# taz.de -- Familienmodelle der Zukunft: Wer gehört zur Familie? | |
> In 100 Jahren sind nicht zwingend Menschen, die genetisch ähnlich sind, | |
> Familie – sondern die, die man liebt. Davon erzählt Felix, ein | |
> Zeitreisender. | |
Bild: „Weil es uns zu glücklicheren Menschen macht, wenn wir mit denjenigen … | |
Beim Mittagessen erzählt meine Tochter aufgeregt von einer | |
Klassenkameradin, die gerade ein kleines Geschwisterchen bekommen hat. | |
„Aber weil die Mutter mit einer Frau verheiratet ist, muss jetzt erst ein | |
Gericht anerkennen, dass sie auch die Mama ist. Musstest du auch vor | |
Gericht, bevor du unser Papa werden durftest?“, fragt sie ihren Vater. Der | |
schüttelt den Kopf. | |
„Ich finde das ungerecht!“, sagt meine Tochter und klatscht den Löffel in | |
die Suppe. | |
„Ich auch“, sagt Felix. Er ist Zeitreisender aus dem Jahr 2125 und isst | |
heute mit uns Linsensuppe. | |
„Hast du auch Kinder?“, fragt sie ihn. Bisher hat er es immer vermieden, | |
über sein Privatleben zu sprechen. Ich mustere ihn möglichst unauffällig. | |
„Ja, ich habe drei Kinder. Meine Tochter Sara ist schon fast erwachsen. Und | |
die Zwillinge sind gerade zehn geworden.“ | |
„Und hast du eine Frau oder einen Mann?“, fragt mein Sohn. | |
„Beides und keins davon … das ist etwas kompliziert“, sagt Felix und lach… | |
„Bei uns ist es kein gesellschaftliches Ideal mehr, dass man eine Person | |
heiratet, Kinder bekommt und dann ein Leben lang zusammenbleibt. Eine | |
Familie besteht nicht unbedingt aus Menschen, die genetisch miteinander | |
verwandt sind, sondern aus den Menschen, die sich entschieden haben, einen | |
Teil ihres Lebens miteinander zu verbringen und füreinander einzustehen.“ | |
„Warum?“, fragt meine Tochter. | |
„Weil es uns zu glücklicheren Menschen macht, wenn wir mit denjenigen | |
zusammen sind, die wir lieben. Bei mir zu Hause ist es so: Aylin und ich | |
sind Eltern unserer Tochter Sara, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Sven. | |
Philip und ich sind Eltern unserer Zwillingssöhne Nils und Henry.“ | |
„Und wer ist die Mutter?“, fragt meine Tochter. | |
„Niemand. Aus meinen Stammzellen wurde eine Eizelle gezüchtet. Die wurde | |
dann mit Philips Samen verschmolzen und im Kinderwunschzentrum in einer | |
bionischen Metra ausgetragen. Aber jetzt sind wir ja wieder nur bei den | |
Verwandtschaftsverhältnissen. Zu meiner Familie gehört außerdem Philips | |
Mutter Paola, die genauso bei uns wohnt wie Tante Zuri, eine | |
Studienfreundin von Aylin, die keine eigenen Kinder hat. Die Erwachsenen | |
haben einander und den drei Kindern gegenüber eine Garantenpflicht. | |
Das heißt, wir dürfen und müssen füreinander sorgen, wenn zum Beispiel | |
jemand pflegebedürftig wird. Und wir erben in gleichen Teilen, wenn einer | |
von uns stirbt. Wenn eine Person die Gemeinschaft verlassen will, kann sie | |
sich formal von allen scheiden lassen.“ | |
„Dann ist es bei euch am Esstisch aber sehr voll!“, sagt meine Tochter mit | |
Blick auf unseren kleinen Küchentisch. | |
„Ja, das stimmt. Dabei fehlen sogar noch ein paar. Zu unserer Familie | |
gehören außerdem noch die beiden Fideli-Bots Nadi und Hugo, die seit der | |
ersten Klasse mit unseren Jungs zur Schule gehen. Und ohne unsere Haus-KI | |
Jinjin würde es viel mehr Zoff geben. Sie hilft uns dabei, den Alltag auf | |
die Reihe zu bringen und natürlich Streit zu schlichten. Und einen Stuhl am | |
Tisch halten wir immer noch für meinen verstorbenen Bruder Max frei.“ | |
„Warum?“, fragt meine Tochter argwöhnisch. „Kommt er euch manchmal als | |
Geist besuchen?“ | |
„Nein, das nicht, aber wir wissen noch nicht, wann wir sein gescanntes Hirn | |
in einen neuen Körper laden können. Er wollte erst wiedererweckt werden, | |
wenn Hertha BSC Meister geworden ist.“ | |
30 Mar 2025 | |
## AUTOREN | |
Theresa Hannig | |
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