# taz.de -- Hochradioaktiver Atommüll: Wie ein Super-Endlager aussieht | |
> Die Standort-Suche für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle dauert an. | |
> Gestein, Tiefe, Anlage: Welche Kriterien muss so ein Endlager erfüllen? | |
Bild: Die Oberflächenanlage hat auch die Funktion, das Lager sichtbar zu machen | |
Von Anfang an war sie da, die große Frage. Schon 1957, als das erste | |
deutsche Kernkraftwerk in Betrieb genommen wurde, lautete sie: Wohin nur | |
mit dem radioaktiven Abfall? | |
Die Antwort wurde stets vertagt. Zwar gibt es mittlerweile mit der Anlage | |
Schacht Konrad in Niedersachsen ein genehmigtes Endlager für schwach- und | |
mittelradioaktive Abfälle. Doch ein geeigneter Standort für | |
hochradioaktiven Müll ist bis heute nicht gefunden. Seit 2016 ist die | |
Bundesgesellschaft für Endlagersuche (BGE) dafür zuständig. Sie hat sich | |
vorgenommen, nicht irgendeinen geeigneten Ort zu finden, sondern den | |
bestmöglichen. Dafür untersucht sie das Erdreich in ganz Deutschland, | |
[1][frühestens im Jahr 2046 soll der Standort feststehen]. | |
So lange liegt der Müll in einem der 16 Zwischenlager herum. 647.000 | |
Kubikmeter Atommüll werden laut der BGE insgesamt anfallen, etwa 5 Prozent | |
davon hochradioaktiv. Die Zwischenlager befinden sich meist in direkter | |
Nähe zu den Atomkraftwerken, damit die Transportstrecken kurz bleiben und | |
weniger Menschen gefährdet werden. Eine langfristige Lösung bieten diese | |
Lager nicht, denn Atommüll bleibt über Jahrtausende gefährlich. | |
Je nach Abfallart zerfällt Atommüll unterschiedlich schnell: Schwach- und | |
mittelradioaktive Abfälle brauchen dafür mehrere zehntausend Jahre, | |
hochradioaktiver Müll mehrere hunderttausend Jahre. Ein gemeinsames | |
Endlager ist keine Option, da es zu Wechselwirkungen zwischen den | |
Abfallarten kommen kann. Hochradioaktiver Abfall entwickelt zum Beispiel | |
Wärme, schwach- und mittelaktiver Abfall entwickelt dagegen Gas. Kommen die | |
beiden Abfallarten miteinander in Kontakt, kann das zu chemischen | |
Reaktionen führen, die die Sicherheit des Endlagers gefährden. | |
Andere europäische Länder haben bereits Standorte für ihre Endlager | |
gefunden. Finnlands Endlager befindet sich im Bau, [2][in Schweden wurde | |
2022 der Standort genehmigt], die Schweiz [3][will eine Anlage an der | |
deutschen Grenze errichten]. Deutschland hinkt hinterher, auch weil die | |
Standortsuche an ein aufwendiges Auswahlverfahren geknüpft ist. Im ersten | |
Schritt wurden dabei alle Gebiete ausgeschlossen, in denen wegen | |
vulkanischer Aktivitäten, früherer bergbaulicher Tätigkeiten oder sonstiger | |
geologischer Gegebenheiten die Errichtung eines Endlagers nicht infrage | |
kommt. Die Ergebnisse dieses ersten Schritts [4][präsentierte die BGE im | |
Herbst 2020]. Demnach kommen 90 sogenannte Teilgebiete geologisch für das | |
Endlager in Frage, das umfasst mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands. | |
Der umstrittene Salzstock in Gorleben ist nicht dabei. Im nächsten Schritt | |
wird die Zahl der Regionen auf höchstens 4 reduziert. | |
Der wichtigste Faktor bei der Standortauswahl ist das sogenannte | |
Wirtsgestein. Grundsätzlich kommen drei Materialien in Frage: Tongestein, | |
Steinsalz und Granit, der in der Fachsprache Kristallin genannt wird. Ton | |
hat den Nachteil, dass er wärmeempfindlich ist. Hochradioaktiver Müll gibt | |
Wärme ab, deshalb erfordert die Lagerung im Tongestein viel mehr Platz als | |
bei Kristallin, weil die Hitze auf eine größere Fläche verteilt werden | |
muss. Tongestein hat aber gegenüber Kristallin den Vorteil, dass es | |
beweglicher ist und daher tektonischen Veränderungen länger standhält, ohne | |
Risse zu bekommen. Steinsalz kann zwar Wärme gut ableiten. Allerdings | |
sickerte Wasser ins Endlager Asse, der Atommüll soll nun aus dem ehemaligen | |
Salzbergwerk zurückgeholt werden. | |
Auch wenn [5][Faktoren wie Tiefe und Größe des Endlagers noch nicht | |
endgültig feststehen], hat die BGE erste konkrete Anforderungen berechnet. | |
Dazu gehören die Stabilität des Wirtsgesteins, die Anzahl der Schächte und | |
die Breite der Tunnel. Bei den Fragen nach den besten Behältern oder den | |
Anforderungen an die Oberflächenanlage sind die Schweiz und Schweden schon | |
etwas weiter. In unserer Grafik zeigen wir eine Auswahl an Kriterien, die | |
das Atommüllendlager der Zukunft nach heutigem Wissensstand erfüllen muss. | |
## Die Oberflächenanlage | |
Funktion Die Oberflächenanlage dient zunächst als Ort der Infrastruktur, wo | |
Baumaterialien und Atommüll ankommen und unter die Erde verfrachtet werden. | |
Doch auch langfristig erfüllt der Ort eine wichtige Aufgabe: Er muss für | |
die Nachwelt als Kennzeichnung dienen. | |
Langfristigkeit Hochradioaktiver Müll braucht mehrere hunderttausend Jahre, | |
bis er nicht mehr gefährlich ist. Das ist eine unfassbar lange Zeit, in der | |
wir uns schon längst zu einer neuen Spezies weiterentwickelt haben könnten. | |
Aliens könnten sich auf der Erde angesiedelt haben. Wie warnt man also | |
nachfolgende Lebewesen, bei denen wir keine Ahnung haben, wie sie | |
kommunizieren werden, vor dem, was sich unter dem Erdboden befindet? | |
Ideen Um das Wissen zu bewahren, wurden schon unzählige Möglichkeiten in | |
Erwägung gezogen: von Katzen, die zu leuchten anfangen, wenn sie über | |
radioaktiven Müll laufen, bis zu geheimen Orden, die das Wissen von | |
Generation zu Generation weitergeben. In der Schweiz soll die | |
Oberflächenanlage zu einer Art Museum umfunktioniert werden. Alles Wissen | |
über den Standort wird auf unterschiedlichen Medien gespeichert. Das Ziel: | |
Die Informationen müssen langfristig auffindbar bleiben. Für Deutschland | |
gibt es solche konkreten Pläne noch nicht. | |
Das Wirtsgestein | |
Material Der wichtigste Faktor für die sichere Einschließung des Mülls ist | |
das Gestein. Grundsätzlich in Frage kommen dafür Granit, Ton und Salz, weil | |
sie besonders gut abdichten. Keins dieser Gesteine ist besser als das | |
andere, alle haben Vor- und Nachteile. | |
Stabilität Die Gesteinsschicht muss breit und hoch genug sein, um das | |
gesamte Endlager zu umschließen. So können keine strahlenden Teilchen | |
entweichen. Außerdem muss der Bereich tektonisch stabil sein, damit keine | |
Risse im Gestein entstehen. Es kommen deswegen nur Bereiche in Frage, in | |
denen es seit mindestens einer Million Jahren keine wesentlichen Änderungen | |
gab, etwa durch vulkanische Aktivität oder durch Bergbau. Als günstig | |
gelten nur Gebiete, in denen es seit mehr als zehn Millionen Jahren keine | |
oder nur minimale Bewegung gab. | |
Die Behälter | |
Anforderung Den perfekten Endlagerbehälter gibt es noch nicht. Das | |
Umweltministerium hat im Herbst 2020 verordnet, dass hochradioaktiver | |
Atommüll 500 Jahre lang bergbar bleiben muss. Das bedeutet: Auch in 500 | |
Jahren müssen zukünftige Generationen in der Lage sein, die Behälter aus | |
dem Endlager zu heben. Damit das klappt, müssen die Behälter über diese | |
Zeitspanne dichthalten. | |
Planung Schweden plant die Endlagerung in Kupferkapseln, deren | |
Beständigkeit wissenschaftlich aber umstritten ist. Auch die Schweiz hat | |
noch keine Lösung für das Behälterproblem gefunden. | |
## Die Schächte | |
Beschränkung Das Endlager der Zukunft soll zwei Zugänge haben. Mehr sollen | |
es nicht werden, damit das Wirtsgestein nicht mehr als nötig verletzt wird. | |
Trennung Der Bergbauschacht dient in erster Linie als Zugang für | |
Arbeiter:innen und Geräte. Über diesen Schacht fließt zudem Frischluft | |
ins Bergwerk hinein. Der Endlagergebinde-Transportschacht ist dem | |
Atommülltransport vorbehalten. Die strikte Trennung ist wichtig, um im | |
Falle eines Lecks den Bergarbeiter:innen eine sichere Flucht zu | |
ermöglichen. Damit in diesem Fall auch die Luft auf der Bergbauseite frei | |
von Radionukliden bleibt, fließt die Luftzufuhr über diesen zweiten Schacht | |
wieder ab. | |
## Das Tiefenlager | |
Gliederung Das Tiefenlager teilt sich in zwei Abschnitte: den | |
Infrastrukturbereich und den Einlagerungsbereich. Im Infrastrukturbereich | |
befinden sich Werkstätten, Lagerräume und Arbeitsplätze für die | |
Arbeiter:innen. Die Einlagerung erfolgt je nach Gestein in etwa fünf Meter | |
breiten Stollen. | |
Einlagerung Mithilfe von Baggern oder ähnlichen Fahrzeugen werden die | |
Behälter in die Stollen gebracht. Dort werden sie auf einem Bentonitsockel | |
deponiert. Im Verlauf der Einlagerung werden die Stollen dann mit Bentonit | |
verfüllt. Diese Tonmischung soll das Endlager stabilisieren und als eine | |
weitere Barriere für radioaktives Material dienen. Das Gestein zwischen den | |
Stollen isoliert die Wärme der Behälter, die nicht zu groß werden darf, | |
damit der Stollen nicht rissig wird. | |
15 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Lagerstaette-fuer-Atommuell/!5901381 | |
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[3] /Schweizer-Endlagerfrage/!5877769 | |
[4] /Zwischenbericht-fuer-Atomendlager/!5716898 | |
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## AUTOREN | |
Alexandra Hilpert | |
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