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# taz.de -- Fußball in der NS-Zeit: Inszenierung und Ausschluss
> Eine Ausstellung in Berlin beschäftigt sich mit Fußball in der NS-Zeit.
> Es geht um Propaganda, die Gleichschaltung der Klubs und Lagersport.
Bild: Tottenham, 3. Dezember 1935: Deutsche Fussballspieler beim Training
Berlin taz | Ein schönes Foto ist das nicht, und eine Fußballszene ist
darauf auch nicht dokumentiert, aber es ist ganz wichtige Sportgeschichte.
Menschen sind von hinten zu sehen, wie sie vor dem Eingang des
Fußballstadions von Tottenham Hotspur an der White Hart Lane stehen. Am
oberen Bildrand, ganz weit entfernt, auf dem Oberrang des Stadions, sieht
man Menschen, die den Hitlergruß zeigen.
Es geht um ein Länderspiel Englands gegen Deutschland im Jahr 1935, und es
geht um antifaschistischen Widerstand. Etliche Gruppen hatten gegen den
Auftritt der damals noch von Reichstrainer Otto Nerz betreuten Truppe
protestiert.„Diese Nazis“, heißt es in einem Flugblatt, „werden nur zu
einem einzigen Zweck hierher geschickt, und zwar zu politischer
Propaganda.“ Offiziell bestritt das NS-Regime diesen Zweck. Aber intern war
klar, dass die Regierung in Berlin im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936
Tausende von Fußballanhängern nach London geschickt hatte, um für Akzeptanz
für das „Dritte Reich“ zu werben.
An diese Geschichte erinnert das beschriebene Foto und das Flugblatt [1][in
der Ausstellung „Sport. Masse. Macht“], die derzeit in Berlin im
Olympiapark, nahe dem Olympiastadion, zu sehen ist und die den Untertitel
„Fußball im Nationalsozialismus“ trägt.
Schon das Gelände steht im Kontrast zu dem, was im Gebäude gezeigt wird:
Bauten, die für Olympia 1936 gebaut wurden und seither kaum bis gar nicht
verändert Zeugen des Nationalsozialismus sind. Diese Ästhetik wollen die
Austellungsmacherinnen um Kuratorin Yvonne Zindel und die Leiterin des
Berliner Sportmuseums, Veronika Springmann, aufbrechen.
Vom Film „Das große Spiel“ (1942) etwa wird nicht das Ergebnis gezeigt:
blonde, arische Fußballrecken. Sondern es wird ein Foto dokumentiert, wie
die als Schauspieler verpflichteten Fußballer, allesamt Spitzensportler des
Deutschen Reiches, dort für die Kamera den „Hitlergruß“ üben. Gezeigt wi…
also nicht der „schöne Schein“, sondern wie dieser inszeniert wurde.
## Innovative Museumspädagogik
Das ist das Gestaltungsprinzip dieser Ausstellung, die im Rahmen des
Kulturprogramms der EM angeboten wird. Es werden etwa auch keine
Originalpokale ausgestellt, wie das in Sportmuseen so oft der Fall ist. Die
Pokale, die es in Berlin zu sehen gibt, wurden im 3D-Drucker nachproduziert
und sie sind berührbar. Die „Victoria“ etwa, bis Kriegsende der
Meisterpokal im deutschen Fußball, 1945 verschollen und nach 1990 wieder
aufgetaucht, darf hier betatscht werden.
Oder der „Tschammer-Pokal“, Vorläufer des DFB-Pokals und gestiftet vom
Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten – dessen Villa auf dem
Olympiagelände heute noch steht – kann ebenfalls mit den Händen erfühlt
werden. „Wir wollten weg von dem Fetisch, den Pokale so oft in der
Sportwelt haben“, sagt Yvonne Zindel.
Das gilt erst recht für Trouvaillen, die von einer anderen Sportgeschichte
erzählen. Etwa von einem Fußballpokal, um den Häftlinge im KZ Sachsenhausen
spielten. Wie sehr der Sport den Häftlingen half, im KZ ihre Würde zu
bewahren, wird durch die haptische Erfahrung, die man mit dem Pokal machen
kann, etwas besser verständlich.
[2][Tatsächlich gab es Sport im KZ] – teils als sadistische Belustigung für
SS-Wachleute, teils aber auch von Häftlingen selbst organisiert. Um die
Vielschichtigkeit dieses Themas – und auch anderer behandelter Themen –
darstellen zu können, wurde zum Mittel der Graphic Novel gegriffen.
Textlich und grafisch soll die Ambivalenz und die Bedeutung von Fußball im
KZ beschrieben werden.
## Verbotene Vereine
In einer anderen Abteilung der Ausstellung werden Trikots ausgestellt. Es
sind die Sportsachen von Vereinen, die die Nazis verboten haben. 1933 wurde
das Aus für konfessionelle und Arbeitersportvereine verkündet, [3][Juden
wurden aus den „arischen“ Klubs geworfen], durften aber in eigenen Vereinen
weiter Sport treiben – aus Rücksicht auf Olympia 1936, das das NS-Regime
auf keinen Fall gefährden wollte. Die Trikots zeigen das Alltägliche des
gemeinsamen Sports, das die Nazis aufkündigten und untersagten.
Über viel mehr müsste hier berichtet werden, wie „Sport. Masse. Macht“ auf
museumspädogisch innovative und auf sporthistorisch fundierte Weise sich
des schwierigen Themas nähert. Etwa über Biografien ausgesuchter Sportler
oder über Bezüge zur Aktualität, wo und wie sich Zivilgesellschaft, oft
sind es Ultras, heute gegen Rassismus und Antisemitismus im Fußball stellen
– und welche Widerstände sie erfahren, etwa mit dem Hinweis, Politik habe
im Stadion nichts verloren.
Das Länderspiel England-Deutschland am 4. Dezember 1935 endete übrigens 3:0
für England. Das NS-Regime wollte so zeigen, dass es für fairen Sport
stand. Von den antifaschistischen Protesten gegen dieses Spaktakel hingegen
existieren heute nur noch schlechte Fotos.
Sport. Masse. Macht. Fußball im Nationalsozialismus - geöffnet täglich von
10-18 Uhr, Olympiapark Berlin, Haus des Deutschen Sports, Hanns-Braun
Straße, Berlin
14 Jul 2024
## LINKS
[1] https://sport-masse-macht.de/
[2] /Fussball-im-KZ-Theresienstadt/!5465984
[3] /Hitlers-Machtuebernahme-und-Sport/!5909140
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
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