# taz.de -- Folgen der Erderwärmung: Doppelt aufgeheizt wie die Ozeane | |
> Der Klimawandel führt zu Erwärmung von Nord- und Ostsee. Deswegen gibt es | |
> dort jetzt Pazifische Auster und Japanischen Beerentang. | |
Bild: Es wird immer wärmer in der Ostsee: Kommen bald die Flamingos, wie hier … | |
BERLIN taz | Nie waren die ersten zehn Monate eines Jahres hierzulande so | |
warm wie 2022: Nach Auswertung des Deutschen Wetterdienstes lag die | |
Durchschnittstemperatur bei knapp 12 Grad. Das bleibt nicht ohne | |
Auswirkungen auf Nord- und Ostsee. | |
Messungen des [1][Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie] zeigen, | |
dass die Oberflächentemperaturen in der Ostsee größtenteils 1,5 Grad und | |
mehr über dem langjährigen Mittel lagen. Dies galt besonders für | |
Meeresgebiete zwischen Südschweden und dem Baltikum. Die Nordsee hat sich | |
vor allem in ihrer Südhälfte erwärmt, nahe der Ostküste Englands und im | |
Ärmelkanal war es mehr als ein Grad wärmer als im Mittel der Jahre 1997 bis | |
2021. | |
Natürlich bringt diese Erwärmung die Natur aus dem Takt. In der Nordsee | |
gibt es neuerdings Austernriffe. [2][Crassostrea gigas], wie die Pazifische | |
Auster unter Biologen heißt, ist eigentlich vor den Küsten Koreas und | |
Japans zu Hause. Statt des Großen Seegrases wuchert jetzt der Japanische | |
Beerentang, die Amerikanische Pantoffelschnecke macht sich breit. | |
„Kein Meer hat sich so stark verändert wie die Nordsee“, sagt Karen | |
Wiltshire, Vize-Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts und Leiterin der | |
Außenstelle auf Sylt. „Wir messen, dass sich die Nordsee doppelt so schnell | |
aufheizt wie die globalen Ozeane“. | |
## Dem Kabeljau wird es zu warm | |
Weil die Temperaturen im Winter nicht mehr so tief sinken, überleben | |
plötzlich Arten, die früher keine Chance hatten. Die Rippenqualle | |
beispielsweise, die ursprünglich in subtropischen Atlantikgewässern | |
heimisch ist, wurde 2006 erstmals vor Helgoland gesehen und geht seitdem | |
nicht wieder weg. | |
Einst typischen Arten wie dem Kabeljau hingegen ist es in Teilen der | |
Nordsee bereits zu warm geworden. Für seine Fortpflanzung braucht der | |
Dorsch, wie er als Jungfisch heißt, eine Wassertemperatur von um die drei | |
Grad. Die findet er hier immer seltener und wandert Richtung Polarmeer. | |
Auch Seelachs oder Blauer Wittling, eine kommerziell wichtige Art, haben | |
sich zurückgezogen, berichten Forscher. | |
Statt kälteliebender Speisefische wie Makrele oder Kabeljau finden die | |
Fischer zunehmend Thunfisch oder Kalmare in ihren Netzen. In der südlichen | |
Nordsee werden Sardinen bereits gezielt befischt, 50 Tonnen wurden 2019 | |
gefangen. Doch verglichen mit den immer noch knapp 400.000 Tonnen | |
Nordsee-Hering ist das Sardinen-Geschäft kaum von Bedeutung. Die Fänge der | |
Neuankömmlinge sind noch zu sporadisch, um die klimabedingten Verluste bei | |
den früheren Fangarten auch nur annähernd auszugleichen. | |
Viele der neuen Arten „passen“ aber nicht ins Bild. Miesmuscheln | |
beispielsweise vermehren sich nach eisigen Wintern richtig gut, weil ihre | |
Feinde, junge Krebse, Kälte nicht ertragen. Die Miesmuschel leidet gleich | |
doppelt unter den steigenden Temperaturen: Ihr wärmeliebender Konkurrent, | |
die Pazifische Auster, besiedelt viele angestammte Plätze und verdrängt die | |
Miesmuschel. Das wiederum macht Möwen oder Eiderenten zu schaffen: Deren | |
Schnäbel sind auf Miesmuscheln ausgelegt, Pazifische Austern können sie | |
nicht knacken. | |
In der Ostsee sorgen hohe Temperaturen und Überdüngung indes für riesige | |
Todeszonen, „sauerstoffarme Gebiete, in denen höheres Leben wie Muscheln | |
oder Fische nicht mehr möglich ist“, sagt Thomas Neumann, Ozeanograf am | |
Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde. Hier gebe es heute | |
schon sauerstoffarme Totwasserzonen dreimal so groß wie | |
Mecklenburg-Vorpommern. | |
9 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bsh.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/_Anlagen/Downloads/Oberfla… | |
[2] https://ocean-summit.de/allgemein/pazifische-austern-in-der-kieler-foerde/ | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
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