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# taz.de -- Rudolf-Heß-Demo in Berlin: Aufmarsch der Untoten
> Zum Todestag von Hitlers Stellvertreter beschwören Nazis wieder den
> Mord-Mythos. Je mehr Rechte kommen, desto mehr Geld gibt es für
> Seenotretter.
Bild: Sie kapieren nichts
Berlin taz | Vielleicht glauben sie es wirklich: dass Rudolf Heß, Hitlers
Stellvertreter, nach 43 Jahren im alliierten Kriegsverbrechergefängnis in
Spandau ermordet wurde. Dass sich noch jemand die Finger schmutzig machte
an dem 93-Jährigen, der im Laufe seines Lebens mindestens vier
Suizidversuche unternommen hatte, bis der letzte am 17. August 1987
erfolgreich war.
Jedenfalls ist die Geschichte des Mordes an Rudolf Heß eine, die in der
rechtsextremen Szene verfängt und die heroischer zu erzählen ist als die
des Suizids, der aus völkischer Ideologie heraus betrachtet ja irgendwie
undeutsch und unmännlich ist. Und so begeht die Szene alljährlich den
Todestag von Heß, auch weil dieser mit der Ideologie des
Nationalsozialismus nie gebrochen hat, und hält weiter fest an der Mär um
seinen Tod.
Für den 18. August rufen alte und neue Nazis zum Aufmarsch nach Spandau
unter dem Motto „Recht statt Rache. Mord verjährt nicht. Gebt die Akten
frei“. Mit Letzterem sind britische Akten zu Heß gemeint, die noch unter
Verschluss gehalten werden, vermutlich aber mehr über seinen Versuch
aussagen, 1941 Friedensgespräche in Großbritannien zu suchen als über
seinen Tod in Spandau.
Mit der Motivation, Hitler den Rücken für den Feldzug gegen die
Sowjetunion freizuhalten, war Heß damals auf eigene Faust nach Schottland
geflogen – scheiterte aber schon im Ansatz, da ihn die Engländer
inhaftierten. In ihrer eigenen Verklärung der Geschichte gilt Hess für
NS-Nostalgiker bis heute als „Märtyer für den Frieden“. Mehr als eintause…
Nazis suchten im vergangenen Jahr den Weg zum ehemaligen Gefängnis; 250
liefen spontan durch Falkensee. Dieses Jahr werden erneut Hunderte
erwartet.
## Rechter Identifikationspunkt
Lange Zeit stand das fränkische Wunsiedel im Zentrum des braunen Gedenkens.
Doch die Entfernung von Heß’ Grabstätte 2011 und konstante Proteste haben
das Event zerstört. Weil auch andere Termine mit NS-Bezug, etwa der
Dresdner Trauermarsch, abhanden gekommen sind, bleibt der Termin des
Heß-Todestags für die Naziszene ein fester Bezugspunkt, als „Ausdruck einer
Rückbesinnung der Neonaziszene auf das zutiefst bindende Identitätsthema
der Verherrlichung des Nationalsozialismus“, wie es die Mobile Beratung
gegen Rechtsextremismus (MBR) beschreibt.
Zwar läuft die Mobilisierung im rechten Spektrum noch verhalten; bislang
gab es kaum wahrnehmbare Aktionen, doch für den nationalistisch-völkischen
Flügel um NPD, Freie Kameradschaften und die Kleinstparteien Die Rechte und
Der 3. Weg ist der Termin gesetzt. Mehrere Busse aus dem Bundesgebiet sind
angekündigt.
Die MBR warnt deshalb: „Ein aus Sicht der Organisatoren als Erfolg
darstellbarer Verlauf des Aufmarsches am 18. August könnte eine neue
Tradition regelmäßiger rechtsextremer Großaufmärsche in Berlin begründen.�…
Damit es so weit nicht kommt, versuchen antifaschistische Gruppen und
breite bürgerliche Anti-rechts-Bündnisse den Tag für sich zu besetzen und
den Aufmarsch der Rechten nach Möglichkeit wieder zu stoppen. So wie im
vergangenen Jahr, als der „Trauerzug“ nur wenige hundert Meter weit kam. Um
möglichen Aktivitäten am eigentlichen Todestag, dem 17. August,
entgegenzutreten, ruft das Spandauer Bündnis gegen Rechts bereits am
Vorabend zu einer Demo auf.
Für den Samstag mobilisiert das Anwohner-Bündnis für eine Demonstration
„Keine Verehrung von Naziverbrechern“. Bereits eine Stunde vor dem Auftakt
der Nazis um 12 Uhr will man auf deren Vorjahresroute auf die Straßen gehen
– 4.000 Teilnehmer sind angemeldet. Parteien von Linke bis CDU,
Gewerkschaften und Kirchen rufen zu weiteren Kundgebungen, Mahnwachen,
Demos und einem Demokratiefest auf.
Das Bündnis Berlin gegen Nazis erklärt die rechte Demo zum Spendenlauf. Es
sucht Spender, die bereit sind, mindestens einen Cent pro Nazi zu geben. Je
mehr Nazis kommen, desto mehr Geld geht dann an die Seenotretter von Sea
Watch.
Die Antifa-Initiative „NS-Verherrlichung stoppen“ hat dazu aufgerufen, den
Aufmarsch zu verhindern. Vielerorts gab es bereits Infoveranstaltungen,
Plakate mit dem Slogan „Die Rechten zu Boden“ sind nicht nur in Berlin
massenhaft zu finden. Mit Blockadeversuchen ist zu rechnen. Über die
Verbindung gestriger NS-Bezüge und ihrer heutigen Umsetzung heißt es im
Aufruf der Initiative: „Unsere Aktionen gegen den Gedenkmarsch richten sich
genau gegen das Spektrum, das in einer ideologischen Tradition mit den
NSU-Mördern steht, mit ihnen sympathisiert und sich mit ihnen
solidarisiert.“
Im vergangenen Jahr war das Spandauer Bündnis gegen Rechts mit der
Forderung nach einem Verbot des rechten Aufmarsches gescheitert.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte damals gesagt, ihm wäre zwar ein
Verbot der Demonstration sehr sympathisch, aber die
„freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gelte „leider auch für
Arschlöcher“.
Inhaltlich habe sich seine Meinung nicht geändert, heißt es nun auf
taz-Anfrage aus der Innenverwaltung. Doch weiterhin sieht man dort keine
Möglichkeit, den geschichtsrevisionistischen Aufmarsch zu verbieten, wie es
zum Beispiel der Spandauer CDU-Politiker Kai Wegner am Samstag verlangte.
„Die aufgrund der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit hohen
Voraussetzungen für ein Verbot liegen derzeit nicht vor“, so eine
Sprecherin der Innenverwaltung.
13 Aug 2018
## AUTOREN
Erik Peter
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