# taz.de -- Der NSU-Prozess vor dem Ende: Beate Zschäpe hat das Wort | |
> „Bitte verurteilen Sie mich nicht für etwas, was ich weder gewollt noch | |
> getan habe“: Zschäpe gibt sich unschuldig. Nächste Woche fällt das | |
> Urteil. | |
Bild: Nach 437 Verhandlungstagen: Beate Zschäpe spricht im Münchner Prozess | |
MÜNCHEN taz | Und dann ist es tatsächlich so weit. Manfred Götzl schaut am | |
Dienstagvormittag in den Saal A101. „Sind dann noch irgendwelche | |
Erklärungen?“ Der Richter blickt nach links, blickt nach rechts. Schweigen. | |
„Keine“, hält Götzl fest. „Dann wird die Verhandlung geschlossen.“ G�… | |
richtet seinen Blick auf die Angeklagten. „Sie hätten dann das letzte | |
Wort.“ | |
Die Hauptangeklagte, Beate Zschäpe, nickt, zieht das Mikro vor sich näher | |
heran, rückt die weißen Blätter zurecht, die vor ihr liegen. „Hoher Senat, | |
werte Anwesende“, beginnt Zschäpe. „Ich möchte die Chance der letzten Wor… | |
nutzen, was mir zugegebenermaßen nicht leichtfällt.“ Und dann spricht | |
Zschäpe, mit fester, etwas tiefer Stimme, leichter Thüringer Dialekt. Es | |
ist eine Stimme, die immer noch fremd klingt in diesem Saal. Weil Zschäpe | |
über Jahre hinweg geschwiegen hat. | |
Nun aber markieren ihre Worte einen Schlusspunkt – in einem Prozess, der | |
nie zu Ende zu gehen schien: dem über die Terrortaten des | |
Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Tatsächlich wird Richter | |
Götzl an diesem Tag nur noch einen Verhandlungstermin verkünden: für den | |
Urteilsspruch. Nach mehr als fünf Jahren Verhandlung, am 437. Prozesstag. | |
Am 6. Mai 2013 hatte Beate Zschäpe erstmals den Saal A101 des | |
Oberlandesgerichts München betreten, im dunklen Hosenanzug, selbstbewusst. | |
Sie ist Hauptangeklagte in einem Verfahren, in dem die Bundesanwaltschaft | |
sie für alle NSU-Terrortaten anklagt: zehn Morde, zwei Bombenanschläge, 15 | |
Raubüberfälle – obwohl Zschäpe an keinem Tatort gesehen wurde. Nun, fünf | |
Jahre später, trägt die Angeklagte wie zu Beginn des Verfahrens den | |
Hosenanzug, die Haare sind geflochten und sie hat Ringe unter den Augen. | |
Beate Zschäpe ist um fünf Jahre gealtert. Und es sieht nicht gut aus für | |
die heute 43-Jährige. | |
## Eine Erklärung nach jahrelangem Schweigen | |
Jahrelang hatte Zschäpe zu den Vorwürfen gegen sie geschwiegen. Zuerst, als | |
sie sich im November 2011 der Polizei stellte, nachdem sie den | |
NSU-Unterschlupf in Zwickau angezündet hatte. Dann, als der Prozess begann. | |
Erst im Dezember 2015 brach Zschäpe ihr Schweigen und ließ ihren Anwalt | |
erklären, alle Taten hätten allein ihre Untergrundkumpanen Uwe Mundlos und | |
Uwe Böhnhardt begangen. Sie habe immer erst im Nachhinein davon erfahren | |
und sei „geschockt“ gewesen, habe die Männer aber nicht stoppen können. U… | |
sei aus Abhängigkeit zu ihnen mit im Untergrund geblieben. | |
Es ist diese Erzählung, an die Zschäpe nun ein letztes Mal anknüpft. „Eine | |
Art Befreiung“ sei es gewesen, als sie sich am 8. November 2011, nach | |
viertägiger Flucht, der Polizei gestellt habe, verliest sie ihre Erklärung. | |
Blatt für Blatt trägt sie vor, hastig, ohne jede Pause. Der Gang zur | |
Polizei sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Sie wolle Verantwortung für | |
ihre „gravierenden Fehler“ übernehmen, sagt Zschäpe. Und sich | |
entschuldigen, „für all das Leid, das ich verursacht habe“. Aber sie lässt | |
auch keinen Zweifel, wer weiter die eigentlich Schuldigen seien: Uwe | |
Mundlos und Uwe Böhnhardt. Ihr Fehler sei es nur gewesen, sagt Zschäpe, | |
sich „aus Schwäche“ nicht von den Männern getrennt zu haben und „die Di… | |
nicht aufgehalten zu haben. | |
Ganz still ist es da im Saal. Auf der Tribüne ist kein Platz frei, erstmals | |
seit Langem mussten Interessierte wieder vor der Tür bleiben. Götzl hatte | |
die Schlussworte im Vorfeld angekündigt. Nur einmal war zuvor Zschäpes | |
Stimme im Saal A101 zu vernehmen gewesen. Damals, im September 2016, hatte | |
sie eine kurze Erklärung verlesen, in der sie verurteilte, was Mundlos und | |
Böhnhardt den Opfern angetan hätten. Und sie gab vor, ihr | |
„nationalistisches Gedankengut“ abgelegt zu haben. Alle anderen | |
Einlassungen ließ Zschäpe über ihre Anwälte vortragen. | |
## Beate Zschäpe spricht von „schrecklichen Taten“ | |
Nun spricht sie selbst, so lange wie nie im Prozess. „Selbstverständlich“ | |
sei auch sie über die Taten „bestürzt“, behauptet sie. Und spricht auch | |
zwei Angehörige an, die mit im Saal sitzen, ohne diese indes direkt | |
anzuschauen: Ayşe und İsmail Yozgat. Ihr Sohn Halit wurde im April 2006 vom | |
NSU mit zwei Kopfschüssen ermordet, das neunte Opfer. Im Prozess hatten die | |
Yozgats Zschäpe angefleht, Antwort auf die Fragen zu dem Mord zu geben. | |
Zschäpe tat es nicht. | |
Und sie tut es auch jetzt nicht. Das Leid der Eltern habe sie „sehr wohl | |
spüren können“, sagt Zschäpe aber. Auch sie sei „erschüttert“ über d… | |
„schrecklichen Taten“, ihre Entschuldigung sei „absolut ernst gemeint“. | |
Aber: Sie wisse bis heute nicht, wonach genau Mundlos und Böhnhardt ihre | |
Mordopfer ausgesucht hätten. „Hätte ich weitere Kenntnisse, würde ich sie | |
spätestens jetzt hier preisgeben.“ İsmail und Ayşe Yozgat verfolgen die | |
Worte mit starrem Blick. „Sehr enttäuscht“ sei sie über das Schlusswort, | |
wird Ayşe Yozgat später sagen. „Frau Zschäpe weiß ganz genau, wie es | |
gelaufen ist. Aber sie versucht sich herauszureden.“ | |
Erneut distanziert sich Zschäpe von rechtsradikalem Gedankengut. Sie | |
akzeptiere zwar die Gesinnung ihrer Mitangeklagten, verliest die | |
Angeklagte. Für sie selbst aber habe diese heute „keine, aber auch gar | |
keine Bedeutung mehr“. Es ist dieser Moment, als einige der Opferanwälte | |
mit den Köpfen schütteln. Denn zumindest zwei der vier Mitangeklagten | |
ließen im Prozess keinen Zweifel, wo sie politisch stehen. Als | |
„Nationalsozialisten mit Haut und Haaren“ bezeichneten seine Verteidiger | |
ihren Mandanten André E., den engsten Vertrauten der Untergetauchten. Ralf | |
Wohlleben, angeklagt als Waffenbeschaffer des Trios, ein früherer | |
NPD-Funktionär, erklärte, er sei seinen „Idealen“ treu geblieben. Seine | |
Anwälte hielten ein Plädoyer mit wüsten NS-Relativierungen. Und dem schenkt | |
Zschäpe ihre Akzeptanz? „Verräterisch“ sei das, sagt Thomas Bliwier, | |
Anwalt der Familie Yozgat. Und es zeige, wie glaubhaft Zschäpes Aussagen | |
seien: gar nicht. | |
Zschäpe schließt mit einem direkten Appell an Richter Manfred Götzl: „Bitte | |
verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt | |
noch getan habe.“ Dann lehnt Zschäpe sich zurück. Sie wirkt aufgeräumt, | |
fast erleichtert. Götzl indes lässt nicht erkennen, was er von den Worten | |
hält. Wie immer nicht. Starr machte er seine Notizen zu Zschäpes | |
Ausführungen, blickte kaum auf. Nun nickt Götzl nur kurz. Und wendet sich | |
dann den anderen vier Angeklagten zu. | |
## Auch drei der vier anderen Angeklagten sprechen | |
Auch die halten ihr Schlusswort, jedenfalls zumindest drei der vier. Es | |
wirkt nicht unbedingt so, als seien sich alle der Schwere der Vorwürfe | |
bewusst. Holger G., der dem NSU-Trio seine Papiere überließ und eine Waffe | |
überbrachte, lümmelt so vor dem Mikro, dass Götzl ihn noch einmal von vorn | |
anfangen lässt. H. sagt, er entschuldige sich „aufrichtig“ bei den Opfern. | |
Ralf Wohlleben bekundet, „es ist alles gesagt“. Er wolle sich aber explizit | |
den Vorträgen seiner Anwälte anschließen. Den Vorträgen, in denen Hitler | |
und Goebbels zitiert wurden. Und André E., der Nationalsozialist, | |
verweigert gleich ganz das Schlusswort, wie er auch den gesamten Prozess | |
schwieg. | |
Nur Carsten S., angeklagt als Überbringer der Ceska-Pistole, mit der der | |
NSU neun Migranten erschoss, ringt noch einmal mit den Tränen. „Ich war | |
damals nicht ich selbst“, sagt der Szeneaussteiger. Im Prozess legte er ein | |
komplettes Geständnis ab, als einziger. Er habe versucht, seinen Fehler | |
wiedergutzumachen, sagt Carsten S. „Aber der Fehler bleibt.“ Damit werde er | |
leben müssen. | |
Ob den Angeklagten ihre letzten Worte helfen, ist zweifelhaft – vor allem | |
für Zschäpe. Während der Verhandlung hatten Zeugen sie als aktive | |
Rechtsextreme beschrieben, die sich zu Hause Waffen an die Wand hängte und | |
mit den Männern Bombenattrappen auslegte. Die ihre „Uwes“ im Griff hatte | |
und Punkerinnen verprügelte. Die eine Garage anmietete, in der Polizisten | |
1998 Rohrbomben und TNT fanden. Die darauf mit Mundlos und Böhnhardt fast | |
14 Jahre in den Untergrund ging. Die Nachbarn eine harmlose Fassade | |
vorgaukelte, falsche Papiere besorgte, Beutegeld verteilte und Wohnmobile | |
anmietete, mit denen die Uwes ihre Taten begingen. Und die am Ende den | |
Unterschlupf in Zwickau anzündete und das NSU-Bekennerschreiben | |
verschickte. | |
## Das Urteil folgt am Mittwoch nächster Woche | |
Die Bundesanwaltschaft fordert dafür lebenslange Haft mit anschließender | |
Sicherungsverwahrung. Das ist die Höchststrafe. Zschäpes Verteidiger hatten | |
dagegen nur auf maximal zehn Jahre Haft plädiert, und zwar nur für die | |
Inbrandsetzung des Unterschlupfs, allenfalls noch für Beihilfe bei den | |
Raubüberfällen. | |
Wie es kommt, wird man nun in einer Woche sehen. Ganz am Ende des | |
Prozesstages, als die Angeklagten gesprochen haben, verkündet Richter Götzl | |
den nächsten Verhandlungstag, den Mittwoch, 11. Juli. Er hält kurz inne. | |
„Also der Tag der Urteilsverkündung.“ Einige Anwälten lächeln kurz. Es h… | |
sich noch unwirklich an, nach all den Jahren der Verhandlung. Aber dann ist | |
es wirklich vorbei. | |
3 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
## TAGS | |
NSU-Prozess | |
Beate Zschäpe | |
Manfred Götzl | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
NSU-Prozess | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Rechtsextremismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vor dem Urteil im NSU-Prozess: Die Enttäuschung der Angehörigen | |
Am Mittwoch soll im NSU-Prozess das Urteil fallen. Die Hinterbliebenen der | |
Opfer fordern die Höchststrafe für Beate Zschäpe. | |
Aktivist über den NSU und Berlin: „Wir wollen Ergebnisse sehen“ | |
Das Netzwerk des NSU führt auch in die Hauptstadt. Das Bündnis „Kein | |
Schlussstrich“ fordert Aufklärung und demonstriert zur Urteilsverkündung. | |
Richter im NSU-Prozess: Manfred Götzl, der Unbeirrte | |
Der Richter Manfred Götzl hat den NSU-Prozess über fünf Jahre | |
zusammengehalten. Am Mittwoch wird nun das Urteil fallen. | |
Kommentar Schlusswort im NSU-Prozess: Beate Zschäpes verpasste Chancen | |
Der Hauptangeklagten nimmt man die Opferrolle nicht ab. Alles andere als | |
eine Verurteilung wegen zehnfachen Mordes wäre eine Überraschung. | |
Plädoyer von Verteidiger im NSU-Prozess: Heer nimmt Verhandlung auseinander | |
Zschäpes Verteidiger Heer hält sein Abschlussplädoyer zum NSU-Verfahren. | |
Der Angeklagten sei das Recht auf einen fairen Prozess verweigert worden. | |
Plädoyers für Zschäpe im NSU-Prozess: Verteidiger fordern Freilassung | |
Im NSU-Prozess hatten Beate Zschäpes Vertrauensanwälte zehn Jahre Haft | |
gefordert. Ihre Pflichtverteidiger unterbieten diese Forderung noch. | |
Fünf Jahre Münchner NSU-Verfahren: Der Prozess, der nicht enden will | |
600 Zeugen, 422 Verhandlungstage und ein Verteidiger, der über Rudolf Heß' | |
Tod sprechen will: Warum der NSU-Prozess so lange dauert. |