| # taz.de -- Fünf Jahre Münchner NSU-Verfahren: Der Prozess, der nicht enden w… | |
| > 600 Zeugen, 422 Verhandlungstage und ein Verteidiger, der über Rudolf | |
| > Heß' Tod sprechen will: Warum der NSU-Prozess so lange dauert. | |
| Bild: Akten über Akten: Das Mammutverfahren könnte im Juni endlich beendet we… | |
| München taz | Diesmal läuft alles glatt. Richter Manfred Götzl eröffnet am | |
| Mittwochmorgen den Prozess in Saal A101, grüßt in die Runde, notiert die | |
| Anwesenheit jeden Anwalts. So wie immer. Dann übergibt Götzl direkt an | |
| Jacob Hösl, den Anwalt von Carsten S. Und der beginnt mit seinem Plädoyer, | |
| direkt, ohne Verzögerungen. | |
| Über Stunden wird Hösl schildern, wie Carsten S. „mit außerordentlicher | |
| Erinnerungsleistung“ alles ihm Mögliche zur Aufklärung des NSU-Terrors | |
| geleistet habe. Wie der 38-Jährige, vor vielen Jahren aus der Szene | |
| ausgestiegen, dennoch sein Leben lang die Gewissheit mit sich tragen werde, | |
| zu neun Morden beigetragen zu haben. Carsten S. sitzt daneben, im | |
| hellblauen Hemd, die Schultern hängen, die Hände liegen im Schoß. | |
| Hösl schildert S. als unsicheren Menschen, der in seiner Jugend vor allem | |
| auf der Suche nach Zugehörigkeit, Geborgenheit gewesen sei. Der sich seine | |
| eigene Homosexualität lange nicht habe eingestehen können und deshalb | |
| Entwicklungsdefizite hatte. So sei er letztlich in der rechten Szene | |
| gelandet, wo er plötzlich „jemand war“. Und wo er Ralf Wohlleben traf, | |
| einen der anderen Mitangeklagten. Und auf dessen Drängen er den Fehler | |
| seines Lebens beging: Er überbrachte eine Ceska-83-Pistole an Uwe Mundlos, | |
| Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Die Waffe, mit der der NSU neun seiner | |
| zehn Mordopfer erschoss. | |
| Hösl schließt mit einer Überraschung: Er fordert für Carsten S. einen | |
| Freispruch. Sein Mandant sei, damals 20-jährig, nur der „Adlatus“ von | |
| Wohlleben gewesen, habe zu dem NPD-Mann aufgeschaut. Als sich der NSU | |
| verschwor, war Carsten S. noch ein Jugendlicher. Auch sei er später nicht | |
| davon ausgegangen, dass Böhnhardt und Mundlos die Waffe tatsächlich zum | |
| Morden hätten benutzen wollen. Und alle tatsächlich in Frage kommenden | |
| Straftaten seien mittlerweile verjährt, so Hösl. Deshalb der Freispruch. | |
| ## Jeder Prozesstag kosten 150.000 Euro | |
| Die Forderung besiegelt das zweite Plädoyer im NSU-Prozess, seit vergangene | |
| Woche die Anwälte von Beate Zschäpe den Auftakt machten. Nach Wochen der | |
| Verzögerungen scheint es nun, als wäre ein Knoten in dem Endlosprozess | |
| geplatzt. Mal blockierten Befangenheitsanträge den Fortgang, dann erkrankte | |
| Zschäpe, dann gab es einen „Familiennotfall“ eines Verteidigers. Nun aber, | |
| nach 422 Prozesstagen, gibt es tatsächlich einen Ausblick auf ein Urteil: | |
| Im Juni könnte es fallen. Aber ganz sicher ist das nicht. Nicht in diesem | |
| Verfahren. | |
| Warum braucht es fünf Jahre, um über die Terrorserie des | |
| „Nationalsozialistischen Untergrunds“ zu urteilen? Am 6. Mai 2013 wurde der | |
| Prozess vor dem Oberlandesgericht München eröffnet. Am ersten Prozesstag | |
| trat Beate Zschäpe im schwarzen Hosenanzug in den Saal, schlank, | |
| selbstbewusst. Am Mittwoch trägt sie grau, wie so oft zuletzt, zeigt kaum | |
| eine Regung, wirkt schicksalsergeben. | |
| Mehr als 600 Zeugen wurden bisher an den 422 Verhandlungstagen gehört, rund | |
| 250 Beweisanträge gestellt. Gut 70 Anwälte aus der ganzen Republik reisen | |
| allwöchentlich nach München, in den fensterlosen Saal A101, streng bewacht. | |
| Sie vertreten die fünf Angeklagten und 93 Nebenkläger. Jeder Prozesstag | |
| kostet 150.000 Euro. Und noch ist es nicht vorbei. | |
| Inzwischen gibt es kaum einen Prozessbeteiligten, an dessen Nerven dieses | |
| Dauerverhandeln nicht zerrt. Bundesanwalt Herbert Diemer, Kopf der | |
| Ankläger, seit fast 30 Jahren im Dienst und betont besonnen im Auftritt, | |
| nannte die jüngsten Verzögerungen „unerträglich“. Auch einige Verteidiger | |
| können kaum noch verhehlen, genug zu haben. Und die Opferfamilien wünschen | |
| sich ohnehin längst ein Urteil. „Von diesem Prozess ist keine Aufklärung | |
| mehr zu erwarten“, sagt Gamze Kubaşık, Tochter des Dortmunder NSU-Opfers | |
| Mehmet Kubaşık, ein Kioskbetreiber, erschossen im April 2006. „Deshalb | |
| sollte es jetzt endlich ein Urteil geben.“ | |
| Ob das so schnell geschieht, ist indes offen. Denn neue Verzögerungen sind | |
| durchaus möglich. Da sind Zschäpes Altverteidiger, die auch noch plädieren | |
| wollen – mit denen die Hauptangeklagte aber seit Jahren über Kreuz liegt | |
| und ihnen wieder dazwischenfunken könnte. Da ist der neue Verteidiger eines | |
| Mitangeklagten, André E., der zuletzt nochmal Zeugen laden wollte – trotz | |
| längst geschlossener Beweisaufnahme. Und da sind die Anwälte eines anderen | |
| Beschuldigten, Ralf Wohlleben, ein früherer NPD-Mann, die in ihrem Plädoyer | |
| nochmals zu Provokationen ausholen könnten. | |
| ## 280.000 Seiten Ermittlungsakten | |
| Dabei ist die Prozesslänge schon jetzt einmalig, derzeit zumindest. Den | |
| Rekord allerdings hält immer noch das über 15 Jahre laufende Verfahren zum | |
| Mord an dem linksradikalen Berliner Studenten und V-Mann Ulrich Schmücker, | |
| von 1976 bis 1991. Der RAF-Prozess 1975 gegen Andreas Baader, Ulrike | |
| Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe brauchte dagegen nur zwei Jahre. | |
| Dass über die NSU-Verbrechen schon so lange verhandelt wird, liegt vor | |
| allem an deren Umfang. 280.000 Seiten umfassen die Ermittlungsakten. Schon | |
| ein Mord kann in einem herkömmlichen Prozess 30 Tage in Anspruch nehmen. | |
| Hier aber geht es um zehn Morde – und um zwei Bombenanschläge, um eine | |
| Raubüberfallserie und um die Inbrandsetzung des letzten NSU-Unterschlupfs | |
| in Zwickau. Zu jeder Tat mussten Zeugen angehört werden, Ermittler, | |
| Sachverständige. Auch weil die Hauptangeklagte, Beate Zschäpe, so lange | |
| schwieg. | |
| Dennoch könnte der Prozess längst vorbei sein. Bereits im Juli 2017 hatte | |
| Richter Manfred Götzl die Beweisaufnahme geschlossen. Dann folgte das | |
| Plädoyer der Bundesanwaltschaft. Acht Prozesstage brauchte sie, um Indiz an | |
| Indiz zu reihen, warum sie Zschäpe für voll schuldig an dem NSU-Terror | |
| hält, auch wenn die 43-Jährige an keinem Tatort gesehen wurde. | |
| Zschäpes Vertrauensanwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel plädierten | |
| immerhin drei Tage, um das komplett zurückzuweisen: Die Vorwürfe seien | |
| konstruiert, „Fake News“. Nicht einen Beweis gebe es, dass Zschäpe an einem | |
| der Morde und Anschläge beteiligt war, alles sei Werk der Uwes gewesen. | |
| Zschäpes drei Alt-Verteidiger – Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang | |
| Stahl – dürften demnächst ähnlich argumentieren, wieder über mehrere Tage. | |
| ## Auch die Opferanwälte sorgen für Verzögerungen | |
| Die längsten Plädoyers indes boten die Nebenklage-Anwälte auf. Über Wochen | |
| zogen sich ihre Plädoyers, auch weil die Verteidiger teils dazwischen | |
| grätschten. Ganze 60 Anwälte vertreten die Opfer im NSU-Prozess. Teils | |
| haben Familien gleich mehrere Anwälte, je einen für die Ehepartner der | |
| Mordopfer, die Kinder, die Geschwister. Eine kaum zu vermittelnde | |
| Aufblähung, monieren einige Verteidiger. Eine bewusst verbrieftes Recht des | |
| Rechtsstaates, widersprechen die Nebenklageanwälte. | |
| Sind sie es, die dieses Verfahren so in die Länge ziehen? Tatsächlich | |
| stellten die Nebenklage-Anwälte die meisten Anträge im Prozess, etwa 150 | |
| der 250 Anträge. So zählt es Antonia von der Behrens, Anwältin der Familie | |
| Kubaşık. Die Nebenkläger wollten weitere mutmaßliche Helfer des NSU-Trios | |
| befragen oder V-Leute aus deren Umfeld. Sie wollten die geschredderten | |
| Akten beim Verfassungsschutz aufklären oder die fatal einseitige | |
| Ermittlungsarbeit der Fahnder. Alle jene Punkte, die der Anklage fehlten – | |
| so sehen sie es. | |
| Es führte zu einer Dauerfehde mit Bundesanwalt Herbert Diemer: Das Gericht | |
| sei kein Untersuchungsausschuss, betonte dieser ein ums andere Mal. Es gehe | |
| hier um die Schuld der fünf Angeklagten, um mehr nicht. Tatsächlich wurden | |
| viele der Nebenklage-Anträge abgelehnt. Andere ließ Richter Manfred Götzl | |
| zu, etwa wenn es um das rechtsextreme Blood & Honour-Netzwerk ging, in dem | |
| sich etliche Helfer des Trios tummelten oder um einen Verfassungsschützer, | |
| der beim NSU-Mord in Kassel am Tatort war. Aber: Die ganz großen | |
| Verzögerungen bedeutete das nicht. Nur 33 der 600 gehörten Zeugen kamen | |
| letztlich auf Anregung der Nebenklage, zählt Anwältin von der Behrens auf. | |
| Die Bundesregierung plant, die Nebenklagerechte in Mammutverfahren künftig | |
| einzuschränken – auch als Lehre aus dem NSU-Prozess. (siehe Beistück). Eine | |
| entsprechende Beschneidung nennt Antonia von der Behrens „abwegig“. Im | |
| NSU-Prozess gehe es um so viele unterschiedliche Taten, da wäre eine | |
| Opfervertretung kaum sinnvoll zu bündeln. Zudem sei es gerade das Recht der | |
| Nebenklage, ihre Fragen einzubringen. Wolle man dies nicht nur symbolisch | |
| tun, brauche es dafür Personal, gerade in so einem Großverfahren, betont | |
| die Anwältin. „Und säßen wir die ganze Zeit nur still dabei, wofür bräuc… | |
| es uns dann?“ | |
| ## Wie die Verteidiger den Prozess ausbremsen | |
| Zuletzt waren es andere, die den Prozess ausbremsten: die Verteidiger. Sie | |
| haben dafür auch einen Grund: Für die Angeklagten geht es um viel. Für | |
| Zschäpe um die Frage, ob sie überhaupt noch einmal in Freiheit kommt. Und | |
| auch die Mitbeschuldigten sollen für bis zu zwölf Jahre in Haft. Nur schien | |
| es darum bisweilen gar nicht mehr zu gehen. | |
| Prozesstag 418, 18. April. Es ist wieder so ein Tag, an dem es zunächst | |
| heißt, heute könnten die Plädoyers der Zschäpe-Verteidiger beginnen. Die | |
| Zuschauertribüne ist voll besetzt, wenngleich der Andrang längst nicht mehr | |
| so groß ist, wie zu Beginn des Verfahrens. Doch Hermann Borchert, derjenige | |
| von Zschäpes Anwälten, der mit dem Schlussvortrag beginnen soll, ist gar | |
| nicht da. Ein familiärer Notfall, er muss sich um seine Mutter kümmern. | |
| Richter Götzl will also das Plädoyer eines der Mitangeklagten vorziehen. | |
| Nur die Anwälte von Ralf Wohlleben und Holger G. sind vollzählig. Götzl | |
| ruft also zunächst G.s Verteidigung auf, möchte, dass sie mit ihrem | |
| Plädoyer beginnt. Er fände es aber doch besser, wenn das Plädoyer von | |
| Zschäpes Verteidigung vor dem seinen gehört werde, entgegnet G.s Anwalt. | |
| Schließlich sei sie doch die Hauptangeklagte. Und außerdem sei er „nicht | |
| darauf eingestellt, heute zu plädieren“. Mindestens eine Woche würde er | |
| „zur Einarbeitung“ benötigen. Götzl wendet sich an die Verteidiger von Ra… | |
| Wohlleben. Ja, er selbst sei schon vorbereitet, sagt einer von ihnen, nur: | |
| Sie hätten verabredet, dass die Kollegin den ersten Teil des Plädoyers | |
| übernehme, und die müsse noch etwas daran feilen. „Nächste Woche wären wir | |
| bereit.“ | |
| Dann noch mal die Frage an Mathias Grasel, den zweiten Anwalt von Zschäpes | |
| Vertrauen: Ob der Kollege Borchert denn am folgenden Tag da sein werde? | |
| Götzl unterbricht die Verhandlung, damit Grasel telefonieren kann. Dann die | |
| Nachricht: Borchert werde erst in der nächsten Woche wieder kommen können. | |
| Götzl unterbricht den Prozess für den Rest der Woche. Wieder anderthalb | |
| Verhandlungstage verloren. | |
| Oder der Fall André E. Der 38-Jährige ist angeklagt, dem Trio bis zum | |
| Schluss geholfen zu haben, mit einer Wohnung, falschen Papieren, | |
| Wohnmobilen. Nicht einen Antrag stellten seine Anwälte im ganzen Prozess, | |
| die Anklage taten sie als „Vermutungen“ ab. Dann aber bekräftigte die | |
| Bundesanwaltschaft in ihrem Schlusswort, André E. sei der wichtigste Helfer | |
| des Trios gewesen – und forderte zwölf Jahre Haft. Noch im Gerichtssaal | |
| wurde E. wegen Fluchtgefahr festgenommen.Jetzt wachten seine Anwälte auf, | |
| überzogen die Richter, die den Haftbefehl verhängten, mit | |
| Befangenheitsanträgen. Zuletzt holte sich André E. noch einen neuen | |
| Verteidiger. Als der erstmals im Saal auftrat, stellte er einen Antrag nach | |
| dem anderen. Mal wollte er eine Unterbrechung, um sich mit seinem Mandanten | |
| zu beraten, mal Richter Götzl wegen Befangenheit ablehnen. Dann verlangte | |
| er neue Zeugen zu laden. Die Bundesanwälte bezeichneten das als „verwirrte | |
| Prozessdestruktion“. | |
| ## Ein Verteidiger will den „Volkstod“ der Deutschen aufklären | |
| Dass André E. mit neuem Anwalt auftritt, liegt offenbar auch an einem | |
| Zerwürfnis mit seinen Alt-Verteidigern. Es ist ein Déjà-vu. Denn schon im | |
| Sommer 2014 zerstritt sich Beate Zschäpe mit ihren drei Verteidigern Stahl, | |
| Sturm und Heer: Diese seien schlecht vorbereitet und würden sie zu einer | |
| Schweigestrategie „erpressen“. Die Anwälte nannten die Kritik „absurd“… | |
| „anmaßend“, wollten ebenfalls hinschmeißen. Reihenweise Prozesstage legte | |
| das Zerwürfnis lahm. Die Verteidiger aber behielten das Mandat, auch weil | |
| sonst der Prozess geplatzt wäre. Der Disput indes dauert bis heute an. | |
| Und dann wäre da noch Ralf Wohlleben, der frühere NPD-Mann, 43 Jahre alt, | |
| der dem Trio mit Carsten S. die Ceska-Pistole organisiert haben soll. Auch | |
| seine Anwälte, selbst szenenah, attackierten die Richter immer wieder mit | |
| Befangenheitsanträgen. Mal reichte schon, dass sie sich vom Senat zu | |
| „barsch“ behandelt fühlten, mal habe eine Richterin angeblich | |
| „geringschätzig“ ihre Mundwinkel verzogen. Dann beantragten die Anwälte, | |
| den Tod des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß aufzuklären. Ein Historiker | |
| sei dafür zu laden, ein NPD-Mann. Später sollte ein Sachverständiger zum | |
| angeblichen „Volkstod“ der Deutschen befragt werden. Offene Provokationen �… | |
| auch um die Richter zu Fehlern zu verleiten, die spätestens in der Revision | |
| hilfreich sein könnten. Mit jeder musste sich das Gericht befassen, jede | |
| kostete Zeit. | |
| Die Große Koalition will nun auch hier ran. „Wir vereinfachen weiter die | |
| Ablehnungsmöglichkeiten von missbräuchlichen Befangenheits- und | |
| Beweisanträgen“, heißt es in ihrem Koalitionsvertrag. Es gehe darum, das | |
| Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken, indem Verfahren beschleunigt | |
| würden.Einer ertrug all die Störmanöver im NSU-Prozess mit stoischer | |
| Gelassenheit, jedenfalls äußerlich: der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. | |
| Ungerührt reagierte er auf die Befangenheitsanträge. Ganze Prozesstage | |
| setzte er ab, damit die Verteidiger diese ausformulieren konnten. Auch als | |
| Zschäpes Anwälte ankündigten, die Angeklagte werde auf Fragen des Gerichts | |
| nur nach Beratung und schriftlich antworten, und sich daraus ein | |
| wochenlanges Pingpong-Spiel ergab, ließ Götzl das zu. Ihn trieb offenbar | |
| die Hoffnung, doch noch Neues von der Hauptangeklagten zu hören. Und die | |
| Devise: lieber etwas Nachgiebigkeit, als ein Platzen des Prozesses zu | |
| riskieren. | |
| Im Ergebnis drosselte aber auch das den Prozess. Über eine „unglaublich | |
| zähe Verhandlungsführung“ in den letzten zwei Jahren klagen einige | |
| Prozessbeteiligte. Erst jetzt im März, Prozesstag 414, reichte es auch | |
| Götzl. Offen warf er den Wohlleben-Anwälten „Verschleppungsabsicht“ vor. | |
| Ihre Anträge seien „ins Blaue“ gestellt, „ohne argumentative Grundlage�… | |
| Götzl sprach seine Worte nüchtern, aber die inhaltliche Schärfe war neu. | |
| Auch seine Geduld scheint am Ende. Die Wohlleben-Verteidiger reagierten | |
| indes auch auf diese Belehrung mit einem Befangenheitsantrag. | |
| Es gibt ein Horrorszenario: den Prozess gegen das rechtsextreme | |
| „Aktionsbüro Mittelrhein“ in Koblenz. Auch der währte fünf Jahre. Dort | |
| überschütteten Verteidiger das Gericht mit Befangenheitsanträgen, mehr als | |
| 500 waren es am Ende. Ständig war jemand krank, zweimal sprengten | |
| Stinkbomben die Verhandlung. Am Ende ging der Richter in Rente, der Prozess | |
| platzte. Im Herbst nun soll er neu aufgerollt werden. Im NSU-Prozess droht | |
| dieses Schicksal noch nicht: Richter Götzl geht erst Mitte 2019 in den | |
| Ruhestand. | |
| Trotzdem wurde zuletzt im Prozess diskutiert, zumindest das Verfahren gegen | |
| André E. abzutrennen, nachdem dessen neuer Anwalt auf den Plan trat. Die | |
| Bundesanwaltschaft sprach sich dafür aus, um das Urteil nicht noch weiter | |
| hinauszuzögern. Götzl indes stellte die Frage vorerst zurück. Erst wolle | |
| man abwarten, welche Anträge da noch kommen. Bleiben diese aus, wären André | |
| E.s Anwälte die nächsten, die plädieren. | |
| ## Verbittere Familien der NSU-Opfer | |
| Verbittert von dem Gezerre sind vor allem die Opferfamilien. Nur noch | |
| wenige reisen ab und an zum Prozess an. Als sie es zuletzt taten, um ihre | |
| Plädoyers zu halten, wurden sie – wegen Anträgen der Verteidiger – | |
| wiederholt versetzt. „Enttäuscht und wütend“ sei sie darüber, sagte Gamze | |
| Kubaşık damals vor dem Gerichtsgebäude. Später, als sie doch im Saal | |
| sprach, sagte die 32-Jährige, sie habe nie ein schnelles Urteil gewollt, | |
| sondern lieber Antworten auf ihre Fragen. Warum traf es ihren Vater? Gab es | |
| Helfer in Dortmund? Diese Fragen aber habe der Prozess nicht beantwortet. | |
| Trotz der fünf Jahre. „Wir werden wahrscheinlich nie zur Ruhe kommen.“ | |
| Eine Hoffnung haben die Opfer noch: Dass – wenn es wirklich zu Ende geht – | |
| ein hartes Urteil steht. Ein Signal, das der schlimmsten Rechtsterrorserie | |
| dieser Republik entspricht. Im Grunde könnte es bis dahin ja schnell gehen. | |
| Nicht länger als drei Tage wollen die Verteidiger der restlichen | |
| Angeklagten und Zschäpes Alt-Anwälte plädieren. Danach haben alle | |
| Beschuldigten die Chance auf ein letztes Wort. Und dann würde das Urteil | |
| folgen. Wenn denn alles glatt liefe. Aber das tat es in diesem Verfahren | |
| noch nie. | |
| 6 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
| Konrad Litschko | |
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