# taz.de -- „Es geht nicht drunter und drüber“ | |
> Auch Soldaten dürfen ihrem Gewissen folgen, entschied das | |
> Bundesverwaltungsgericht. Bei rechtlich fragwürdigen Einsätzen ist nun | |
> die Bundeswehr beeinträchtigt. Zu Recht | |
taz: Herr Rose, Soldaten dürfen aus Gewissensgründen Befehle verweigern. | |
Dies hat das Bundesverwaltungsgericht letzte Woche entschieden. Eine | |
Genugtuung für kritische Offiziere wie Sie? | |
Jürgen Rose: Ja, es ist ein epochales Urteil. Denn es erkennt an, dass auch | |
ein Soldat ein Gewissen hat. Bisher dachte man bei der Bundeswehr: Entweder | |
einer ist Soldat, dann gibt es auch kein Wenn und Aber mehr – oder er | |
verweigert den Kriegsdienst, dann muss er die Uniform ganz ausziehen. | |
Aber der „Staatsbürger in Uniform“ ist doch schon lange das Leitbild der | |
Bundeswehr. Was aber ist an diesem Urteil neu? | |
Natürlich kann man sagen, das steht schon so in der Verfassung und im | |
Soldatengesetz. Aber dass all die schönen Grundsätze auch im Kriegsfall | |
wirklich gelten, das ist eine ganz wichtige Klarstellung. | |
Der Bundeswehrverband will jetzt prüfen, ob eine Einschränkung der | |
Gewissensfreiheit für Soldaten nötig ist, um die Funktionsfähigkeit der | |
Bundeswehr zu bewahren. | |
Dort buchstabiert man SOLDAT offensichtlich so: Soll Ohne Langes Denken | |
Alles Tun. Der Bundeswehrverband hat wohl noch nichts vom Dritten Reich | |
gehört, vom „Aufstand des Gewissens“ der Offiziere, die versucht haben, | |
Hitler zu stürzen. | |
Wir haben hier doch keinen Faschismus, oder? | |
Natürlich nicht. Aber es ist eben ein Widerspruch, dass die Attentäter des | |
20. Juli 1944 in der Bundeswehr durchaus geehrt werden, aber wenn ein | |
Soldat wirklich mal vom Gewissen als letzter Instanz Gebrauch macht, sind | |
ganz viele gleich entsetzt. | |
Kann der Soldat also seinem Gewissen folgen wie ein Normalbürger? | |
Nein, so weit will auch ich nicht gehen. Wer Soldat wird, trifft eine | |
prinzipielle Gewissensentscheidung für die Mitwirkung in einer Armee, | |
soweit sie sich eindeutig im Rahmen der Verfassung und des Völkerrechts | |
verhält. | |
Was heißt das konkret? | |
Wenn die Bundeswehr zur Verteidigung des eigenen oder eines anderen | |
angegriffenen Landes eingesetzt wird oder mit Mandat des UN-Sicherheitsrats | |
in anderen Fällen, dann muss der Truppeneinsatz an sich von den Soldaten | |
akzeptiert werden. Für eine Gehorsamsverweigerung ist dann nur noch Raum, | |
soweit es um die Art der Kriegsführung geht, zum Beispiel die Nutzung von | |
geächteten Waffen. | |
Ein Angriffskrieg ohne UNO-Mandat darf aber generell in Frage gestellt | |
werden? | |
Ja. Eindeutig völkerrechtswidrige Befehle sind sogar stets unzulässig und | |
deshalb nicht zu befolgen. Da kommt es auf das Gewissen des Einzelnen | |
eigentlich gar nicht an. Das Gewissen als Maßstab ist vor allem dann | |
wichtig, wenn wir uns in einer Grauzone befinden, wo es fraglich ist, was | |
zulässig ist und was nicht. | |
Zum Beispiel bei einer Intervention ohne UNO-Mandat zur Befriedung eines | |
Bürgerkriegs? | |
Genau. Ich persönlich halte solche humanitären Interventionen zwar wegen | |
der Missbrauchsgefahr für unzulässig, aber das ist unter Völkerrechtlern | |
umstritten. In solchen Grauzonen kann ein Soldat aber zumindest nicht | |
gezwungen werden, gegen sein Gewissen an einem Krieg teilzunehmen oder | |
diesen zu unterstützen. | |
Major Pfaff hat für die Bundeswehr ein logistisches Computerprogramm | |
entwickelt. Es hat mit dem Irakkrieg der USA auf den ersten Blick wenig zu | |
tun. Ist seine Befehlsverweigerung nicht etwas konstruiert? | |
Major Pfaff war wohl recht weit hinten in der Etappe, aber das Gericht | |
konnte eine Verbindung zum Irakkrieg auch nicht ausschließen. Es wäre | |
sicher eindeutiger gewesen, wenn ein Bundeswehrsoldat, der während des | |
Irakkriegs US-Kasernen bewachen musste, den Gehorsam verweigert hätte. | |
Gab es schon früher bei der Bundeswehr Fälle von völkerrechtlich | |
begründeter Befehlsverweigerung? | |
Ja. Während des Kosovokrieges verweigerten 1999 einige Tornado-Piloten vom | |
Jagdbombergeschwader 32 in Lechfeld den Einsatz. | |
Was passierte mit ihnen? | |
Sie wurden stillschweigend in rückwärtige Stäbe versetzt, damit niemand | |
klagt. | |
Nun haben wir aber doch ein Urteil, das die Gewissensfreiheit der Soldaten | |
garantiert. Geht es bei der Bundeswehr bald drunter und drüber? | |
Das sicher nicht. Aber die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr als | |
Interventionsarmee ist bei rechtlich fragwürdigen Einsätzen künftig | |
beeinträchtigt. | |
Sie rechnen bei fragwürdigen Militäraktionen also mit massenhafter | |
Verweigerung? | |
Nein. Zwar ist nun klar, dass eine Gehorsamsverweigerung nicht als | |
Dienstvergehen bestraft werden kann, wenn sie auf ernsthaften | |
Gewissensgründen beruht. Der Karriere bei der Bundeswehr ist so ein Schritt | |
aber auch in Zukunft nicht förderlich. | |
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH | |
29 Jun 2005 | |
## AUTOREN | |
CHRISTIAN RATH | |
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