehnt auf einem Gartenweg. „Mutti und Papa kamen mit, um auf
uns beide aufzupassen“, steht dazu und wohl nicht ganz ernst gemeint in
weißer, gut leserlichen Schrift auf dem Trägerkarton des Albums. Die drei
schwarz-weißen Fotos strahlen in ihrer Privatheit einen tiefen Frieden aus.
Es sind Erinnerungen an eine schöne Zeit.
Eine junge Frau in inniger Umarmung mit einer Freundin an einem Sandstrand.
Dieselben Frauen im Laufschritt am Wasser, dazu zwei Fotos einer
Kleinfamilie im Wasser und in den Dünen. Hier, so scheint es, machen
Menschen einen unbeschwerten Urlaub an der Ostsee. Doch die handschriftlich
notierten Jahreszahlen unter den Fotos machen stutzig. Da ist vom Sommer
1937 die Rede und von Pfingsten 1938.
Dabei sind auf den Bildern keine NS-treuen Volksgenossen zu sehen, sondern
Menschen, die das Deutsche Reich auszutreiben und zu vernichten
beabsichtigt: Jüdinnen und Juden. Die Fotos entstammen dem Album von Edith
Schlomann. Nicht anders verhält es sich mit den Bildern aus dem Garten, auf
denen die Berliner Familie Chotzen und Ilse Schwarz zu sehen sind.
Robert Mueller-Stahl hat die Ausstellung mit den Fotoalben aus jüdischem
Besitz für das Museum Schöneberg kuratiert. Bei der Eröffnung der Schau
spricht er das Offensichtliche an, das die Bilder beim Betrachter auslösen:
Irritation. Ausgelöst wird sie von der Diskrepanz zwischen der historischen
Situation – dem Horror der Judenverfolgung – und dem, was da zu sehen ist:
dem tiefsten Frieden.
## Ja, auch diese Menschen wollten leben
Die Bilder zeigen auch eine Wirklichkeit, aber eine des Alltags und der
Nischen, die sich Jüdinnen und Juden bis zum Novemberpogrom 1938 selbst
schufen. Ja, auch diese Menschen wollten leben und ein kleines bisschen
glücklich sein. Ihre Träume verwirklichen und sich an die schönen Tage in
ihrem Leben erinnern – und sei es in einem Fotoalbum.
Deshalb dementieren diese Fotos aus sechs verschiedenen Alben auch nicht
die Verfolgung. Sie ergänzen das Bild, das wir uns vom Leben unter dem
NS-Regime machen, um den Aspekt des Privaten. Es sind „Zeugnisse des Lebens
inmitten von Vernichtung“, wie Mueller-Stahl sagt. „Das Leben festhalten“,
so lautet denn auch der Titel der Ausstellung, gewählt in dem Wissen, dass
viele der auf den Fotos abgebildeten Menschen nur wenige Jahre später
ermordet wurden.
In der Schau sind die Bilder klugerweise nicht nach den vormaligen
Besitzern der Alben sortiert, sondern nach Themengebieten. „Stadtleben“
geht dem Lebens- und Arbeitsalltag in Berlin nach. Da sind die Eltern am
Fenster zu sehen, eine Schlittschuhfahrt im Winter oder die Kinder im
Waisenhaus, mit denen der Fotograf zusammen aufwächst. In den Jahren vor
dem Pogrom (1938) und der Einführung des „Judensterns“ (1941) scheint
dieser Alltag noch einigermaßen möglich zu sein.
Doch schon im nächsten Kapitel wird deutlich, dass überall
Diskriminierungen und Einschränkungen lauern. Es ist dem Sport gewidmet,
den viele Verfolgte intensiv betreiben und der doch nicht mehr so betrieben
werden darf wie gewohnt. Denn deutschen Vereinen dürfen Jüdinnen und Juden
nicht länger angehören. Sie müssen sich in „jüdischen Clubs“ organisier…
bis auch diese verboten werden.
## „Juden sind im Luftkurort Fürstenberg nicht erwünscht
Auch die Reisemöglichkeiten werden mehr und mehr eingeschränkt. Helen Thilo
macht zu Pfingsten 1937 einen Kurzurlaub in Brandenburg. Dort fotografiert
sie als erstes ein Schild mit der Aufschrift „Juden sind im Luftkurort
Fürstenberg nicht erwünscht“. Darunter schreibt sie „Die erste Begrüßun…
Doch Thilo lässt sich nicht abschrecken. Auf dem nächsten Foto sieht man
einen Kaffeegarten. Darunter steht „Die zweite!“
Inbar Chotzen trägt den Namen einer der Familien, deren Bilder in
Schöneberg ausgestellt werden. Die Israelin hat lange nichts von diesem
Zweig ihrer deutschen Verwandtschaft gewusst. Ihrem Großvater Salo Chotzen
gelang es, 1939 nach Palästina auszuwandern, sagt sie. Erzählt habe er über
Berlin rein gar nichts, die deutsche Sprache blieb in der neuen Heimat
verpönt. Vor acht Jahren kam Inbar Chotzen als Touristin nach Berlin und
erst hier erfuhr sie von einer Historikerin die Geschichte.
„Es war ein Schock“, sagt sie. In Berlin habe sie erst begriffen, was ihr
die Nazis alles genommen hätten. Unter dem Kapitel „Verfolgung“ sieht man
Fotos von Bubi Chotzen, wie er 1940 als Zwangsarbeiter bei der Müllabfuhr
schuftet. „Berlin wird von Juden gereinigt“, hat er daneben auf den Karton
geschrieben. Bubi Chotzen hat nicht überlebt. Der Zweig der in Berlin
verbliebenen Familie wurde mit wenigen Ausnahmen ein Opfer der Schoa.
Die Malerin Inbar Chotzen versucht das damalige Geschehen in ihren Bildern
zu verarbeiten. Grundlage dafür sind die Fotos aus den Alben. „Mutter Elsa“
heißt eines ihrer Gemälde, das auf dieser Grundlage entstanden ist. „Die
Bilder wurden zum Zentrum meiner Arbeit“, sagt sie.
## Manche Alben wurden vergraben
So wie die Bilder eine andere Perspektive zeigen, so ist ihre Existenz ganz
speziellen Umständen geschuldet. „Keines der Alben ist einfach so erhalten
geblieben“, sagt Mueller-Stahl. Die Besitzer haben sie versteckt und
gehütet. Manche Alben wurden vergraben und nach der Befreiung wieder
ausgebuddelt. Sie befinden sich heute in der Obhut von Archiven und
Institutionen.
Es ist eine ganz besondere Schau, die in Schöneberg gezeigt wird. Sie
weitet unseren Blick auf das historische Geschehen um eine private
Perspektive, ohne die das Verhalten der Verfolgten nicht nachzuvollziehen
wäre. Sie trägt zur Aufklärung bei. Was gäbe es Positiveres über eine
Ausstellung zu sagen?
Die Ausstellung „Das Leben festhalten. Fotoalben jüdischer Familien im
Schatten des Holocaust“ ist bis zum 22.12.2024 im [1][Schöneberg Museum],
Hauptstraße 40/42, zu sehen. Öffnungszeiten: Sa. bis Do. 14–18 Uhr, Fr.
9–14 Uhr; der Eintritt ist frei.
23 Jun 2024
## LINKS
[1] https://museen-tempelhof-schoeneberg.de/das-leben-festhalten-fotoalben-jued…
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
Judenverfolgung
Nazis
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Antisemitismus
Schwerpunkt Europawahl
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