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# taz.de -- Pazifische Auster hilft der Nordseeküste: Von invasiv zu produktiv
> Die Pazifische Auster könnte helfen, deutsche Küsten im Klimawandel zu
> stabilisieren. Das haben ForscherInnen des Projekts BIVA-WATT
> herausgefunden.
Bild: Weit verbreitet: Pazifische Auster, hier bei Mellum in der Jademündung
Hamburg taz | Können sich die Austernriffe des Wattenmeeres den
Tideverhältnissen und dem steigenden Meeresspiegel anpassen? Diese Frage
haben sich die WissenschaftlerInnen der Leibniz Universität Hannover,
der TU Braunschweig und des Forschungsinstituts Senckenberg am Meer
(Wilhelmshaven) im Rahmen des [1][Verbundprojektes BIVA-WATT] gestellt.
Das Team um den Küsteningenieur Tom Hoffmann hat ein solches Riff in der
Kaiserbalje untersucht. Das ist ein Priel nördlich der zwischen
Wilhelmshaven und Bremerhaven gelegenen Halbinsel Butjadingen. Zwischen
2020 und 2022 haben sie im Frühling und im Herbst mithilfe von Drohnen, die
in 40 Metern über das Niedrigwasser flogen, das Riff fotografiert. Die
Bilder hatten eine Auflösung von 1,2 Zentimetern, so dass Veränderungen in
Fläche, Volumen und Höhenwachstum gut zu analysieren waren.
Die Auswertung dieses Teils des vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung geförderten Projekts ist nun abgeschlossen, und es steht fest:
Das Wachstum des Austernriffs kann mit dem steigenden Meeresspiegel der
Nordsee von derzeit bis zu vier Millimetern pro Jahr mithalten. Das
durchschnittliche jährliche Höhenwachstum des Riffs betrug in den
untersuchten zwei Jahren 1,5 Zentimeter.
Gebildet wird das Riff von der Pazifischen Auster (Crassostrea gigas). Sie
wurde bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Aquakultur in
die Nordsee gebracht. Diese künstliche Zucht fand unter anderem nördlich
von Sylt und in der niederländischen Oosterschelde statt. In den
1990er-Jahren tauchten dann die ersten Exemplare außerhalb des Drahtkorbs
auf, und die Pazifische Auster wurde zur [2][invasiven Art.]
Laut Christian Buschbaum, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der
Wattenmeerstation Sylt des [3][Alfred-Wegner-Instituts] (AWI) für Polar-
und Meeresforschung, hat die Population Anfang der 2000er-Jahre stark
zugenommen, da eine Reihe milder Winter und warmer Sommer die Vermehrung
und Ausbreitung der Austern im Ökosystem [4][begünstigt hat]. „Aber
irgendwann kommen die Regelmechanismen zum Tragen“, sagt der Küstenforscher
und spielt auf Parasiten, Krankheiten und heimische Fressfeinde an.
Auch kalte Winter hätten immer wieder für Einbrüche in der Population
gesorgt. Die neuen Untersuchungen der BIVA-WATT-Studie nehmen darauf Bezug
und verweisen auf eine schnelle Erholung der Population nach einer Phase
der Trockenlegung bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im
Beobachtungszeitraum. Küsteningenieur Hoffmann hält die Austern auch bei
Sturm und Wellen für sehr widerstandsfähig: „Die Austern zementieren sich
ja richtig fest, da sieht man eher, dass das Sediment rundherum abgetragen
wird.“ Auch an Nahrung mangelt es nicht, denn die Art filtert Plankton aus
dem Wasser.
Potenzielle Fressfeinde sind überschaubar. AWI-Meeresökologe Buschbaum
nennt Strandkrabben und Seesterne, die sich von kleineren Austern ernähren.
Handflächengroße Austern können dann noch von Vögeln geöffnet werden, aber
größere Exemplare seien aufgrund der immer härteren Schale nur schwer
anzugreifen. Daher sagt Buschbaum mit Blick auf die Pazifische Auster: „Ich
glaube, dass der Siegeszug im Wattenmeer noch nicht vorbei ist.“
Die Pazifische Auster ist kein Einzelfall, wenn es um [5][neue Arten im
Wattenmeer] geht. Dieses Biotop existiert seit ungefähr 8.000 Jahren und
ist damit vergleichsweise jung. Es ist laut Buschbaum eher artenarm, und
der Raum ist nicht vollständig besetzt. Zu den laut Naturschutzbund etwa
10.000 Tier- und Pflanzenarten kamen in den vergangenen 100 Jahren daher
einige neue, invasive hinzu. Nach Angaben des AWI sind das im
dauerüberfluteten Bereich neben der Pazifischen Auster auch die
Meerwalnuss, der Pazifische Gespensterkrebs und die Amerikanische
Pantoffelschnecke.
Befürchtungen wie die Verdrängung einheimischer Spezies und den Verlust
bestimmter Ökosystemfunktionen haben sich bei der Pazifischen Auster laut
Buschbaum bis heute nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Haben sich die Larven
der Auster anfangs vorwiegend auf der heimischen Miesmuschel angesiedelt,
wählt sie nun zunehmend die verbliebenen Schalen ihrer Artgenossen als
Substrat, um einen festen Grund im Wattenmeer zu erhalten. Die Miesmuschel
nutzt dies und findet unter den sich immer höher auftürmenden Austern
Platz. Dort hat sie zwar weniger Zugang zu Nahrung, ist aber besser vor
Fressfeinden geschützt und überlebt.
Zudem bilden die Riffe sogenannte Gezeitentümpel: In den Vertiefungen der
Austernstrukturen sammelt sich Wasser, sodass der Bereich bei Ebbe nicht
trockenfällt. Dort siedeln Buschbaum zufolge andere Arten, die sonst nur im
dauerüberfluteten Teil des Wattenmeeres vorkämen. Zudem sind Austernriffe
dank einer Dichte von bis zu 2.000 Tieren pro Quadratmeter nicht nur stabil
und langlebig, sondern auch heterogen. Sie finden sich auch auf künstlichen
Untergründen. Der Ökologe sagt: „Ich kenne kaum eine Hafenmole an der
deutschen Nordseeküste, die keine Auster zeigt.“
Ursprünglich in der Region beheimatet war, der Name deutet es an, die
Europäische Auster (Ostrea edulis). Sie ist Mitte des letzten Jahrhunderts
durch Überfischung ausgerottet worden. Seit 2016 gibt es [6][Versuche der
Wiederansiedlung]. Meeresbiologin Bernadette Pogoda vom AWI untersucht sie
und bescheinigt der Europäischen Auster eine gute Entwicklung in Bezug auf
Wachstum und Fortpflanzung. Eine Konkurrenz der in bis zu 40 Metern Tiefe
lebenden Art mit der im Gezeitenbereich siedelnden Pazifischen Auster ist
laut Pogoda nicht zu erwarten: „Sie besetzen unterschiedliche ökologische
Nischen.“
Die Biologin verweist mit Blick auf die USA auf Praktiken, Austern als
lebendigen Küstenschutz gezielt anzusiedeln, um Erosion zu verhindern und
Strömungen zu beruhigen: „Das funktioniert in vielen Regionen sehr, sehr
gut.“ Für ein solches Vorgehen mithilfe natürlicher Lösungen bräuchte es …
der hiesigen Praxis jedoch ein Umdenken. Denn der Fokus auf „starre
Infrastruktur“ wie etwa Deiche oder Steinschüttungen stehe oft noch immer
oben auf der Agenda.
Im komplexen System des Schutzes der deutschen Wattenmeer-Küste könnte in
Zukunft aber auch die Pazifische Auster eine Rolle spielen. Sie ist
widerstandsfähig und die Riffstrukturen können aufgrund der rauen
Beschaffenheit Strömungsenergie mildern. Küsteningenieur Hoffmann weist der
Art eine zumindest unterstützende Schutzfunktion zu. Sie könnte die Küste
zwar nicht im Alleingang retten, aber lokal durchaus wertvolle Beiträge
leisten, findet er.
13 Nov 2023
## LINKS
[1] https://idw-online.de/de/news822396
[2] /Klimakrise-vertreibt-Arten/!5800131
[3] https://www.awi.de/
[4] /Folgen-der-Erderwaermung/!5891316
[5] /Forscher-ueber-das-Watt/!5781512
[6] /80-Jahre-nach-der-Ausrottung/!5353339
## AUTOREN
Sven Bleilefens
## TAGS
invasive Arten
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