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# taz.de -- Historikerin über jüdische SportlerInnen: „Überlebt haben meis…
> Die Historikerin Frauke Steinhäuser hat ein Buch über die Schicksale
> Hamburger jüdischer SportlerInnen in der NS-Zeit veröffentlicht.
Bild: Starttraining von Leichtathleten des Sportvereins Bar Kochba 1930 in Hamb…
taz: Frau Steinhäuser, in welchen Sportvereinen waren Hamburger Jüdinnen
und Juden vor 1933 organisiert?
Frauke Steinhäuser: In jüdischen ebenso wie in paritätischen –
überkonfessionellen – Vereinen. Die jüdischen wurden um das Jahr 1900
gegründet. Wer bis dahin Sport in einem Verein treiben wollte, musste sich
einem paritätischen anschließen. Das waren oft deutschnational orientierte
Vereine in der Tradition der von Friedrich Ludwig Jahn ins Leben gerufenen
[1][Turnbewegung.] Sie dienten vor allem der körperlichen Ertüchtigung
junger Männer für den Kampf gegen den [2][„Erbfeind Frankreich“.] Die
paritätischen Turnvereine des 20. Jahrhunderts waren aber nicht mehr
explizit paramilitärisch ausgerichtet. Und ab Ende des 19. Jahrhunderts
schwappten aus England ohnehin „moderne“ Sportarten herüber, bei denen es
nicht um Gleichschritt ging, sondern um Wettkampf – etwa beim Fußball.
Wann entstanden Hamburgs erste jüdische Sportvereine?
Der erste entstand 1899, ein – nur für Männer gedachter – „Turncursus�…
gegründet von ehemaligen Schülern der Talmud-Tora-Schule und des
Israelitischen Jugendbundes. Er war in der jüdischen Community umstritten.
Denn manche sagten: Wir wollen doch Assimilation, wieso gründet ihr jetzt
einen eigenen Verein? Neben dem Bedürfnis, mit anderen Juden zusammen Sport
zu treiben, werden aber auch [3][Antisemitismuserfahrungen] in
paritätischen Vereinen ein Auslöser gewesen sein. Der „Cursus“ entwickelte
sich dann zur „Jüdischen Turnerschaft von 1902“.
Wo stand dieser Verein politisch?
Auf dem Boden der [4][Deutschen Turnerschaft]. Er verstand sich nicht als
zionistisch oder nationaljüdisch, sondern als Zusammenschluss assimilierter
Juden, die sich in erster Linie deutsch fühlen.
Er blieb nicht der einzige jüdische Sportverein.
Nein. 1910 wurde Bar Kochba gegründet, benannt nach dem Anführer des
jüdischen Aufstands von 132 n. Chr. gegen das Römische Reich, Simon bar
Kochba. Bar Kochba war ein ausdrücklich zionistisch ausgerichteter Verein,
dessen Mitglieder einen eigenen jüdischen Staat forderten und deren
vorrangiges Ziel es nicht war, sich der deutschen Mehrheitsgesellschaft
anzupassen.
War Bar Kochba beliebt?
Ja. Der Verein gewann schnell viele Mitglieder. Das lag auch daran, dass
man – anders als die nichtjüdischen Vereine – schon vor 1919 Frauen
aufnahm, mit passivem und aktivem Wahlrecht. Fast die Hälfte der Mitglieder
waren Frauen. Gegen das antisemitische Klischee des schwächlichen
„Bücherjuden“ wollte man zudem das Konzept des „Muskeljuden“ setzen un…
unter anderem Boxen an.
Und wo verortete sich die jüdische Sportgruppe Schild?
Sie hat sich 1933 gegründet und war ausdrücklich nicht zionistisch
ausgerichtet. Ihre Mitglieder glaubten anfangs noch, dass sie sich mit der
NSDAP arrangieren könnten. Dass sie zum Beispiel bei der Zuteilung von
Sportstätten genauso berücksichtigt würden wie die nichtjüdischen Vereine.
Denn sie waren deutschnational ausgerichtet, fühlten sich assimiliert,
waren im Ersten Weltkrieg Frontkämpfer gewesen und wollten eigentlich
keinen jüdischen Sportverein gründen. Aber da die paritätischen Vereine
jüdische Mitglieder bald nach der Machtübergabe an die NSDAP ausschlossen,
sahen sie sich gezwungen, einen eigenen Verein zu gründen.
Wann entstanden jüdische Arbeitersportvereine?
Ab 1931. Schon 1933 wurden sie aber – gemäß der NS-Ideologie – zusammen m…
allen anderen Arbeitersportvereinen als „marxistisch“ verboten.
Ab wann schlossen die paritätischen Vereine Jüdinnen und Juden aus?
Ab Ende März 1933, also fast unmittelbar nach der Machtübergabe an die
NSDAP. Sie taten es in vorauseilendem Gehorsam: Es gab noch kein
entsprechendes Gesetz, und der Reichssportwart überließ es noch im Herbst
1933 den Vereinen selbst, „nichtarische“ Mitglieder auszuschließen. Einzige
Regel: Sie durften in paritätischen Vereinen keine Funktionärsposten
bekleiden.
Gab es paritätische Vereine, die keine Juden ausschlossen?
Ich habe für Hamburg keine gefunden. Der Unterschied lag nur im Zeitpunkt,
das heißt, ob sie es gleich 1933 taten oder „erst“ 1938. Dabei hätten sich
die Vereine ja auch auflösen können, um Jüdinnen und Juden nicht
ausschließen zu müssen.
War der Ausschluss nicht ein Schock für die Betroffenen?
Natürlich. Ich habe rund 30 Interviews ausgewertet, die die „Werkstatt der
Erinnerung“ der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte mit
Holocaust-Überlebenden geführt hat. Da erzählen einige, wie furchtbar es
war, dass sie plötzlich nicht mehr mit den anderen Kindern und Jugendlichen
zusammen sein durften. Schwer war es auch für diejenigen, die sich als
deutschnational verstanden und sich mit dem Deutschen Reich
identifizierten.
Bekamen die jüdischen Vereine ab 1933 noch Hallen und Stadien zugeteilt?
Ja, aber sie waren zweitrangig. Immer wieder mussten Fußball- und
Handballspiele, auch Sportfeste kurzfristig abgesagt werden, weil das Spiel
eines paritätischen Vereins Vorrang hatte. Die [5][jüdischen Vereine] haben
schnell gemerkt, dass sie eigene Plätze brauchten. Bar Kochba hat seinen
Hockeyplatz in Bramfeld nach 1933 ausgebaut, damit auch andere Sportarten
stattfinden konnten. Die Sportgruppe Schild und Blauweiß haben neue Plätze
gepachtet.
Wann lösten sich auch die bürgerlichen jüdischen Sportvereine auf?
Nach dem [6][Novemberpogrom 1938] durften sie ihren Sport nicht mehr in der
Öffentlichkeit ausüben. In der Folge lösten sich die wenigen noch
existierenden jüdischen Vereine auf. Nur aus der Sportgruppe Schild
entstand 1939 noch die „Jüdische Sportgemeinschaft“, die sich aber 1941
auch auflöste.
Wie viele dieser SportlerInnen überlebten den Holocaust?
Von den 186 Menschen, deren Biographien ich fast alle erstmals recherchiert
und verschriftlicht habe, konnten 137 rechtzeitig emigrieren und überlebten
– vor allem die Jüngeren. Einige ältere haben es nicht mehr geschafft,
darunter Mitglieder des Hamburger Schachklubs.
18 Sep 2022
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## AUTOREN
Petra Schellen
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