| # taz.de -- Verfassungsschutz und der NSU: Schweigende Informanten | |
| > Von ehemaligen V-Männern könnte man viel über den NSU erfahren. Doch | |
| > Akten wurden geschreddert. Ein ehemaliger Spion starb im | |
| > Zeugenschutzprogramm. | |
| Bild: Der Verfassungsschutz kümmerte sich um seine Informanten | |
| In einer Garage des NSU-Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe | |
| fanden die Ermittler am 26. Januar 1998 eine Telefonliste. Über 40 Namen | |
| und Kontaktdaten hatte Mundlos zusammen gestellt. Unter ihnen nicht bloß | |
| Ersthelfer, die den Dreien nach den Fund bei dem Weg in den Untergrund | |
| unterstützten, sondern auch fünf V-Leute verschiedener Behörden. Von | |
| mindesten 25 Spitzeln um das Trio wird bisher ausgegangen. Wir stellen | |
| einige von ihnen vor: | |
| Thomas Starke: | |
| Schon Anfang der 1990er Jahre lernte Thomas Starke die NSU-Mitglieder Uwe | |
| Mundlos und Beate Zschäpe kennen – bei einem Konzert der Rechtsrockband | |
| Oithansie. Er war einer der führenden Köpfe des neonazistichen Blood & | |
| Honour-Netzwerks in Sachsen und in Chemnitz gehörte er der Skinheadgruppe | |
| 88er an. Als er unter anderem wegen Beihilfe zur versuchten schweren | |
| Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung im Gefängnis saß, bekam er | |
| Post vom Trio. Nach seiner Entlassung wurde er Zschäpes Liebhaber. Er hätte | |
| diese Beziehung gerne vertieft, sagt er vor Gericht. Doch Zschäpe habe nur | |
| die beiden Uwes und Politik im Kopf gehabt. | |
| Bereits Ende 2000 hatte er mit seinen Berichten Neonazi-Strukturen um die | |
| Rechtsrockband „Landser“ belastet. Seitdem war er V-Mann des Berliner LKA - | |
| bis Anfang 2011. Zwischen 2001 und 2005 lieferte Starke alias „VP 562“ bei | |
| 38 Treffen mindestens fünf Mal Hinweise zu dem Trio und dessen | |
| Unterstützern. So berichtete er im Februar 2002, dass der sächsische Blood | |
| & Honour-Kader Jan Werner zu „drei Personen aus Thüringen“ Kontakt habe. | |
| Starke brachte gewisse Spitzl-Erfahrung mit: Bereits 1986 informierte er in | |
| der DDR die Spezialabteilung der lokalen Kriminalpolizei. Damals war er | |
| 18-jähriger Skin und berichtete unter dem Deckmanen „Franz Schwarz“ über | |
| die Fußballrowdy- und Neonaziskinheadszene. | |
| Thomas Richter: | |
| Er war einer der am besten verdienenden Spitzel des Bundesamtes für | |
| Verfassungsschutz. Unter den Deckname „Corelli“ lieferte Thomas Richter von | |
| 1994 bis 2007 Informationen, für die er insgesamt 180.000 Euro erhalten | |
| haben soll. Die Polizei fand ihn Anfang April tot in einer Wohnung im Kreis | |
| Paderborn auf. Richter war seit seiner Enttarnung 2012 im Zeugenschutz | |
| gewesen. Offiziell ist er an einer nicht erkannten Diabetes gestorben. Der | |
| V-Mann hätte viele Fragen zum NSU beantworten können, sagt David Begrich, | |
| Rechtsextremismus-Experte vom Beratungsprojekt Miteinander e. V. in | |
| Sachsen-Anhalt. Denn um das Jahr 2000 herum war Richter einer der | |
| „führenden Kader“ im Spektrum der Freien Kameradschaften und des Blood & | |
| Honour-Netzwerks gewesen. | |
| Richter lernte Mundlos bei einem Rechtsrockkonzert 1995 in Dresden kennen. | |
| Dem Verfassungsschutz teilte „Corelli“ mit, dass Mundlos mit Freunden die | |
| Kameradschaft Jena gegründet habe. Der Kontakt zwischen Richter und Mundlos | |
| scheint nachhaltig gewesen zu sein: Im persönlichen Kontaktverzeichnis von | |
| Mundlos fanden sich die Daten von Richter. Das Bundesamt für | |
| Verfassungsschutz erklärte indes offiziell, der V-Mann habe mit dem NSU | |
| nichts zu tun gehabt. Zweifel daran sind berechtigt. Das Amt stufte ihn | |
| intern mit der höchsten Bewertungsstufe „B“ ein - was heißt: Diese Quelle | |
| galt als verlässlich. Richter lieferte auch Informationen zur deutschen | |
| Sektion des „Ku-Klux-Klan“ (KKK). Recherchen der taz ergaben: Zu den | |
| KKK-Mitgliedern gehörten auch Kollegen der vermutlich vom NSU getöteten | |
| Polizistin Michèle Kiesewetter. | |
| Carsten Szczepanski: | |
| Beim Bundeskriminalamt sagte Carsten Szczepanski schon 1992 über denn KKK | |
| in Deutschland aus. Drei Jahre später wurd er wegen Mordversuchs an einem | |
| Nigerianer zu acht Jahren Haft verurteilt, wobei ihm das Gericht eine | |
| „tiefverfestigte rechtsradikale Gesinnung“ bescheinigt. Noch im Gefängnis | |
| lässt er sich vom Brandenburger Verfassungsschutz anwerben. 1997 kommt | |
| Szczepanski, Deckname „Piato“ frei. Der heutige sächsische | |
| Verfassungsschutzpräsident Gordian Meyer-Plath war einer derjenigen, die | |
| ihn damals betreuten. Der Spitzel eröffnete in Königs-Wusterhausen einen | |
| Laden für rechte Musik und war am Aufbau des rechtsextremen Netzwerks Blood | |
| & Honour beteiligt. | |
| Szczepanski informierte den Geheimdienst über Pläne der untergetauchten Uwe | |
| Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, sich Waffen zu beschaffen. Zudem | |
| benannte er einen Kontaktmann des Trios und berichtete von „Überfällen“ d… | |
| Drei. | |
| Michael von Dolsperg: | |
| Michael von Dolsperg soll sich selbst 1994 bei Verfassungsschutz als V-Mann | |
| angedient haben. Bis 2003 floss, so der Abschlussbericht des | |
| NSU-Untersuchungsausschuss, Geld für Informationen an Michael See, wie er | |
| vor seiner Hochzeit hieß. Bereits in den frühen Neunzigern informierte | |
| Dolsperg, Deckname „Tarif“, über die Kameradschaft Leinefelde im | |
| thüringischen Eichsfeld, deren Wehrsportgruppe erleitete. Gute Kontakte | |
| hatte er auch zu der „Kameradschaft Jena“ und dem „Thüringer Heimatschut… | |
| Hier waren auch die drei NSU-Terroristen, Tino Brandt und André Kapke | |
| aktiv. | |
| In einer achtstündigen Vernehmung am 10. März 2014 bei der | |
| Bundesanwaltschaft soll der in Schweden lebende von Dolsperg ausgesagt | |
| haben, das Kapké ihn Anfang 1998 gebeten hätte, das gerade untergetauchten | |
| Trio zu verstecken. Dolsperg will sofort seinen V-Mann-Führer namens „Alex“ | |
| verständigt haben. Am selben Tag soll ihn „Alex“ zurückgerufen und erklä… | |
| haben, er solle den Dreien keinen Unterschlupf gewähren. Kapké bestreitet, | |
| Dolsperg um Hilfe gebeten zu haben. | |
| Am 11. November 2011, drei Tage nachdem Zschäpe sich in Jena stellte, gab | |
| der Leiter der Referat Beschaffung des Bundesamts für Verfassungsschutz, | |
| Lothar Lingen, die Anweisung, Akten von sechs V-Männer zu vernichten. Auch | |
| „Tarifs“ Akte, die zur Operation „Rennsteig“ gehörte, wurde geschredde… | |
| Bis zum 4. Juli 2012 hat das Bundesamt 310 Akten vernichtet. | |
| 15 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Speit | |
| ## TAGS | |
| V-Leute | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Verfassungsschutz | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| NSU-Prozess | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Rechtsextremismus | |
| Beate Zschäpe | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Verfassungsschutz | |
| Beate Zschäpe | |
| Sebastian Edathy | |
| NSU-Prozess | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Aufarbeitung des NSU-Skandals: Anzeige gegen Verfassungsschützer | |
| Die Familie eines NSU-Opfers zeigt Lothar Lingen wegen Strafvereitelung an. | |
| Er schredderte am Tag der NSU-Aufdeckung V-Mann-Akten. | |
| Nationalsozialistischer Untergrund: Das Rätsel um die NSU-CDs | |
| Rechtsterror des NSU? Vor 2011 nie gehört. Diese oft wiederholte Behauptung | |
| des Verfassungsschutzes gerät immer stärker ins Wanken. | |
| Propaganda-DVD beim Verfassungschutz: Früher Hinweis auf den NSU | |
| Hätte der Verfassungschutz schon früh vom NSU wissen können? Eine DVD mit | |
| der Aufschrift „NSU/NSDAP“ liegt der Behörde wohl seit 2005 vor. | |
| Kommentar NSU-Ausschuss in Thüringen: Danke, Antifa | |
| Die Linke dankt zum Abschluss des NSU-Ausschusses in Thüringen explizit | |
| auch Antifa-Aktivisten. Zu Recht. Andere Parteien sollten die Anerkennung | |
| teilen. | |
| Konsequenzen für NSU-Prozess: Pflichtverteidiger-Wechsel ist schwer | |
| Beate Zschäpe wirft im NSU-Verfahren ihre Pflichtverteidiger raus. Die | |
| wichtigsten Fragen und Antworten zur Krise in München. | |
| Unerwartete Wendung im NSU-Prozess: Zschäpe schmeißt Anwälte raus | |
| Von ihren Pflichtverteidigern hat sich Zschäpe losgesagt. Das Münchner | |
| Gericht muss nun die Konsequenzen für den NSU-Prozess prüfen. | |
| Einsatz von V-Leuten: Es wird weitergespitzelt | |
| Das V-Leute-Wesen sollte „grundlegend“ reformiert werden. Passiert ist | |
| wenig. Der VS setzt weiter auf Szene-Insider. | |
| Zschäpe feuert Anwälte im NSU-Prozess: Aus für Stahl, Sturm und Heer | |
| Sie hat das Vertrauen in ihre Verteidigung verloren. Deshalb hat Beate | |
| Zschäpe im NSU-Prozess ihre Anwälte rausgeworfen. Das könnte das Verfahren | |
| platzen lassen. | |
| SPD nach Edathy und Hartmann: Kopflos in die Sommerpause | |
| Zwei der profiliertesten Innenpolitiker werden verdächtigt, kriminell zu | |
| sein. Die Fälle Edathy und Hartmann beschädigen das Image der SPD. | |
| V-Mann-Aussage im NSU-Prozess: Der Nazi, den sie „Otto“ nannten | |
| Kaum jemand verkörpert das Behördenversagen im NSU-Komplex mehr als Tino | |
| Brandt. Nun sagte er vor Gericht aus. | |
| Aussage im NSU-Prozess: Aus der U-Haft in den Zeugenstand | |
| Der Ex-V-Mann Tino Brandt sagt im NSU-Prozess aus. Er spielt eine wichtige | |
| Rolle in der Geschichte des Terrortrios – und eine zwielichtige. |