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# taz.de -- NGOs in der Türkei: „Sie wollen uns einschüchtern“
> Die Türkei geht juristisch gegen NGOs vor, vor allem gegen Frauengruppen.
> Eine, die Femizide dokumentiert, soll verboten werden.
Bild: Für Frauenrechte: Demonstration zum Internationalen Tag der Frau am 8. M…
Istanbul taz | „Sie wollen uns einschüchtern. Frauen sollen den Mund
halten. Doch das wird nicht passieren. Wir werden uns nicht einschüchtern
lassen.“ [1][Fidan Ataselim], Generalsekretärin der Frauenorganisation
[2][„Kadın Cinayetlerini Durduracağiz“], („Wir werden Femizide stoppen�…
gibt sich unbeeindruckt. Dass die Organisation verboten werden könnte,
befürchtet sie dennoch.
Vergangene Woche hatte die Staatsanwaltschaft angekündigt, dass sie ein
Verfahren gegen die Anti-Femizid-Gruppe eingeleitet habe. Anlass seien
„Beschwerden besorgter Bürger“, die der Gruppe vorwerfen, „Familien zu
zerstören unter dem Vorwand, sich für Frauenrechte einzusetzen“.
Tatsächlich ist die Organisation Konservativen und Islamisten in und
außerhalb der regierenden Partei AKP, der Präsident Recep Tayyip Erdoğan
vorsitzt, ein Dorn im Auge. Denn sie prangert erfolgreich Gewalt gegen
Frauen in der Türkei an – darunter vor allem Gewalt in der Familie, die
immer wieder zu Morden an Frauen durch Ehemänner, Väter, Brüder oder
Freunde führt. Oft geht es darum, dass sich die Frauen ihren patriarchalen
Vorstellungen nicht unterwerfen wollen.
Ataselims Gruppe hat solche Frauen seit der Gründung 2010 unterstützt und –
in Fällen, wo es zu spät war – Morde an Frauen dokumentiert. Sie
veröffentlicht auch die Anzahl getöteter Frauen: Im Jahr 2021 waren es 280,
im Jahr 2022 bereits 73. Dazu kommt eine hohe Dunkelziffer von Todesfällen,
in denen Mord nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, weil etwa Polizei
und Betroffene behaupten, es sei Selbstmord gewesen.
Durch ihre akribische Dokumentation führt die Gruppe die Behauptungen der
Regierung, sie würde alles tun, um Frauen zu schützen, regelmäßig ad
absurdum. „Die Regierung“, sagt [3][Emma Sinclair, Vertreterin von Human
Rights Watch in der Türkei], „will die Gruppe deshalb diskreditieren und
womöglich ausschalten“. Außerdem kommt die Regierung damit – wie schon be…
Ausstieg aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen – ihrer
islamistischen Klientel und deren extrem patriarchalem Familienbild
entgegen.
## Konstanter Druck auf Zivilorganisationen in der Türkei
Frauengruppen und LGBTI-Organisationen sind in den letzten Jahren
wiederholt Ziel islamistischer Angriffe und staatlicher Repression gewesen.
So werden Frauendemonstrationen genauso wie die jährlichen Pride-Paraden
regelmäßig verboten. Erst jüngst wurde ein Istanbuler Jugendzentrum
geschlossen. Anlass war eine Veranstaltung, auf der über homosexuelle
Jugendliche diskutiert wurde.
Insgesamt sei der Druck auf Zivilorganisationen in der Türkei zwar nicht
mehr so groß wie unmittelbar nach dem [4][Putschversuch 2016], sagt der
Leiter der Istanbuler Heinrich-Böll-Stiftung, [5][Kristian Brakel], aber
die Kontrollen „sind doch nach wie vor sehr scharf“. Die türkische
Regierung macht sich ausgerechnet eine Initiative der Vereinten Nationen
gegen Geldwäsche und Finanzierung von Terrororganisationen zunutze. Da die
Türkei „Terrorunterstützung“ schwammig und weitreichend definiert, werden
seit eineinhalb Jahren regierungskritische Organisationen immer wieder auf
ihre Finanzquellen untersucht. Dadurch wurden einige von ihnen, darunter
auch CHAOS, der Dachverband der LGBTI-Gruppen, monatelang lahmgelegt,
berichtet Brakel. Ausländische Organisationen würden derzeit weitgehend in
Ruhe gelassen, für kritische türkische Organisationen sei das aber nicht
der Fall, so Brakel.
Am letzten Wochenende gab es in Istanbul und Ankara erste Demonstrationen
zur Unterstützung von „Wir werden Femizide stoppen“. Anfang Juni soll die
Anhörung vor Gericht beginnen.
22 Apr 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/fidanataselim?lang=de
[2] https://www.instagram.com/kadincinayetlerinidurduracagiz/?hl=de
[3] https://twitter.com/intent/follow?screen_name=esinclairwebb
[4] /Putschversuch-Tuerkei/!t5333763
[5] https://www.boell.de/de/person/kristian-brakel
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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