# taz.de -- Plädoyer von Verteidiger im NSU-Prozess: Heer nimmt Verhandlung au… | |
> Zschäpes Verteidiger Heer hält sein Abschlussplädoyer zum NSU-Verfahren. | |
> Der Angeklagten sei das Recht auf einen fairen Prozess verweigert worden. | |
Bild: Verteidigt auch die Verteidigung: Wolfgang Heer | |
MÜNCHEN taz | Es ist eine Art ruhige Vorfreude, die Wolfgang Heer an diesem | |
Donnerstagmorgen ausstrahlt. Sorgfältig cremt er sich die Hände ein, rückt | |
die schneeweiße Krawatte zurecht und streift die Robe über. Gleich wird er | |
in Saal 101 des Oberlandesgericht München zum dritten Tag seines | |
Abschlussplädoyers anheben, es ist der 430. Prozesstag in dem seit Mai 2013 | |
andauernden Mammutverfahren. | |
Heer stützt sich während seiner Rede am Pult ab, er spricht ruhig, wirkt | |
oft auch umständlich. Trotzdem: Es ist der große Auftritt des 45-jährigen | |
Anwalts, der gemeinsam mit Anja Sturm und Wolfgang Stahl das ursprüngliche | |
Verteidigertrio der angeklagten Beate Zschäpe bildete. | |
Nachdem sich Zschäpe im Sommer 2015 endgültig mit ihren Anwälten | |
[1][überworfen] hatte und fortan nur noch ihre neuen Verteidigern Mathias | |
Grasel und Hermann Borchert ins Vertrauen zog, hatten Heer, Stahl und Sturm | |
mehrmals um ihre Entbindung gebeten – ohne Erfolg. | |
Nun, in diesen wohl tatsächlich allerletzten Tagen des mehr als | |
[2][fünfjährigen Prozesses], haben die Alt-Anwälte noch einmal die Chance, | |
ihre Sicht der Dinge in München vorzutragen. Und Wolfgang Heer ist offenbar | |
äußerst entschlossen, diese Chance zu nutzen: Die Forderung nach der | |
sofortigen Freilassung Zschäpes am Dienstag zu Beginn seines Plädoyers war | |
ein Paukenschlag, unterbot sie doch noch das Plädoyer ihrer neuen Anwälte | |
Grasel und Borchert, die maximal zehn Jahre Haft für Zschäpe gefordert | |
hatten. | |
Detailreich und akribisch nimmt er seitdem den Prozess auseinander. Dabei | |
geht es ihm vor allem darum, Fehler in den Ermittlungen der | |
Staatsanwaltschaft und der Prozessführung des Vorsitzend Richters Manfred | |
Götzl nachzuweisen. Beate Zschäpe, so seine These, sei das Recht auf einen | |
fairen Prozess verweigert worden. | |
## Kein Tötungsvorsatz | |
Inhaltlich konzentriert sich Heer in seinem Plädoyer auf den 4. November | |
2011, als Zschäpe das Versteck des NSU in der Zwickauer Frühlingsstraße in | |
Brand gesetzt hatte. Nach Ansicht Heers die einzige Tat, wegen der Zschäpe | |
zu verurteilen sei, und zwar auch nur wegen einfacher Brandstiftung. Die | |
übrigen Vorwürfe der Bundesanwaltschaft, darunter die Mittäterschaft in | |
zehn Mordfällen und die Mitgliedschaft in einer terroristischen | |
Vereinigung, hatte er gleich zu Beginn seines Plädoyers zurückgewiesen. | |
Detail für Detail rekonstruiert er nun den Tag der Brandstiftung aus | |
verschiedenen Zeugenaussagen und versucht so nachzuweisen, dass Zschäpe | |
dabei ohne Tötungsvorsatz gehandelt habe und deswegen nicht wegen | |
versuchten Mordes verurteilt werden könne. Selbst den Antrag auf | |
Hinzuziehung eines weiteren Brandsachverständigen lässt er sich nicht | |
nehmen – ob dieser zu weiteren Verzögerungen im Prozess führen könnte, war | |
am Mittag noch nicht abzusehen. Ausführlich beschäftigt er sich außerdem | |
damit, ab wann sich grundsätzlich von einer vorsätzlichen Tat sprechen | |
lässt. | |
Scharf kritisiert Heer die aus seiner Sicht viel zu späte Vernehmung der | |
Rentnerin Charlotte E., Nachbarin der rechten Terrorzelle in Zwickau. Kurz | |
bevor Zschäpe die Wohnung in Brand setzte, soll sie nach Ansicht der | |
Verteidigung bei der damals 89-jährigen E. geklingelt und sie gewarnt | |
werden. | |
„Das Klingeln spricht evident gegen den Tötungsvorsatz“, begründet Heer, | |
warum dieser Umstand aus seiner Sicht so entscheidend sei – und die | |
Tatsache, dass das Gericht E. erst im Dezember 2013 zu vernehmen versuchte, | |
so fatal. Denn damals war die Rentnerin bereits so stark an Demenz | |
erkrankt, dass sie keinerlei Aussage mehr zu den Ereignissen machen konnte. | |
Der Kölner Anwalt spielt in seinem Plädoyer seinen Vorteil gegenüber den | |
neuen Verteidigern aus: Die Brandstiftung war zu Beginn des Prozesses | |
Gegenstand der Verhandlungen, sie so detailreich zu rekonstruieren wäre für | |
die damals gar nicht anwesenden heutigen Anwälte nicht möglich. | |
## Verteidigung der Verteidigung | |
Es ist eine bizarre Situation, in der Heer sein Plädoyer hält: Zschäpe | |
spricht seit fast drei Jahren kein Wort mehr mit ihren ehemaligen Anwälten, | |
die weitere Verteidigung läuft gegen ihren Willen. Gleichzeitig hält Heer | |
nun ein Plädoyer, dass die Aufgabe, Zschäpe zu verteidigen, um einiges | |
besser erfüllt als das ihrer neuen Anwälte, die bereits Ende April plädiert | |
hatten. | |
Zschäpe selbst scheint die meiste Zeit zuzuhören, in wenigen Momenten geht | |
ihr Blick auch zu ihrem ehemaligen Verteidiger selbst – ob sie nun | |
unbeteiligt oder konzentriert aussieht, ist Interpretationssache, die in | |
der Berichterstattung durchaus auseinander geht. Beim kleinsten Geräusch im | |
Saal bittet Heer um Ruhe, als die Bundesanwälte kurz miteinander tuscheln, | |
wirkt er fast beleidigt. | |
Er will ihn nutzen, seinen Auftritt, schließlich verteidigt er sich und die | |
anderen beiden geschassten Anwälte hier gewissermaßen auch selbst. Die | |
Verteidigungsposition sei durch die Art der Prozessführung „irreparabel | |
beschädigt worden“, sagt er am Donnerstag – mit möglichen eigenen Fehlern | |
muss man sich so nicht auseinandersetzen. | |
Am Nachmittag beendet Heer schließlich seinen Vortrag. In der nächsten | |
Woche soll es mit den Plädoyers von Anja Sturm und Wolfgang Stahl | |
weitergehen, das Ende des Prozesses wird frühestes für Ende des Monats | |
erwartet. Für den Tag der Urteilsverkündigung sind unter dem Titel „Kein | |
Schlussstrich“ in mehreren Städten Aktionen angekündigt. Kritiker des | |
Prozesses bemängeln, er habe kaum zur Aufklärung beigetragen. | |
7 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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