# taz.de -- Femizid-Prozess in Oldenburg: Vor den Augen der Kinder geschossen | |
> In Oldenburg stehen zwei Männer vor Gericht. Sie sollen versucht haben, | |
> die Ex-Frau des einen zu töten. Die Frau überlebte nur durch einen | |
> Zufall. | |
Bild: Jeden dritten Tag kommt es zu tödlicher Gewalt gegen Frauen: Protestschi… | |
OLDENBURG taz | Als die beiden Angeklagten in Handschellen in den | |
Gerichtssaal des Landgerichts Oldenburg gebracht werden, ist es still. Okan | |
B. und Bilal Y. halten sich Papier vor die Gesichter. Sie grüßen | |
Angehörige, die der Verhandlung im Zuschauer*innenbereich beiwohnen. | |
Den Männern wird versuchter Mord vorgeworfen. Bei dem Opfer handelt es sich | |
um die Ex-Frau von Y. Vor den Augen der gemeinsamen Kinder wurde ihr ins | |
Gesicht geschossen. Als Motiv nennt die Staatsanwaltschaft Eifersucht. | |
Seit Januar 2022 lebten der 35-jährige Bilal Y. und seine ehemalige | |
Partnerin in Scheidung. In ihrer Ehe soll der Angeklagte seiner Frau | |
gegenüber gewalttätig gewesen sein, die Nebenklage berichtet von zwei | |
Gewaltschutzverfahren in der Vergangenheit. Im November 2022 soll Bilal Y. | |
den Entschluss gefasst haben, seine Exfrau zu töten. Er habe die Tat nicht | |
selbst umsetzen wollen und wendete sich deshalb an den 42-jährigen Okan B., | |
seinen besten Freund, mit dem er nun die Anklagebank teilt. Bilal Y. habe | |
Okan B. zur Tat überredet, heißt es in der Anklage. | |
Vor einem Büro in Delmenhorst, vor dem gewöhnlich die Übergabe der drei | |
Kinder an den Angeklagten Bilal Y. stattfand, kam es zu der grausamen Tat. | |
Während der Vater der Kinder im Büro in Anwesenheit einer weiteren Person | |
wartete, womöglich um sich ein Alibi zu verschaffen, soll Okan B. dem Opfer | |
aufgelauert haben. Nachdem die Kinder – 8, 10 und 12 Jahre alt – das Auto | |
verlassen hatten, schoss der Täter der Mutter durch das geschlossene | |
Fenster ins Gesicht. Sie erlitt einen Kieferbruch und überlebte den Angriff | |
nur durch einen glücklichen Zufall. | |
## Protest gegen Femizide | |
Das Bundeslagebild zu häuslicher Gewalt des Bundeskriminalamtes erfasst für | |
das Jahr 2022 einen Anstieg partnerschaftlicher Gewalt um über neun Prozent | |
im Vergleich zum Vorjahr. 133 Frauen wurden Opfer von Partnerschaftsgewalt | |
mit tödlichem Ausgang: Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland also eine | |
Frau infolge von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Tötungsdelikte | |
an Frauen, weil sie Frauen sind, werden als Femizide bezeichnet, obgleich | |
weder Bundeskriminalamt noch das Landgericht Oldenburg diesen Begriff | |
verwenden. | |
Zivilgesellschaftliche Organisationen weisen umso deutlicher auf die | |
Existenz von Femiziden hin. Erst diesen Monat gab es eine Protestaktion des | |
Anti-Femizid-Netzwerks Hamburg, das zusammen mit der Linksfraktion | |
Frauenmorde in Hamburg zählt und die Zahlen veröffentlicht. [1][Nach jedem | |
Femizid hält das Netzwerk eine Mahnwache]. Der jüngste Frauenmord ereignete | |
sich laut Netzwerk in diesem Juli in Hamburg-Hamm. Eine 82-Jährige wurde | |
von ihrem Ehemann getötet. | |
In Niedersachsen war es die AG Prozessbegleitung, die im Fall Besma A., die | |
im April 2020 von ihrem Ehemann im Schlaf erschossen wurde, zwei Jahre lang | |
während des Prozesses Mahnwachen organisierte und sich mit den Betroffenen | |
solidarisierte. Das Verfahren demonstrierte, wie der Justizapparat noch | |
immer patriarchale Machtdynamiken ignoriert. | |
[2][Im Fall von Besma A.] wurden von der Verteidigung Privataufnahmen und | |
Familienfotos von Veranstaltungen eingebracht, die zeigen sollten, dass | |
Besma A. ein selbstbestimmtes und keinesfalls entrechtetes Leben führte. | |
Demgegenüber stehen Nachrichten an Familien und Freunde, in denen sie | |
eindeutig berichtete, wie ihr Partner Gewalt an ihr ausübte. Nach insgesamt | |
54 Prozesstagen verurteilte das Landgericht Göttingen den Ehemann im März | |
wegen vorsätzlicher Tötung zu 13 Jahren Haft. | |
## Akte häuslicher Gewalt | |
„Wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind, dann passiert das meist | |
nicht aus heiterem Himmel, sondern als Folge vorangegangener Gewalt und | |
Enthemmung“, schrieb die feministische Autorin Margarete Stokowksi 2021 für | |
den Spiegel [3][als Reaktion auf den Prozess um das Attentat in Würzburg], | |
bei dem ein Mann drei Frauen und weitere Personen verletzte. | |
Im Fall um Bilal Y. und den versuchten Mord an seiner Exfrau scheint es | |
nicht anders zu sein. Armin Holthus, der Gesetzesvertreter der | |
Geschädigten, berichtet von sowohl häuslichen als auch öffentlichen Akten | |
der Gewalt an seiner Mandantin während der Ehe, von denen die gemeinsamen | |
Kinder stets Zeug*innen sein mussten. So auch jetzt: Der 12-jährige Sohn | |
des Angeklagten wird im Laufe des Prozesses eine Aussage machen müssen, um | |
den mutmaßlichen Täter, der zur Tatzeit eine Sturmmaske trug, zu | |
identifizieren. | |
Dieser Umstand und das vermeintliche Alibi des Angeklagten Bilal Y. sorgen | |
für Ungewissheit in Bezug auf den weiteren Prozessverlauf. Sowohl die | |
Verteidigung als auch die Nebenklage äußerten vorsichtige Zuversicht. | |
Angesetzt sind zunächst 10 weitere Verhandlungstage. | |
28 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Femizide-in-Hamburg/!5954365 | |
[2] /Prozess-in-Goettingen-nach-Femizid/!5831395 | |
[3] https://www.spiegel.de/kultur/was-tun-gegen-femizide-kolumne-von-margarete-… | |
## AUTOREN | |
Ann-Christin Dieker | |
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