# taz.de -- Gesetz zur Klimaanpassung: Die Kommunen klimafest machen | |
> Städte und Gemeinden sind auf die Herausforderungen durch die | |
> Erderwärmung nicht vorbereitet. Das will der Bund nun ändern. | |
Bild: „Mobile grüne Zimmer“ heißen diese bepflanzten Container in Frankfu… | |
Rückblickend klingen die Worte prophetisch: „Kommunen sind durch die Folgen | |
des Klimawandels vor Ort besonders betroffen“, [1][erklärte das | |
Bundesumweltministerium am 7. Juli 2021]. „Schäden an Umwelt, Infrastruktur | |
und negative Einflüsse auf die Gesundheit der Menschen tragen vor allem | |
Kommunen und soziale Einrichtungen“, hieß es an diesem Tag, als die | |
damalige Umweltministerin Svenja Schulze von der SPD das „Zentrum | |
KlimaAnpassung“ (ZKA) eröffnete. „Sie sind gefordert, die Bevölkerung und | |
besonders gefährdete Menschengruppen zu schützen, zu sensibilisieren und | |
vor allem Vorsorge zu leisten.“ | |
Eine Woche später zeigte sich, wie dringend nötig es gewesen wäre, die | |
Bevölkerung rechtzeitig zu schützen, zu sensibilisieren und Vorsorge zu | |
treffen. Starkregen und Wassermassen verwüsteten das Ahrtal in | |
Rheinland-Pfalz. Die Fluten kosteten 180 Menschen das Leben, zerstörten | |
Häuser, Brücken, Straßen und legten die ganze Region lahm. Der versicherte | |
Schaden belief sich auf 7 Milliarden Euro, weltweit wurde nach Zahlen des | |
Versicherungskonzerns Münchner Rück die Ahrtal-Katastrophe 2021 mit 46 | |
Milliarden Euro an Schäden nur noch von den Kosten des Hurrikans „Ida“ | |
übertroffen. | |
Dass die Eröffnung des Zentrums KlimaAnpassung des Bunds und die | |
Ahrtal-Flut praktisch zeitgleich stattfanden, ist Zufall. Aber es zeigt | |
deutlich, wie auch in einem der reichsten Länder der Welt, in dem | |
Klimapolitik seit langem ein öffentliches Thema ist, die Anpassung an die | |
Folgen der Erderhitzung über Jahrzehnte vernachlässigt worden ist. Auch | |
Deutschland ist auf die Auswirkungen der Klimakrise nicht vorbereitet. Das | |
zeigen die momentane Hitzewelle und die Frage, was Städte und Kommunen tun | |
können, wenn das Thermometer steigt. | |
Immerhin soll es jetzt ein Bundesgesetz zur Anpassung geben. Mitte Juli hat | |
die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke das „Klimaanpassungsgesetz“ | |
ins Kabinett eingebracht. Es soll zum ersten Mal einen einheitlichen Rahmen | |
und nachprüfbare Ziele für das drängende Thema festlegen. Dabei wird es | |
offiziell schon seit 15 Jahren beackert. 2008 verkündete das | |
Umweltministerium die erste „Deutsche Anpassungsstrategie an den | |
Klimawandel“, seitdem gibt es viele Berichte, Analysen und einzelne | |
Projekte in Städten und Kommunen. Aber entschlossene und einheitliche | |
Maßnahmen sucht man bislang vergebens. | |
## Kaum vorbereitet | |
„Ein Trauerspiel“, nennt diese Bilanz Matthias Meißner, Experte für | |
Artenvielfalt beim Umweltverband BUND. „Das Thema ist so lange | |
stiefmütterlich behandelt worden, wir haben viel Zeit verloren, denn diese | |
Prozesse brauchen ja lange.“ Anders als etwa beim Katastrophenschutz sei | |
Anpassung nie wirklich strukturiert behandelt worden. Dabei sei es | |
eigentlich vorbeugender Katastrophenschutz. | |
Das Ergebnis: Nur ein kleiner Teil der Kommunen und Städte ist heute auf | |
die Herausforderungen der eskalierenden Klimakrise vorbereitet. Zwar | |
rechnen 90 Prozent der Gemeinden mit mehr Extremwetter, wie sie auch in | |
allen Klimaprognosen für Deutschland vorhergesagt werden: mehr Hitzewellen, | |
mehr Dürre und weniger Wasserangebot, nassere und wärmere Winter und mehr | |
Sturzfluten und Überschwemmungen. Aber nach einer [2][umfangreichen | |
Recherche von Correctiv und ARD-Anstalten] in 329 Landkreisen und | |
kreisfreien Städten haben nur ein Viertel der Kommunen ein Schutzkonzept. | |
Immerhin 22 weitere Prozent planen nun eines. | |
Auch in den Details sind die Kommunen noch nicht weit, zeigt die Umfrage, | |
an der nur ein kleiner Teil der insgesamt 11.000 Städte und Gemeinden | |
teilgenommen haben. Demnach gibt nur ein Drittel der Landkreise an, Boden | |
zu entsiegeln, um sich gegen Sturzfluten vorzubereiten; die Hälfte der | |
Gemeinden hat wenigstens eine Maßnahme gegen Starkregen ergriffen. Und nur | |
20 Prozent der befragten Städte und Gemeinden haben einen | |
„HitzeAktionsplan“ aufgestellt. | |
Für einen solchen Plan macht sich vor allem das Zentrum KlimaAnpassung | |
stark. Das Info-Angebot von Bundesumweltministerium, dem Deutschen Institut | |
für Urbanistik und der Beratungsfirma adelphi wirbt damit, der | |
Hitzeaktionsplan sei „so wichtig wie Sonnencreme im Urlaub“: Kommunen | |
müssten alle Beteiligten zusammenbringen, Warnungen bei Hitze aussprechen, | |
einen „Hitze-Knigge“ des Umweltbundesamts verteilen, besondere | |
Risikogruppen identifizieren, kühle Räume schaffen und sich bei den eigenen | |
Bauvorhaben daran orientieren. | |
Das Zentrum führt auch Beispiele an, wo es bei der Klimaanpassung in den | |
Kommunen durchaus schon vorangeht. Auf der Website werden Projekte | |
präsentiert. Ein paar Beispiele: | |
• Düsseldorf begrünt acht Kilometer Fassade mit Hainbuchenhecken. | |
• Hannover, Dessau und Frankfurt am Main lassen Grünflächen verwildern. | |
• Lübeck baut einen „klimaresilienten“ Stadtwald. | |
• Aachen entwickelt eine Strategie für klimafreundliche Gewerbeentwicklung. | |
Mit dem „Klimaanpassungsgesetz“ verpflichtet der Bund jetzt erstmals die | |
Länder, Konzepte zur Anpassung zu entwickeln. Was genau gebraucht wird, | |
kann nicht von oben vorgegeben werden, weil der Bedarf ganz unterschiedlich | |
ist. In Großstädten etwa ist Hitze ein großes Problem, in den | |
Mittelgebirgen vielleicht eher Starkregen. | |
Auch bei der Finanzierung sind viele Fragen offen. Zuständig sind laut | |
Grundgesetz die Länder, die aber schnell überfordert sind. Bund und Länder | |
beraten gerade, wie eine gemischte Finanzierung aussehen könnte, etwa als | |
„Gemeinschaftsaufgabe“ wie beim Küstenschutz. | |
Die Kosten für die Anpassung sind ebenfalls noch völlig unklar. Im | |
eskalierenden Klimawandel drohen bis 2050 zwischen 280 und 900 Milliarden | |
Euro an Schäden in Deutschland, kalkuliert ein Regierungsgutachten. Allein | |
zwischen 2000 und 2021 seien bereits 145 Milliarden an Schäden entstanden, | |
heißt es darin. Wie groß die Summen in Zukunft wirklich sind, wie sie sich | |
verteilen und was ihre Verhinderung etwa durch Maßnahmen wie | |
Rückhaltebecken gegen Fluten kosten, weiß derzeit in der Bundesregierung | |
niemand. Das Umweltbundesamt arbeitet an einem „Klima-Schadenskataster“, | |
bis Ende des Jahres sollen erste Vorstellungen vorliegen. | |
Martina Müller vom Zentrum KlimaAnpassung sagt: „In manchen Städten, etwa | |
in NRW, passiert schon sehr viel. Aber es fehlen bislang einheitliche | |
Strukturen und in vielen Städten und Gemeinden Konzepte zur | |
Klimaanpassung.“ Auf diese Konzepte soll das neue Gesetz jetzt die Länder | |
verpflichten. Das heißt: Bund und Länder müssen auch ihre Fördergelder | |
koordinieren. Auch BUND-Experte Meißner lobt, dass die Ampelkoalition mit | |
der Wasserstrategie und dem „Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz“ das | |
Thema nun ernsthaft angehe. | |
## Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe | |
Vor allem die Finanzierung zusätzlicher Stellen und Maßnahmen ist bei | |
vielen klammen Kommunen ein großes Fragezeichen. Klimaschutz ist im | |
Gegensatz etwa zur Müllentsorgung keine „kommunale Pflichtaufgabe“ und | |
steht daher nicht als Erstes auf dem Zettel. Dann ist laut Müller auch oft | |
unklar, wo die Klimaanpassung in der Verwaltung angesiedelt ist. | |
Wie auch bei der Umsetzung der „Agenda 21“ auf kommunaler Ebene zeigt sich | |
bei der Anpassung: Es geht viel, wenn es vor Ort Engagement und politische | |
Rückendeckung gibt. Wenn die aber fehlen, passiert wenig, weil es bisher | |
kaum Geld oder Strukturen gab. Insgesamt führt das Thema Anpassung immer | |
noch ein Schattendasein, in Deutschland und weltweit. | |
Denn auch im internationalen Bereich ist beim Dreierpack „CO2-Minderung – | |
Anpassung – Finanzierung“ die Anpassung immer noch das schwächste Element. | |
Dabei ist der Bedarf riesig. Auf weltweit etwa 300 bis 550 Milliarden | |
Dollar jährlich schätzen UN-Experten die Kosten für besseren | |
Hochwasserschutz, Vorsorge gegen Dürre und Stürme oder Versicherungen gegen | |
Klimaschäden. Tatsächlich aber fließen nicht die Hälfte, wie versprochen, | |
sondern nur etwa ein Drittel der weltweit knapp 100 Milliarden Dollar | |
Klimahilfen in die „Adaptation“. | |
Das hat einen einfachen Grund: Mit CO2-Reduktion lässt sich etwa über den | |
Aufbau von erneuerbaren Energien viel Geld verdienen – hinter der Anpassung | |
steht hingegen kaum ein Geschäftsmodell. Und so hat auch Deutschland in den | |
letzten 20 Jahren mit viel Geld und politischem Engagement den Ausbau der | |
Wind- und Solarindustrie vorangetrieben und sich über Hilfen für | |
Investoren, Immobilienbesitzer und Autofahrende die Köpfe heiß geredet. Und | |
darüber vernachlässigt, wie man Klimaanlagen in Altenheime bekommt, in | |
Kitas Wasserspielplätze anlegt oder öffentliche Trinkbrunnen und kühle Orte | |
organisiert. | |
Und manchmal passen die bisherigen Regeln auch nicht zu einer Welt, die | |
sich an den Klimawandel anpassen muss. Bei Versicherungen etwa, so monieren | |
Experten, gelte beim Wiederaufbau von flutgeschädigten Häusern der | |
Grundsatz: Geld gibt es nur, wenn man da baut, wo das Haus vorher stand. | |
Wer sein Haus wegen Flutgefahr woanders baut, errichtet einen Neubau – und | |
bekommt dann im Zweifel kein Geld aus dem Wiederaufbautopf. | |
22 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmuv.de/themen/klimaschutz-anpassung/klimaanpassung/zentrum-kli… | |
[2] https://correctiv.org/aktuelles/klimawandel/2023/07/12/wasser-mangel-hitze-… | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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