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# taz.de -- Interview mit Malerstar Daniel Richter: „Malen? Immer mit Musik!…
> Daniel Richter über fliegende Pitbulls, wahre Kunst, reiche Menschen und
> alte Freunde. Und wie er sich in Pepe Danquarts Dokumentarfilm
> präsentiert.
Bild: Daniel Richter in seinem Atelier in Berlin mit zwei Grünzügelpapageien
taz: Daniel, was macht denn dieser Hund hier?
Daniel Richter: Das ist Louis.
Ein schönes Tier, aber etwas aufgeregt. Wie versteht er sich mit den
Vögeln, wo sind die überhaupt?
Der Hund ist noch sehr jung. Ich lebe nicht mehr mit den Vögeln im Atelier.
Die wurden gemeingefährlich, haben die Besucher attackiert. Es ist
unangenehm, wenn dir zwei Papageien ins Gesicht fliegen, sich mit ihren
doch sehr starken Schnäbeln an dir festbeißen.
In dem Dokumentarfilm von [1][Pepe Danquart] über dich sieht das noch
idyllisch aus: der Maler bei seinem einsamen Tagewerk, umgeben von zwei
frei fliegenden Vögeln, mit denen er sich zwitschernd unterhält.
Es waren Grünzügelpapageien. Ich bin mit ihnen sehr gut klargekommen. Aber
wenn die mit drei, vier Jahren in die Pubertät kommen, werden die so
richtig eifersüchtig. Sie haben sich in fliegende Pitbulls verwandelt. Es
ging nicht mehr weiter.
Ich dachte vor allem: Was macht er, wenn die auf seine Bilder kacken?
Das haben sie auch. Macht aber nichts, kann man bei Ölmalerei einfach
wegwischen.
Wie lange haben dich Danquart und sein Filmteam jetzt bei deiner Arbeit
begleitet?
Begonnen haben wir vor [2][Corona], 2019. Wir wollten in einem Jahr fertig
sein. Doch daraus wurden fast drei.
Du gibst intime Einblicke in den Alltag im Atelier, erzählst bei
Yogaübungen nebenbei, wie du malst und die Welt siehst. Hat dich die
Anwesenheit des Filmteams nicht irritiert?
Am Anfang schon. Doch irgendwann gewöhnt man sich daran. Ich dachte, es ist
okay, wenn sie so nah wie möglich an einen herankommen. Ohne den
Vorführeffekt: Maler präsentiert sich in seinem Studio. Am Ende hatten sie
240 Stunden aufgenommen. Viel Material.
Wenn der Film nicht trügt, hörst du beim Malen immer Musik?
Das stimmt. Ich habe nur selten Momente allerhöchster Entschiedenheit, in
denen ich ohne Musik male. Beim Lesen oder Schreiben höre ich keine Musik.
Aber Malen? Immer mit Musik! Das ist angenehm, assoziativ; nebenbei kannst
du dich durch alles Mögliche systematisch durchhören. Etwa: Okay, jetzt
sämtliche [3][Schostakowitsch-Streichquartette Nummer 3 A]- und [4][F-Dur].
Der Film hat so auch einen sehr prägenden Soundtrack erhalten.
Anscheinend. Ich habe eine Version gesehen, da war die Musik noch nicht so
voll da. Aber jetzt habe ich schon öfters gehört, es sei auch ein richtiger
Musikfilm. Ich höre sehr unterschiedliche Musik. Black Music, Gefrickel,
Elektromusik, Jazz … Vielleicht wirkt es als Kommentar zu der
Unterschiedlichkeit der möglichen Ansätze beim Malen.
Aus den früheren Hamburger Punkkreisen um [5][die Goldenen Zitronen] ist
das Musiklabel Buback entstanden. Du bist der Inhaber. Betreibst du es aus
Mäzenatentum für die alten Freunde, die man nicht vergisst, was bedeutet es
dir?
Lustig, dass du das fragst. Du wirst lachen: Es ist überhaupt nicht
mäzenatisch. Das ist ein Unternehmen mit sechs Leuten und
Ausbildungsplätzen. Aktuell veröffentlicht es Alben von Derya Yıldırım &
Graham Mushnik oder [6][Stella Sommer]. Der Gewinn resultiert aber vor
allem aus dem Booking.
In einer Filmszene, im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Eva
Meyer-Hermann, betonst du den Einfluss von Comics auf dich und deine
Bildwelt. Was fasziniert dich an ihnen?
Ich habe auch früh alles Mögliche andere gelesen. Aber man bildet da
schnell gewisse Vorlieben heraus. Mir wurde schnell klar, dass „Fix und
Foxi“ ein Rip-off ist. Eine schlechte Kopie Rolf Kaukas von Walt Disney
unter deutschen Vorzeichen. Mit ideologischen Verschränkungen und
Manipulationen. Kauka hat in seinem Verlag die ersten deutschen Ausgaben
von „Asterix & Obelix“ herausgebracht. In antiamerikanischer und
antisowjetischer Übertragung: „Ganz Deutschland ist besetzt, Ost und West.
Nur ein paar unbeugsame Deutsche wehren sich“. Peinlich. Als das
[7][Goscinny], [8][Uderzo] und der französische Verlag spitzkriegten, haben
sie es Kauka untersagt. Der hat dann noch blöderen antikommunistischen Kram
verlegt.
Deine frühe Sozialisierung in der Bildsprache des Comics führt aber nicht
automatisch zur Malerei?
Nein, überhaupt nicht. Es hat ja auch mit Malerei wenig zu tun. Es gibt ein
paar Bilder, die ich vor 20 Jahren gemalt habe. Die beschäftigen sich
damit. Da tauchen frühe Comicfiguren mit auf. Es ging mir da um die
Vorläufer einer narrativen Form von Bild-Erzählung. Doch der Zusammenhang
ist ein anderer: Ich funktioniere sehr stark über Bilder. Meine Wahrnehmung
der Welt ist weniger von Sprache als von Images geprägt. Ich glaube, bei
Leuten, die Comics lesen, sich dafür interessieren, ist das oft
ausgeprägter als bei anderen.
Also der Kunstunterricht in der Schule war es bei dir nicht?
Der Kunstunterricht war es auch. Ich hatte einen Kunstlehrer, den ich sehr
mochte. Der mich in meiner Dysfunktionalität bestärkte. Ich war in Mathe
oder Physik eine Null. Die Stunden habe ich oft geschwänzt und bin in den
Raum des Kunstlehrers gegangen. Der hatte eine Bücherei. Ich saß dort, habe
mir Kunstbücher angeguckt. Und er hat mich darin bestärkt. Ich war etwa
zwölf, als er uns die CoBrA nahebrachte.
Die Avantgarde-Gruppe?
Die war da schon relativ etabliert. Er versuchte, uns moderne Malerei zu
erklären. Auf mich hat das im Übergang vom Kind zum Jugendlichen Eindruck
gemacht. Ich versuchte, die Überlegungen des Non-Narrativen, der abstrakten
Malerei zu begreifen. Was bedeutet es, wenn man etwas gar nicht direkt
erkennen kann, aber es trotzdem so einen erzählerischen Impuls verkörpert.
Ich weiß noch, wie mich ein Karel-Appel-Film beeindruckt hat. Ein
klassischer 50er-, 60er-Jahre-Künstlerfilm, Jazz und Schlagzeug im
Hintergrund. Es war ein Versprechen von Freiheit und irgendwas, was man
nicht so leicht verstand.
Nach der Schule ging es vom Land in die Stadt. Aber Jugend, Punkzeit,
Hamburger Subkultur spielen im Film keine große Rolle. Warum nicht?
Der Film sollte von der künstlerischen Produktion ausgehen. Von dem
Versuch, möglichst viele Aspekte von Denken und Kunstpraxis nahe zu kommen.
Weniger von Biografie oder politischen Vorstellungen. In Gesprächsszenen
wie mit Eva Meyer-Hermann oder dem Auktionär gibt es ja auch einige
Hinweise.
Aber auf abstrakterem Niveau, ohne unmittelbar biografische Zeichnung
deines Lebenslaufs.
Das wollte ich so: Bitte kein klassischer Künstlerfilm. Man sollte die
Fotografen bei der Arbeit, die Packer beim Transport sehen. Es gibt nicht
nur die große Ausstellung, die die Bedeutung des Künstlers unterstreicht,
sondern auch die vielen Ebenen der Wahrnehmung drum herum, Markt, Kritik,
Galerie – Diskussionen und Gespräche.
In der aktuellen großflächigen Gemälde-Serie „Furor“ variierst du auf
abstrakte Weise das Motiv eines Kriegsversehrten des Ersten Weltkriegs.
Aber du schlägst hier auch den Bogen zu deinen Collagen und Grafiken.
Vielen bist du als Maler mit großen Bildern bekannt. Warum sind dir dennoch
Collage-, Grafik- und Druckarbeiten so wichtig?
In den Bereichen von Collage oder Siebdruck findet all das statt, [9][was
meiner Meinung nach in der Malerei nicht stattfinden kann]. Und auch nicht
stattfinden sollte. Da beschäftige ich mich mit politischen Images,
[10][mit Humor und Denunziation bestimmter Ideologien, spitze Paradoxien
und Widersprüche zu]. Das kann ich in der Malerei nicht leisten. Das wäre
uninteressant oder nur das Abmalen dessen, was es als Fotocollage gibt.
Dafür gibt es keine Notwendigkeit. [11][Dem vorgefundenen und collagierten
Material brauche ich nicht] als Sahnehäubchen Malerei draufzuklatschen.
Warum klassische Montage-, Fotocollage-Technik und nicht digitale?
Die Überprüfbarkeit ist besser als etwa bei digital verbreiteten Memes und
GIFs. Da erkennt man das Forcierte meist nicht. Bei digitalen
Bildverarbeitungen erscheint das Image oft als in sich logisch. Bei
klassischen Collagen prallen von vornherein zwei Bildwelten aufeinander.
Das wird absichtlich vorgeführt. Und ist das Interessante daran.
Man sieht dich auch beim Zeichnen eines Weltkriegszyklus. Mit Tinte.
Ausgangspunkt sind alte Kriegspostkarten aus dem Ersten Weltkrieg.
Ich bin gerne auf Flohmärkte gegangen. Als ich mein Atelier noch in Mitte
hatte, zu dem an der Museumsinsel. Und da fand ich neben [12][den
nostalgischen Postkarten für Militariasammler] auch diese Feldpostkarten
von zerstörten Dörfern. Vor allen aus Belgien. Kaiser Wilhelm hatte Belgien
völkerrechtswidrig überfallen lassen. Bei ihrem Durchmarsch legten die
Deutschen dort ganze Dörfer in Schutt und Asche. Zur Bestrafung der
Zivilbevölkerung, die nicht kooperierte. Den Deutschen galt es als
besondere Beleidigung, wenn sich ihnen Zivilisten, Bauern in den Weg
stellten. Soldaten schickten die Postkarten mit Bildern der Zerstörung, die
sie angerichtet hatten, stolz an Mama und Papa nach Hause. Die
Postkartenmotive wurden von Fotografen angefertigt, die mit den Bataillonen
unterwegs waren. Man sieht deutsche Soldaten vor ausgebrannten Hütten oder
zerbombten Ruinen posieren.
Aber wie schafften es Kriegsversehrte, Hinkebeine, die du zuletzt groß- wie
kleinformatig variiert hast, auf diese Propagandakarten?
Das war wohl eine Gegenreaktion. Sie gehen auf eine Postkarte von einem
Dorf an der finnisch-russischen Grenze zurück, also damals
schwedisch/finnisch-russischen Grenze. Da sieht man verkrüppelte deutsche
Soldaten, die in ihrem Elend durch den Schnee stapfen. Die Karte muss
jemand gemacht haben, der Kriegsgegner war. Aber meine Beschäftigung damit
ist malerisch, historisch und nicht eins zu eins zum Beispiel auf jetzt zu
interpretieren.
Du sprichst auch über Technik und Motive berühmter deiner Bilder wie
„Tarifa“. Das Bild entstand 2001, als Flüchtlinge im Schlauchboot noch kaum
Thema waren. In einer mondän wirkenden Sequenz sieht man die Versteigerung
des Gemäldes bei Christie ’s. Es ging für 1.300.000 Euro über den Tresen.
Eine obszön wirkende Summe, oder?
So ist es. Wir leben im Kapitalismus. Die Gesetze des Kapitals gelten für
Spielzeugautos wie für Malerei. Das ist viel Geld. Aber damit habe ich
nicht viel zu tun. Das ist der Sekundärmarkt und davon sehe ich kaum etwas.
Künstler kriegen beim Weiterkauf eines ihrer Werke von dem höherem Preis
nur einen geringen Prozentsatz. Das ist kompliziert gestaffelt. Und
gedeckelt. Bei 12.500 Euro ist Schluss. Egal ob ein Bild für 20.000
erworben wurde und dann für 20 Millionen weiterverkauft wird.
Dein Hund wirkt unruhig.
Den Trubel hier ist Louis nicht gewöhnt.
Zum Glück ist er kein Pitbull.
Nein wirklich nicht, aber er müsste mal vor die Tür.
29 Jan 2023
## LINKS
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[3] https://youtu.be/Ylwbbzd1Bsk
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[10] /Aufstieg-und-Fall-der-al-Qaida/!5121286
[11] /Daniel-Richter-unterstuetzt-Franco-Doku/!5091977
[12] /Hohenzollern-und-Nationalsozialismus/!5744017
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
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