| # taz.de -- Urteil im Göttinger Femizid-Prozess: Femizid war Absicht, kein Ver… | |
| > Besma A. schlief, als ihr Ehemann sie mit einem Kopfschuss tötete. Ein | |
| > Gericht verurteilte ihn wegen vorsätzlicher Tötung nun zu 13 Jahren Haft. | |
| Bild: Zeugin Malko Hasan (links) und Suad Ismail, die Schwester der Getöteten … | |
| Göttingen taz | Besma A. wollte sich von ihrem Ehepartner trennen. So | |
| erzählt es ihre ältere Schwester, Suad Ismail, der taz in einem Videoanruf. | |
| Besma habe in ihrer [1][Beziehung zu Cemal A.] Gewalt erlebt. Sie habe sich | |
| aber nicht getraut, sich an Menschen zu wenden, die ihr hätten helfen | |
| können. Im April 2020 soll sie beim Musikhören auf dem Sofa eingeschlafen | |
| sein. Aufwachen wird die Mutter von drei Kindern nicht mehr. Ihr | |
| alkoholisierter Ehemann tötete sie mit einem Kopfschuss aus einer Waffe, | |
| die er vor einigen Jahren illegal erworben hatte. | |
| Die Staatsanwaltschaft klagte den 51-jährigen Cemal A. wegen Mordes an. | |
| Nach Auffassung des Staatsanwalts habe er sich betrunken, um die Tat nach | |
| einem Unfall aussehen zu lassen. Seine Verteidigung beharrte auf ein | |
| [2][tragisches Versehen] beim Reinigen der Waffe. Um die Waffe verkaufen zu | |
| können, habe er sie reinigen wollen, als sich der Schuss löste. | |
| Das Landgericht Göttingen urteilte nun, dass es sich um eine vorsätzliche | |
| Tötung gehandelt haben muss. Es sei zwar nicht auszuschließen, dass eine | |
| alkoholbedingte Schuldunfähigkeit bestanden habe. Trotzdem geht die Kammer | |
| davon aus, dass die Tat, wenn auch kurzfristig, geplant war. Dafür und für | |
| den illegalen Waffenbesitz wurde Cemal A. nun zu 13 Jahren Haft verurteilt. | |
| Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. | |
| Besmas Schwester Ismail nahm selten am Prozess teil, da sie in der | |
| Niederlanden lebt. Zu Besma habe sie über WhatsApp Kontakt gepflegt, sagt | |
| sie. Der taz berichtet Ismail, dass ihre Schwester nicht selten über ihre | |
| Ehe geklagt habe. Sie erinnere sich daran, dass Besma von Drohungen ihres | |
| Mannes erzählt habe. Formulierungen wie: „Egal wohin du gehst, ich werde | |
| dich finden und dich umbringen“ sollen gefallen sein. | |
| ## Die Verhandlung dauerte 54 Prozesstage | |
| Zur Urteilsverkündung nach insgesamt 54 Prozesstagen reiste die Familie in | |
| Göttingen an. Die Stimmung ist sichtlich getrübt, schon vor dem Gericht | |
| bricht Besmas Mutter emotional zusammen. Im Moment der Urteilsverkündung | |
| zeichnet sich Ernüchterung im Gesicht des Angeklagten ab, Angehörige von | |
| Besma halten sich weinend im Arm. „Sie haben drei jungen Kindern die Mutter | |
| genommen. Sie haben einer Mutter ihr Kind genommen und den Kindern auch | |
| ihren Vater“, sagt der Richter dann zu Cemal A. | |
| Florian Melloh und Gabriele Heinecke haben Cemal A. vertreten. Letztere | |
| verteidigte in der Vergangenheit unter anderem Aktivist*innen bei | |
| G20-Prozessen sowie die Angehörigen von Oury Jalloh. Im Schlussplädoyer | |
| rief Melloh dazu auf, die Situation nicht mit Spekulationen aufzuladen: | |
| Einzelheiten zum Abend konnten nicht geklärt werden. Ein Hauptmotiv liege | |
| nicht vor, so die Verteidigung – „außer man hat Vorurteile“. | |
| Sie vertrat vor Gericht die Auffassung, dass Besma A. ein „modernes“, | |
| „westliches“ und „selbstbestimmtes“ Leben geführt habe. Die Aussagen i… | |
| Angehörigen, auch die von Suad Ismail, schätzte Melloh als | |
| „hochproblematisch“ ein: Als Hinterbliebene einer Verstorbenen | |
| argumentierten sie ihm zufolge im Eigeninteresse, sie seien Zeug*innen | |
| „vom Hörensagen“. Die Ehe von Besma und Cemal A. bezeugten sie vor allem | |
| auf Grundlage von Nachrichten, die wiederum nicht überprüfbar seien. Auch | |
| Fotos, die Verletzungen zeigten, zweifelte die Verteidigung an: Mal sei die | |
| Getötete nicht eindeutig zu identifizieren, mal könne es sich statt einer | |
| gewaltvollen Verletzung auch um Herpes handeln. | |
| Das Landgericht befand die Erzählung von der im Grunde harmonischen Ehe | |
| jedoch als unwahr, Sprachnachrichten würden Streitigkeiten zwischen Cemal | |
| und Besma A. eindeutig belegen. Diese hätten sich durch die Coronapandemie | |
| und damit einhergehende Kurzarbeit noch weiter verschärft. In dem | |
| Verfahren, dass mehr als zwei Jahre andauerte, habe sich der Angeklagte | |
| auch „nicht besonders betroffen“ gezeigt, so das Gericht. Seine | |
| Familienangehörigen unterstützten ihn von der Tribüne aus. Zu Beginn der | |
| Verhandlungstage nickte er ihnen zu, manchmal deutete er Luftküsse an. | |
| In der Hauptverhandlung brachte die Verteidigung immer wieder neue | |
| Beweisanträge ein. Seit Mai 2021 begleitet die feministische „Initiative | |
| Prozessbeobachtung Besma A.“ den Fall. Im Gespräch äußern | |
| Aktivist*innen die Vermutung, dass der Verteidigung so viel Raum | |
| gelassen wurde, um ihr keinen Grund zu geben, in Revision zu gehen. | |
| ## Verteidigung moniert Vorverurteilung | |
| In den Augen der beiden Verteidiger*innen wiederum ist die Initiative | |
| eine Gruppe von Frauen, die von Anfang an gewusst haben will, dass es sich | |
| um einen Mord gehandelt habe – und zwar noch bevor die Beweisaufnahme | |
| begonnen hatte. Auch die Nebenklage, die die Angehörigen von Besma A. | |
| vertrat, habe so die „Presse gefüttert“. | |
| Manfred Koch vertrat die Familie von Besma A. in der Nebenklage. Er | |
| versichert, dass er keine Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit habe. Ihre | |
| Aussagen stimmten mit denen der Getöteten überein, die in Form von | |
| Telefongesprächen selbst als Zeugin im Prozess zu hören gewesen war. Suad | |
| Ismail sagt: „Es war sehr anstrengend, dass es so lange gedauert hat.“ | |
| Für sie spiele die Strafe von Cemal A. im Grunde aber keine Rolle, sagte | |
| sie nach dem Urteil. Denn „er hat nicht nur Besma getötet. Er hat mich | |
| getötet, meine Mutter, sogar die Kinder von Besma. Er habe nicht eine | |
| Person, er hat Familien getötet.“ Gerechtigkeit für Besma A. gebe es | |
| ohnehin erst dann, wenn nie wieder eine Frau durch die Hand ihres Mannes | |
| sterbe. | |
| 6 Mar 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Einbecker-erschiesst-schlafende-Ehefrau/!5895382 | |
| [2] /Prozess-in-Goettingen-nach-Femizid/!5831395 | |
| ## AUTOREN | |
| Katja Spigiel | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Femizide | |
| häusliche Gewalt | |
| Gewalt gegen Frauen | |
| Göttingen | |
| Ehe | |
| Integration | |
| Gewalt gegen Frauen | |
| Feminismus | |
| Schwerpunkt Femizide | |
| Schwerpunkt Femizide | |
| Türkei | |
| Schwerpunkt Femizide | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Interview mit Autorin Asha Hedayati: „Jede Frau kennt Gewaltbetroffene“ | |
| Gewalt gegen Frauen bleibt oft unbemerkt, schreibt Asha Hedayati in ihrem | |
| neuen Buch. Ein Gespräch über strukturelle Abhängigkeiten von Frauen. | |
| Femizid beim Schloss Neuschwanstein: Polizei bittet um Material | |
| Bei einem Angriff bei Neuschwanstein wurde eine Frau getötet, eine weitere | |
| schwer verletzt. Ein 30-Jähriger sitzt wegen Mordes in U-Haft. | |
| Mutmaßliche Vergewaltigung in Bramsche: Mehr Schutzraum statt Strafraum | |
| Der mutmaßliche Femizid an Milena O. erregt Aufmerksamkeit. Die SPD fordert | |
| härtere Bestrafungen. Dabei bräuchte es mehr Prävention. | |
| Einbecker erschießt schlafende Ehefrau: Femizid oder Versehen? | |
| In Göttingen steht ein Mann vor Gericht, der seine Frau erschossen hat. Die | |
| Verteidigung sagt, es sei ein Unfall gewesen. | |
| NGOs in der Türkei: „Sie wollen uns einschüchtern“ | |
| Die Türkei geht juristisch gegen NGOs vor, vor allem gegen Frauengruppen. | |
| Eine, die Femizide dokumentiert, soll verboten werden. | |
| Prozess in Göttingen nach Femizid: Die Entmenschlichung von Besma A. | |
| In Göttingen steht ein Mann vor Gericht, der seine Frau erschossen hat. Das | |
| Landgericht will klären, ob es Versehen oder eine vorsätzliche Tat war. |