| # taz.de -- Aktivist über den NSU und Berlin: „Wir wollen Ergebnisse sehen“ | |
| > Das Netzwerk des NSU führt auch in die Hauptstadt. Das Bündnis „Kein | |
| > Schlussstrich“ fordert Aufklärung und demonstriert zur Urteilsverkündung. | |
| Bild: Konsequenzen unbekannt: Die Aktivist*innen wollen, dass man den Verfassun… | |
| taz: Herr Seedorf, fünf Jahre NSU-Prozess in München gehen am Mittwoch mit | |
| der Urteilsverkündung zu Ende. Wieso sollte man zu diesem Anlass [1][auf | |
| die Straße gehen]? | |
| Rob Seedorf: Es wird zwar das Urteil gegen Beate Zschäpe und die | |
| Mitangeklagten gefällt, aber der Prozess hat deutlich gezeigt, dass das | |
| nicht ausreicht. All die Vertuschungsaktionen nicht nur vom | |
| Verfassungsschutz haben deutlich gemacht, dass der NSU eben nicht nur ein | |
| „isoliertes Trio“ mit wenigen Unterstützern war, wie es die | |
| Bundesanwaltschaft bis heute darstellt, sondern eine große neonazistische | |
| Organisation mit staatlicher Unterstützung. Die Gruppe konnte auf den | |
| gesellschaftlich vorhandenen Rassismus zurückgreifen. Es darf nicht einfach | |
| eine Schuldige und damit einen Schlussstrich geben. Für uns ist das Ende | |
| des Prozesses erst der Anfang der Arbeit. | |
| Was soll noch geschehen? | |
| Wir wollen, dass es Folgen gibt. Aber anstatt etwa die Strukturen bei | |
| Polizei und Verfassungsschutz zu ändern, wie es auch der | |
| NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag gefordert hat, passiert das | |
| Gegenteil: Die Verfassungsschutzämter sind besser finanziert denn je, das | |
| V-Mann-Wesen existiert ungehindert fort, und spätestens seit dem G20-Gipfel | |
| wissen wir, wie die n[2][euen Vorstellungen von Polizeiarbeit] sind. Bei | |
| einer durch Geheimdienste mitaufgebauten Nazi-Terror-Gruppe müssen wir von | |
| einer Staatskrise sprechen. Doch personelle Folgen gab es kaum. Trotz des | |
| [3][Aufklärungsversprechens der Bundeskanzlerin] wurde der Prozess offen | |
| sabotiert, wenn wir nur an all die geschredderten Akten denken. | |
| Was hat der NSU-Komplex mit Berlin zu tun? | |
| Es gibt Verwicklungen staatlicher Behörden in Berlin mit den NSU-Komplex, | |
| vor allem durch V-Personen des Berliner Landeskriminalamts. Viel deutet | |
| darauf hin, dass der NSU mit Sprengstoff, Geld und Informationen aus Berlin | |
| unterstützt wurde, durch Nazis, die eigentlich die Szene ausspionieren | |
| sollten. Vermutlich wurden auch Ziele in Berlin ausgespäht: Ein Wachmann | |
| der [4][Synagoge in der Rykestraße] hat im Jahr 2000 Zschäpe, Uwe Mundlos | |
| und Jan Werner, dem sächsischen „Blood & Honour“-Sektionschef, dort | |
| gesehen. Zschäpe hat im Prozess eingeräumt, in Berlin gewesen zu sein, | |
| will aber nur das KaDeWe besucht haben. Auf einer Liste mit möglichen | |
| Anschlagszielen findet sich zudem der jüdische Friedhof in der Heerstraße, | |
| auf den es 1998 und 2002 drei Sprengstoffattentate gab, die bis heute nicht | |
| aufgeklärt sind. In der Anfangszeit operierte der NSU viel mit Sprengstoff. | |
| Dieser Spur wird aber nicht nachgegangen. | |
| Welche personellen Verknüpfungen nach Berlin sind bekannt? | |
| [5][Thomas Starke, Zschäpes Ex-Freund, wurde seit 2000 vom Berliner LKA als | |
| V-Mann geführt]. Bevor er Spitzel wurde, hat er den Sprengstoff für den NSU | |
| besorgt, der dann in der Garage in Zwickau gefunden wurde. Auch half er dem | |
| Trio beim Untertauchen. Stephan Lange, Ex-„Blood & Honour“-Chef und | |
| ebenfalls ganz nah am NSU-Trio, wurde durch das LKA Berlin als V-Mann an | |
| den Verfassungsschutz vermittelt. Und da ist der erwähnte Jan Werner, der | |
| versuchte, Waffen zu organisieren. 1998 schrieb er eine SMS: „Hallo, was | |
| ist mit dem Bums?“ Dem Empfänger, dem Brandenburger [6][V-Mann Carsten | |
| Szczepanski], wurde unmittelbar danach durch den Brandenburger | |
| Verfassungsschutz das Telefon entzogen und ersetzt. Im Ergebnis sind 114 | |
| SMS von Werner verschollen. Zwischen 2001 und 2005 soll Werner auch mit dem | |
| LKA Berlin zusammengearbeitet haben. All das ist aufklärungsbedüftig. | |
| Die Behörden in Berlin haben versagt? | |
| Es ist eine Behördenkrise, kein Versagen einzelner. Welche der Probleme auf | |
| institutionalisierten Rassismus, auf schlechte Absprachen zwischen den | |
| Ämtern oder durch die Doktrin des Quellenschutzes zurückzuführen sind, muss | |
| im Einzelfall herausgefunden werden. | |
| In einem Berliner NSU-Untersuchungsausschuss? | |
| Wir haben kein utopische Hoffnung an einen solchen Ausschuss. Aber wir | |
| haben in anderen Ländern gesehen, dass kritische Abgeordnete mit den | |
| richtigen Fragen Spitzen der Eisberge aufdecken können. Dann können | |
| Initiativen und JournalistInnen einhaken und weitergraben. So sind die | |
| meisten Erkenntnisse über den NSU herausgearbeitet worden. Aufklärung ist | |
| hier ein gesellschaftliches Projekt, und nichts, wofür der Staat von ganz | |
| alleine sorgt. Deswegen fordern wir auch einen internationalen | |
| Untersuchungsausschuss. | |
| Wird sich Rot-Rot-Grün auf einen Untersuchungsausschuss einlassen? | |
| Ich weiß es nicht. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) | |
| hat eine Petition mit dem Titel „Besser spät als nie“ eingereicht. Das | |
| zeugt schon davon, dass man nicht glaubt, dass so ein Ausschuss von selbst | |
| und ohne Druck zustande kommt. | |
| Berlin will zukünftig den Verfassungsschutz mit einer Arbeitsgruppe | |
| kontrollieren und setzt damit eine Empfehlungen des | |
| NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags um. Ist das ein gutes Zeichen? | |
| Das ist zwar schön zu hören, aber da wollen wir erst mal Ergebnisse sehen. | |
| Dass der Berliner VS-Chef Bernd Palenda daraufhin um Versetzung gebeten | |
| hat, lässt auch tief blicken. Eine sinnvollere Folge als eine bessere | |
| Kontrolle wäre es, den Verfassungsschutz ganz aufzulösen. | |
| 10 Jul 2018 | |
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| [1] https://nsuprozess.net/ | |
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| [3] /Gedenkfeier-fuer-NSU-Opfer-in-Berlin/!5099925 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
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