# taz.de -- Interview mit Autorin Asha Hedayati: „Jede Frau kennt Gewaltbetro… | |
> Gewalt gegen Frauen bleibt oft unbemerkt, schreibt Asha Hedayati in ihrem | |
> neuen Buch. Ein Gespräch über strukturelle Abhängigkeiten von Frauen. | |
Bild: Stille Gewalt ist unsichtbar, aber alles durchdringend – auch die Verwa… | |
taz: Frau Hedayati, warum haben Sie Ihr Buch „Die stille Gewalt“ genannt? | |
Asha Hedayati: Mir ist es ganz wichtig klarzustellen: Es geht nicht | |
vordergründig um [1][die Gewalt des Partners] oder Ex-Partners. Sondern um | |
die Gewalt, die durch misogyne Mythen, durch patriarchale, aber auch | |
wirtschaftliche Strukturen und durch staatliche Institutionen ausgeübt | |
wird. Wir nehmen sie im ersten Moment gar nicht wahr. Sie ist unsichtbar, | |
trotzdem alles durchdringend – also Gesellschaft, Verwaltung und Justiz. So | |
[2][wirkt Gewalt] still. | |
Sie schreiben: „Die Strukturen stützen Gewalt gegen Frauen und gleichzeitig | |
stützt die Gewalt gegen Frauen [3][die Strukturen].“ Wie ist das gemeint? | |
Das System profitiert immens von der kostenlosen Care-Arbeit der Mütter und | |
kann auch nur so überleben. Während der Coronapandemie galten Care-Berufe | |
als systemrelevant. Gleichzeitig sind diese so prekär bezahlt, dass Frauen | |
in wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse geraten, was eine Trennung | |
erschwert. Davon profitiert das System ebenfalls. Wenn Frauen so leicht | |
gehen könnten, könnten Männer nicht mehr so leicht Teil dieses | |
Wirtschaftssystems sein. | |
In Ihrem Buch schreiben Sie auch über wirtschaftliche Dimensionen von | |
Gewalt. | |
Ja, der Partner übt beispielsweise wirtschaftliche Gewalt aus, indem er die | |
Kontrolle über das Einkommen und das Konto hat. Manchmal gibt es für die | |
Partnerin dann nur Taschengeld. Oder er kontrolliert finanzielle Ein- und | |
Ausgänge. Das geht teils so weit, dass Mandantinnen sich nicht mehr die | |
Kleidung kaufen können, die sie gerne tragen möchten. Es geht auch hierbei | |
darum, der Frau ein selbstbestimmtes, freies Leben zu verwehren. | |
Oft heißt es, eine Frau, die Partnerschaftsgewalt erlebt, soll sich einfach | |
trennen. Doch so einfach scheint das nicht zu sein. | |
Seit 10 Jahren arbeite ich als Rechtsanwältin und beobachte, dass der Fokus | |
immer auf dem Verhalten der Frau und nicht auf dem Verhalten des | |
gewalttätigen Partners liegt. Die wahnsinnig großen strukturellen | |
Widerstände erschweren es der Frau, sich zu trennen. Ein konkretes | |
praktisches Hindernis ist der hoch eskalierte Wohnungsmarkt. Wie sollen | |
diese Frauen bezahlbare Wohnungen finden? Und dann sitzen Betroffene in den | |
gewalttätigen Partnerschaften fest, weil sie sich eben keine Wohnung | |
leisten können. | |
Für Alleinerziehende ist das sicher besonders problematisch? | |
Alleinerziehende sind massiv armutsgefährdet, daher fällt Betroffenen eine | |
Trennung so schwer. 43 Prozent der Alleinerziehenden sind einkommensarm. | |
Wenn Mandantinnen vor mir sitzen, wissen sie schon, dass sie im Falle einer | |
Trennung sehr wahrscheinlich in ärmlichen Verhältnissen landen werden. Die | |
Entscheidung treffen sie dann nicht nur für sich, auch für ihre Kinder. Für | |
deren Leben tragen sie ebenso Verantwortung. Das macht es belastender für | |
die Betroffenen. | |
Wieso werden Betroffene nicht ausreichend geschützt? | |
Schon der Begriff „häusliche Gewalt“ verortet die Problematik im Privaten. | |
Das ist Teil des Problems. So werden die Gewalt und ihre Konsequenzen | |
verharmlost. Aber wenn Jugendämter oder Familiengerichte | |
Partnerschaftsgewalt nicht ernst nehmen, hat das massive Konsequenzen für | |
die Kinder und nachfolgende Generationen. Es gibt Studien, die belegen, | |
dass Kinder, die Zeugen von Partnerschaftsgewalt sind, in der Adoleszenz | |
häufiger selbst zu Täter*in oder Opfer werden. | |
Was läuft da bei Institutionen wie Polizei oder Jugendamt falsch? | |
Bei der Polizei beobachte ich bedauerlicherweise oft, dass eine | |
Täter-Opfer-Umkehr stattfindet. Allein durch die Befragung werden Frauen | |
retraumatisiert. Ich hatte Mandantinnen, deren Ex-Partner ihnen | |
nachstellten. Dann hieß es seitens der Polizei, dass ja noch nichts | |
passiert wäre. Es werden misogyne Vorurteile bedient und das Bild einer | |
sich rächenden Frau konstruiert. Beim Jugendamt empfehlen sie den Frauen, | |
sich zu trennen, weil Partnerschaftsgewalt als Kindeswohlgefährdung gilt. | |
Wenn die Mutter den Umgang zum Vater aus Angst vor Rache nicht zulassen | |
möchte, unterstellt ihr das Jugendamt wiederum Kindeswohlgefährdung. | |
Sie schreiben, die derzeitigen Aufenthaltsgesetze führten dazu, dass | |
migrantische Frauen deutlich schlechter vor Partnerschaftsgewalt geschützt | |
sind. | |
Für mich ist das eine der belastendsten Beratungssituationen. Wenn eine | |
Frau über die Eheschließung mit einem deutschen Mann die | |
Aufenthaltserlaubnis erlangt hat, muss sie mindestens drei Jahre in der | |
Partnerschaft bleiben, um nicht abgeschoben zu werden. Erst danach könnte | |
sie eine vom Ehemann ungebundene Aufenthaltserlaubnis erhalten. Vor Ablauf | |
dieser drei Jahre müsste sie entweder ausreisen oder einen Härtefallantrag | |
stellen. Häusliche Gewalt wäre zwar ein Härtefall. Das Problem dabei ist | |
aber die Nachweisbarkeit. | |
Ist denn grundsätzlich eine Ehe für Frauen noch ratsam? | |
Bei einer Familiengründung kann ich Frauen noch eher dazu raten, zu | |
heiraten. Im Falle einer Trennung gibt es die Möglichkeit, | |
Trennungsunterhalt zu beantragen. Zusätzlich die Hälfte der Rentenansprüche | |
zu erhalten, die während der Ehe erworben wurden. Das ergibt | |
wirtschaftliche Sicherheiten. Aber laut einer Studie wirkt sich eine Ehe | |
für die Frau existenzbedrohend aus. Viele Frauen fallen in | |
Geschlechterrollen zurück, die sie gar nicht so ausführen möchten. | |
Im Schlusswort des Buchs sprechen Sie vom „ohrenbetäubenden Schweigen der | |
Männer“ zu diesem Thema. Was fordern Sie von ihnen? | |
Jede Frau kennt mindestens eine Gewaltbetroffene aus ihrem Umfeld, wobei | |
viele Männer angeben, keinen Täter zu kennen. Ich würde mir wünschen, dass | |
Männer Verantwortung übernehmen, sich mit ihrer Männlichkeit | |
auseinandersetzen und eine radikale Neugestaltung von Männlichkeit | |
einleiten. Selbst Männer, die überzeugt davon sind, feministisch und | |
progressiv zu sein, sind stark von patriarchalen Strukturen beeinflusst: | |
Liebe und Empathie werden deutlich weniger belohnt als Macht, Dominanz und | |
Kontrolle. Diese blinden Flecke müssen aufgearbeitet werden. Das am besten | |
in einer gesunden und liebevollen Partnerschaft. | |
19 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Vivien Mirzai | |
Asha Hedayati | |
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