# taz.de -- Atommüllendlager: Im Atomzirkus | |
> Weil niemand ein Endlager für Atommüll hinter seinem Haus haben will, | |
> ziehen die Castoren in der Zukunft immer ein Bundesland weiter. Über den | |
> Wanderzirkus in der Republik. | |
Bild: Infrarotbild eines Bahnwaggons mit Atommüllbehältern in Wörth | |
Meine Kinder lieben den Youtube-Kanal „Kurzgesagt“, auf dem | |
wissenschaftliche Fragen einfach beantwortet werden. Dort haben wir uns | |
kürzlich ein Video darüber angesehen, warum es gar keine gute Idee ist, | |
Atommüll ins Weltall zu schießen. Wie enttäuschend! Am Ende müssen wir uns | |
also doch selbst um unseren strahlenden Abfall kümmern. | |
Doch als ich meinen zeitreisenden Freund Felix aus dem Jahr 2125 frage, | |
[1][wo wir unser Endlager schließlich bauen] werden, fängt er an zu lachen. | |
„Du glaubst wohl auch, dass Homöopathie über den Placeboeffekt hinaus | |
hilft. Es gibt kein Endlager.“ | |
„Warum?“ | |
„Weil niemand bis in alle Ewigkeit die Verantwortung dafür übernehmen will. | |
Die [2][Carolabrücke in Dresden] ist nach 53 Jahren überraschend | |
eingestürzt, welcher Statiker will da garantieren, dass ein Salzstock eine | |
Million Jahre hält?“ | |
„Aber es wird doch schon lange nach einem Endlager gesucht“, entgegne ich. | |
„Ja, und bis 2074 sollte eigentlich ein geeigneter Standort gefunden | |
werden.“ | |
„Da kommt der Deutschlandtakt der Bahn ja früher!“, seufze ich resigniert. | |
Aber Felix lässt sich von den langen Zeiträumen nicht irritieren und | |
erzählt, dass 2034 schon die Genehmigungen für die Zwischenlager in Ahaus | |
und [3][Gorleben] ausliefen. „Die knapp 2.000 Castor-Behälter mussten | |
irgendwo hin. Aber niemand wollte den Müll bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in | |
seinem Hinterhof haben, also einigte man sich darauf, dass jedes Bundesland | |
den radioaktiven Abfall für zehn Jahre aufnehmen muss, bevor er | |
weitergeschickt werden kann.“ | |
„Der Müll fährt also wie ein Wanderzirkus durchs Land?“ | |
„Richtig. Ein riesiger Aufwand und unfassbar teuer. Aber nichts im | |
Vergleich zu den Kosten eines Endlagers, das eine Million Jahre bestehen | |
soll. Da wird allein der Pförtner 20 Millarden Euro kosten – bei | |
Mindestlohn! Als das Los zuerst auf Bayern fiel, war das natürlich ein | |
Skandal und zehn Jahre lang klagte der Ministerpräsident über die | |
Verschandelung der heiligen bayerischen Landschaft. | |
Der Umzug der 27.000 Kubikmeter Abfall nach Baden-Württemberg war dann ein | |
großes Spektakel. Denn die Schwaben wollten zeigen, wie viel | |
verantwortungsbewusster und innovativer sie waren als ihre Nachbarn. | |
Deshalb organisierten sie rund um den Umzug eine Dauerausstellung zu den | |
Gefahren radioaktiver Abfälle sowie Investoren-Konferenzen für erneuerbare | |
Energien. Die Abwärme der Strahlenschutzbehälter wurde zum Heizen der | |
Tagungsräume genutzt. | |
Als der Atomzirkus zehn Jahre später ins Saarland weiterzog, wurden die | |
Castor-Behälter in eine riesige Thermenlandschaft integriert, in der sie | |
das Wasser auf angenehme 37 Grad erwärmten. Die Leute waren fast ein | |
bisschen traurig, als die „Atomiade“ endete und man die Therme von nun an | |
mit erneuerbaren Energien betreiben musste. | |
Seitdem wird die Ankunft des Atomzirkus von langer Hand geplant und | |
internationale Star-Architekten, Investoren und Start-ups stellen in | |
Wettbewerben ihre Ideen für die beste Verwendung der Müllbehälter vor, was | |
zu einem Motor für Industrie und Wirtschaft wurde und das Wissen um die | |
fortbestehende Gefahr durch den radioaktiven Abfall aufrechterhält. So ist | |
es bis heute geblieben.“ | |
„Und was ist mit dem Endlager?“ | |
„Das wird nach wie vor gesucht. Meines Wissens soll der finale Standort | |
verkündet werden, wenn die Hölle zufriert.“ | |
21 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Theresa Hannig | |
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