| # taz.de -- Janine Wissler über die Krise der Linken: „Keine fünfte Kolonne… | |
| > Die Chefin der Linkspartei spricht über das Ringen um die richtige | |
| > Haltung zum Ukrainekrieg. Außerdem äußert sie sich zu MeToo-Vorwürfen in | |
| > den eigenen Reihen. | |
| Bild: „Ich bin harte politische Auseinandersetzungen gewohnt“, sagt Janine … | |
| taz: Acht Mal in Folge hat die Linkspartei nun bei Wahlen verloren. In | |
| Schleswig-Holstein landete sie unter und [1][jetzt in NRW] nur knapp über 2 | |
| Prozent. Halten Sie den Weg zur Splitterpartei noch für aufhaltbar? | |
| Janine Wissler: Ja. | |
| Warum? | |
| Vollkommen klar, dass das [2][ganz bittere Wahlniederlagen] gewesen sind. | |
| Aber die Linke hat immer noch ein Fundament. Es gibt vielerorts aktive | |
| Kreisverbände mit einer kommunalpolitischen Verankerung, die Linke ist in | |
| neun Landtagen vertreten, an vier Landesregierungen beteiligt und in | |
| Thüringen sind wir nach wie vor stärkste Kraft. | |
| Deswegen glaube ich, dass wir aus dieser schwierigen Situation wieder | |
| rauskommen können. Wir haben es selbst in der Hand. Wir müssen endlich die | |
| Themen, die uns ausmachen, wieder nach vorne stellen und mehr mit einer | |
| Stimme sprechen. Schauen Sie sich an, was Menschen unter dem Hashtag | |
| #IchBinArmutsbetroffen berichten, darüber wie Armut in diesem reichen Land | |
| aussieht. Den Bedarf nach einer linken Partei gibt es. Ich höre immer | |
| wieder: Ich will euch ja wählen, macht es mir doch nicht so schwer. | |
| In allen zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen scheint der | |
| [3][Linkspartei nicht mehr die Vermittlung zu gelingen], wofür sie | |
| eigentlich steht – egal ob es um Migration, die Klimapolitik, | |
| Minderheitsschutzrechte, Corona oder [4][nun den Ukrainekrieg] geht. Was | |
| bleibt da noch? | |
| Wir müssen die Gemeinsamkeiten wieder in den Blick nehmen und nach vorne | |
| stellen. Wenn wir sich widersprechende Botschaften nach außen geben, dann | |
| wissen die Leute irgendwann nicht mehr, für was wir stehen. Wenn man zehn | |
| Sekunden Zeit hat, etwas über die Linke in eine Fernsehkamera zu sagen, | |
| dann sollte man nicht die eigene Partei kritisieren, sondern darüber | |
| sprechen, für was wir inhaltlich stehen und was wir erreichen wollen. Ich | |
| möchte, dass die Mitglieder wieder stolz sein können auf ihre Partei und | |
| ihre Abgeordneten. | |
| Seit Jahren wird das öffentliche Bild der Linkspartei geprägt von dem | |
| [5][Konflikt mit Sahra Wagenknecht] und ihrem Anhang. Ihre Medienpräsenz | |
| nutzend hat sie es geschafft, den Eindruck zu vermitteln, die Linkspartei | |
| werde von einem Haufen Lifestyle-Linker dominiert, der sich nicht mehr für | |
| die Sorgen und Nöte von Werktätigen und sozial benachteiligten Menschen | |
| interessiere. | |
| Soziale Gerechtigkeit ist unser absolutes Schwerpunktthema. Das ist | |
| offenkundig, wenn man sich unsere Initiativen in den Parlamenten, unsere | |
| Homepage oder Presseerklärungen ansieht. Der Kampf um soziale Gerechtigkeit | |
| und gegen alle Formen von Diskriminierung gehört zusammen. Ich kann diese | |
| ganze Debatte um angebliche Lifestyle-Linke in der Linken nicht | |
| nachvollziehen. Ich wünsche mir von jedem Abgeordneten und jeder | |
| Abgeordneten, dass sie den politischen Gegner ins Visier nehmen und sich | |
| nicht an der eigenen Partei abarbeiten. | |
| Woher kommt die Mutlosigkeit, den Konflikt mit Wagenknecht & Co. nicht | |
| klären zu wollen, obwohl der [6][Bruch nicht zu kitten] ist und die | |
| Linkspartei zerreibt? | |
| Für uns stehen einige inhaltliche Klärungsprozesse an, wie zur Frage der | |
| sozial-ökologischen Transformation und dem nachhaltigen Umbau der | |
| Industrie. Wir müssen als konsequente Friedenspartei wahrgenommen werden | |
| und [7][auf dem Parteitag im Juni] unzweideutig klarstellen: Wer einen | |
| verbrecherischen Angriffskrieg führt, den kritisieren wir aufs Schärfste. | |
| Da machen wir auch keinen Unterschied, wer ihn führt. | |
| So wie wir stets völkerrechtswidrige Kriege der USA abgelehnt haben, | |
| verurteilen wir jetzt in Wort und Tat genauso, dass Russland die Ukraine | |
| überfallen hat. Menschenrechte gelten für alle: für die Häftlinge in | |
| Guantanamo wie für chinesische Gewerkschafter oder russische | |
| Oppositionelle, die drangsaliert werden. Wir messen nicht mit zweierlei | |
| Maß. Daran dürfen wir keinen Zweifel lassen. | |
| Trotzdem wird die Linkspartei von manchen als fünfte Kolonne Putins | |
| wahrgenommen. | |
| Eine fünfte Kolonne Putins waren und sind wir in keiner Weise. Niemand in | |
| der Linken heißt diesen Krieg gut oder stellt sich an die Seite der | |
| russischen Regierung. Selbstkritisch muss man feststellen: Schon vor dem | |
| Angriff auf die Ukraine gab es die brutalen Kriege Russlands in | |
| Tschetschenien, in Georgien, in Syrien, die Unterstützung der Diktaturen in | |
| Belarus und Kasachstan, das Verbot von Memorial und die Unterdrückung der | |
| Opposition. Da hätte unsere Kritik lauter sein müssen. | |
| Laut ihrem [8][Grundsatzprogramm] will die Linkspartei die Nato auflösen | |
| und ein kollektives Sicherheitssystem unter Einbeziehung Russlands. Ist das | |
| noch zeitgemäß? | |
| Dieser Krieg hat natürlich die gesamte Sicherheitssituation in Europa | |
| völlig verändert. Das ändert aber nichts daran, dass die Angriffskriege der | |
| Nato, etwa im Kosovo oder von Nato-Mitgliedsstaaten im Irak, falsch waren | |
| und es nach Ende der Blockkonfrontation eine gemeinsame Friedensordnung mit | |
| dem Ziel der Abrüstung und Nichtangriffsfähigkeit gebraucht hätte, statt | |
| einer Ausweitung des Militärbündnisses Nato. Eine weltweite Friedensordnung | |
| und Abrüstung bleiben notwendig. Aber das ist derzeit leider in weite Ferne | |
| gerückt. | |
| Im [9][Leitantrag für den Parteitag] heißt es, die Linkspartei nehme keine | |
| Verletzungen des Völkerrechts hin und stünde an der Seite der Menschen, die | |
| sich gegen Diktaturen einsetzen. Wie passt das mit der Ablehnung von | |
| Waffenlieferungen an die Ukraine zusammen? | |
| Russland führt in der Ukraine einen verbrecherischen Angriffskrieg. Unsere | |
| Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die um ihr Leben fürchten, | |
| die in die Flucht getrieben werden. Ich kann die Befürwortung von | |
| Waffenlieferungen emotional nachvollziehen, aber ich unterstütze diese | |
| Forderung nicht. | |
| Meine Befürchtung ist, dass das letztlich zu mehr Opfern und einer weiteren | |
| Eskalation führen wird. Schon jetzt greifen russische Spezialeinheiten | |
| Waffentransporte an und bombardieren Bahnlinien. Das kann den Krieg weiter | |
| nach Westen verlagern, dorthin wo hunderttausende Geflüchtete sind, und die | |
| humanitäre Versorgung gefährden. Eine weitere Eskalation muss verhindert | |
| werden, die droht, wenn Deutschland und andere Nato-Staaten die ukrainische | |
| Armee an schwerem Gerät ausbilden und damit selbst Konfliktpartei werden. | |
| Dann liegen also Bodo Ramelow und Gregor Gysi – mit der Einschränkung, die | |
| Waffen sollten aufgrund der deutschen Geschichte aus anderen Ländern kommen | |
| – falsch, die sich beide für Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen? | |
| Ich habe gesagt, was die Position der Linken dazu ist – und ich habe es | |
| auch nicht so verstanden, dass die beiden für die Lieferung von schweren | |
| Waffen sind. | |
| In Umfragen zeigen sich mehr als 40 Prozent der Bevölkerung ablehnend | |
| gegenüber der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Wieso landen die | |
| nicht bei der Linkspartei? | |
| Wir haben bei vielen unserer inhaltlichen Positionen eine deutlich größere | |
| Zustimmung als die Partei bei Wahlen an Stimmen bekommt. Das gilt für die | |
| Steuerpolitik, die Rente, die Bürgerversicherung und auch für das 100 | |
| Milliarden schwere „Sondervermögen“ für die Bundeswehr, das von sehr viel… | |
| Menschen skeptisch gesehen wird, aber im Bundestag nur von uns abgelehnt | |
| wird. Dass uns nicht alle diese Menschen ihre Stimme geben wollen, liegt | |
| auch an uns selbst, an unserem Auftreten. | |
| Während Russland Krieg in der Ukraine führt, findet an diesem Samstag in | |
| Berlin ein Kongress unter dem Titel „Ohne Nato leben – Ideen zum Frieden“ | |
| statt, zu dem auch Bundestagsabgeordnete der Linkspartei aufrufen. Ist das | |
| nicht eine etwas merkwürdige Prioritätensetzung? | |
| Ich kenne den Aufruf im Wortlaut nicht. Das ist eine Konferenz, die nicht | |
| von der Partei Die Linke veranstaltet wird, weder inhaltlich noch | |
| organisatorisch. Grundsätzlich gilt: Wer heute eine Konferenz für Frieden | |
| veranstaltet, muss sehr deutliche Worte zur Aggression Russlands finden. | |
| Putin spricht davon, dass die Staatlichkeit der Ukraine ein Fehler der | |
| russischen Revolution war und er diesen „Fehler“ korrigieren will. Das ist | |
| imperialistisches Großmachtstreben, das wir als Linke ablehnen. | |
| Das heißt nicht, dass man die Nato nicht mehr scharf kritisieren sollte, | |
| aber es gibt keinerlei Rechtfertigung und Entschuldigung für diesen | |
| Angriffskrieg. | |
| Es scheint so, dass die Linkspartei derzeit mit zu vielen Krisen zu kämpfen | |
| hat. Jetzt wird sie auch noch [10][von #LinkeMeToo erschüttert]. Hat die | |
| Linkspartei ein Sexismus-Problem? | |
| Sexismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und natürlich gibt es das | |
| auch in der Linken. Gerade wir als linke Partei müssen aber einen besonders | |
| hohen Anspruch an uns selbst haben. Wir müssen alles dafür tun, um in der | |
| Partei ein Klima zu schaffen, in dem Frauen nicht sexistischen Sprüchen | |
| oder gar Übergriffen ausgesetzt sind. Deswegen haben wir inzwischen eine | |
| externe Expertinnenkommission eingesetzt, mit einer erfahrenen | |
| Rechtsanwältin und einer erfahrenen Psychologin, die beide seit vielen | |
| Jahren mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt arbeiten. | |
| Haben Sie das Problem unterschätzt? | |
| Es war ein Fehler, dass wir das nicht schon früher gemacht haben. Ich | |
| ermuntere alle Betroffenen ausdrücklich, sich an diese Kommission zu | |
| wenden, damit man solche Fälle aufarbeiten kann. | |
| Bei #LinkeMeToo stehen auch Sie persönlich in der Schusslinie. Ihnen wird | |
| vorgeworfen, 2018 die Hilferufe einer jungen Frau nicht gehört zu haben, | |
| der Ihr damaliger Lebensgefährte nachgestiegen ist. | |
| Ich habe eine ausführliche persönliche Stellungnahme dazu abgegeben. | |
| Fällt es Ihnen schwer, darüber zu sprechen? | |
| Es geht hier um mein Privatleben, eine persönliche Verletzung, und mir wird | |
| etwas unterstellt, was ich nicht getan habe. | |
| Wie war es denn tatsächlich? | |
| Im Mai 2018 teilte mir eine Frau mit, dass sie eine Affäre mit meinem | |
| damaligen Lebensgefährten hatte. Nicht nur aufgrund des großen | |
| Altersunterschieds fand ich das äußerst befremdlich. Zum Zeitpunkt, als ich | |
| davon erfuhr, war sie volljährig. Im August 2018 hat sie mir dann | |
| mitgeteilt, dass dieses Verhältnis entgegen anderslautender Versicherungen | |
| meines damaligen Partners fortbesteht. | |
| Sie können sich vorstellen, dass mich das zutiefst verletzt hat. Ich habe | |
| die Frau daraufhin angerufen. Der Vorwurf der sexuellen Belästigung wurde | |
| mir gegenüber nicht geäußert. Nach dem Ende meiner Beziehung sind die | |
| beiden weiterhin zusammen gewesen, offenbar noch weit ins Jahr 2019 hinein. | |
| Und ich habe seit September 2018 nie wieder etwas von der Frau gehört – bis | |
| Ende letzten Jahres. | |
| Das ist die Geschichte? | |
| Ja. Die Frau hat mir damals noch geschrieben, dass ihr das alles leid tue. | |
| Aus allen Wolken bin ich gefallen, als sie über drei Jahre später den | |
| Vorwurf erhoben hat, es sei zu sexuellen Übergriffen gekommen und ich würde | |
| meinen Ex-Partner schützen. Ich weiß nicht, was in dieser Beziehung | |
| geschehen ist, die ja offenbar fast zwei Jahre lang dauerte. Aber nach | |
| allem, was passiert ist, hatte und habe ich keinen Anlass, ihn zu schützen. | |
| Als ich Ende letzten Jahres von den Vorwürfen erfahren habe, habe ich | |
| umgehend die zuständigen Parteigremien informiert. | |
| Trotzdem erhebt die junge Frau die Vorwürfe gegen Sie. | |
| Ich verstehe das nicht. | |
| Sie haben stets versucht, Ihr Privatleben aus der Öffentlichkeit | |
| fernzuhalten. Jetzt wird darüber groß und breit diskutiert. Wie schmerzhaft | |
| ist das für Sie? | |
| Natürlich ist das schmerzhaft. Und ich bin ja harte politische | |
| Auseinandersetzungen gewohnt, unter anderem mit der Hessen-CDU. Als ich | |
| 2008 das erste Mal in den hessischen Landtag gewählt wurde, war mir klar, | |
| dass ich eine große Verantwortung habe. | |
| Mir war bewusst, dass jedes persönliche Fehlverhalten einer | |
| Fünfprozentpartei das Genick brechen kann. Entsprechend habe ich immer sehr | |
| darauf geachtet, mir nichts zuschulden kommen zu lassen und keine Fehler zu | |
| machen. Ich habe jede Fahrtkostenabrechnung eigenhändig gemacht, damit da | |
| bloß nichts schief geht. Jetzt werde ich für etwas verantwortlich gemacht, | |
| was hinter meinem Rücken passiert ist. | |
| Der Druck auf Sie ist groß. Werden Sie auf dem Parteitag im Juni erneut für | |
| den Parteivorsitz kandidieren? | |
| Wenn man Parteivorsitzende ist, ist der Druck grundsätzlich immer groß. Die | |
| letzten Monate waren da sicher besonders hart. Aber Sie sehen ja, ich bin | |
| da. Auch wenn das Wort vielleicht etwas pathetisch klingt: Ich empfinde es | |
| als Ehre, als Vorsitzende der Linken gewählt worden zu sein. Und ich will | |
| alles dafür tun, dass unsere Partei wieder auf die Beine kommt. Ich will, | |
| dass die Mitglieder wieder stolz auf ihre Partei sein können, wenn sie | |
| morgens in die Zeitung schauen. | |
| Das heißt, Sie kandidieren erneut? | |
| Da gibt es im Moment noch nichts zu verkünden. Ich führe viele Gespräche. | |
| Wichtig ist, dass ein gutes Team zustande kommt. Das brauchen wir jetzt. | |
| 19 May 2022 | |
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