Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aufarbeitung des NSU-Skandals: Anzeige gegen Verfassungsschützer
> Die Familie eines NSU-Opfers zeigt Lothar Lingen wegen Strafvereitelung
> an. Er schredderte am Tag der NSU-Aufdeckung V-Mann-Akten.
Bild: Akten schreddern, Spuren verwischen … was man halt so macht als Verfass…
Berlin taz | Die Familie des NSU-Opfers Mehmet Kubaşık hat den früheren
Verfassungsschützer Lothar Lingen wegen Strafvereitelung angezeigt. Der
Mann ist verantwortlich für eine der bis heute dubiosesten Episoden im
NSU-Komplex. Am 11. November 2011 – der Tag, an dem der NSU öffentlich
bekannt wurde – ordnete Lingen im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) an:
Sieben V-Mann-Akten seien zu schreddern, allesamt aus Thüringen, dem
Heimatland der Rechtsterroristen. Warum? Das bleibt bis heute umstritten.
Die Familie von Kubaşık nimmt für ihre Anzeige nun eine neue Aussage
Lingens zum Anlass. Im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags war
vergangene Woche bekannt geworden, dass Lingen schon im Oktober 2014
gegenüber der Bundesanwaltschaft ein neues Motiv für seine Schredderaktion
preisgegeben hatte. Bisher hieß es: Die Akten seien vernichtet worden, weil
auffiel, dass ihre Löschfristen überschritten waren.
Vor der Bundesanwaltschaft aber machte Lingen noch eine andere Angabe. Ihm
sei „völlig klar“ gewesen, dass mit dem NSU-Auffliegen die Frage kommen
würde, „aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden über die
terroristischen Aktivitäten der drei eigentlich nicht informiert gewesen
sind“ – trotz der „seinerzeit in Thüringen vom BfV geführten Quellen mit
acht, neun oder zehn Fällen“. So heißt es im Vernehmungsprotokoll, das der
taz vorliegt. Mit der Vernichtung habe er gehofft, so Lingen, „dass dann
die Frage, warum das BfV von nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht
auftaucht“.
Die Akten gehörten zu sieben Thüringer Spitzeln, fünf davon aus der
Operation „Rennsteig“. Mit dem Vorgang wurden ab Mitte der neunziger Jahre
gezielt Neonazis aus dem Umkreis des „Thüringer Heimatschutzes“ angeworben
– der Kameradschaft, in der auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt aktiv waren. Lothar Lingen beteuert bis heute: Zu den
Untergetauchten hätten die Spitzel nichts berichtet. Dies habe er vor der
Aktenvernichtung extra prüfen lassen.
Die Familie von Mehmet Kubaşık, der 2006 vom NSU in Dortmund erschossen
wurde, hat daran Zweifel. „Ich möchte wissen, ob der Verfassungsschutz
Informationen hatte, mit denen der Mord an meinem Mann hätte verhindert
werden können“, sagt Witwe Elif Kubaşık. „Uns ist Aufklärung versprochen
worden, aber das Gegenteil ist der Fall.“
Kubaşıks Anwältin Antonia von der Behrens kritisiert die „gezielte
Aktenvernichtung“ von Lingen scharf: „Sie ist ein weiterer Beleg für den
fehlenden Aufklärungswillen von Verfassungsschutzbehörden und
Bundesanwaltschaft.“
Lingen wurde inzwischen aus dem Verfassungsschutz in das
Bundesverwaltungsamt versetzt.
5 Oct 2016
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Verfassungsschutz
V-Mann
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Kindesmissbrauch
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
AfD Hamburg
Schwerpunkt Rechter Terror
Polizei Berlin
Aktenvernichtung
Schwerpunkt Rechter Terror
Lesestück Interview
Verfassungsschutz
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ermittlungen gegen Verfassungsschützer: Dem Schreddern auf der Spur
Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt doch gegen den Verfassungsschützer,
der V-Leute-Akten schreddern ließ. NSU-Opfer hatten Anzeige gestellt.
Zschäpes Aussagen im NSU-Prozess: Die Wortprobe
Beate Zschäpe inszeniert sich als Mitläuferin, Anwälte der Opfer halten
dagegen. Mit einem möglichen Berlinbesuch und einer Brieffreundschaft.
Der NSU und der Mord an Peggy K.: „Ein unfassbarer Verdacht“
Politiker und Anwälte sind fassungslos: DNA von Uwe Böhnhardt fand sich bei
Peggy K. Eine Verunreinigung der Spuren gilt als ausgeschlossen.
Spuren des NSU in anderem Mordfall: Böhnhardts DNA bei Peggy gefunden
Im Juli 2016 wurde die Leiche des 2001 ermordeten Mädchens in Thüringen
gefunden. Ermittler entdeckten nun DNA-Spuren des NSU-Terroristen.
Hamburger Verfassungsschutz und Politik: Linksjugend böse, AfD ok
Der Leiter des Hamburger Verfassungsschutz lehnt eine Einladung zur
Diskussion beim linken Jugendverband Solid ab. Mit der AfD hat er keine
Probleme.
Vernichtete Unterlagen zum NSU: Bundesanwälte durften schreddern
Notizbuch weg? Kein Problem: Das Verbot, Unterlagen aus dem NSU-Komplex zu
vernichten, gilt nicht für die Bundesanwaltschaft, sagt der Staatsanwalt.
Anschlagspläne des NSU: Spähte Zschäpe eine Synagoge aus?
Ein Polizist will Beate Zschäpe im Jahr 2000 vor einer jüdischen Gemeinde
in Berlin gesehen haben. Nun soll er im Münchner NSU-Prozess aussagen.
Brandenburger Verfassungsschutz: Akten zur NSU-Terrorserie vernichtet
Der Verfassungsschutz in Potsdam hat wohl Akten mit Hinweisen des V-Manns
„Piatto“ geschreddert. Die Begründung dafür trifft auf Kritik aus dem
Bundestag.
Kommentar Zschäpe im NSU-Prozess: Zeit, die Hoffnung zu begraben
Nun ist klar: Beate Zschäpe wird zur Aufklärung des NSU-Terrors nichts
beitragen. Für sie geht es nur noch um ein reduziertes Strafmaß.
NSU-Opferanwalt über Beate Zschäpe: „Sie ist vollkommen unglaubhaft“
Sebastian Scharmer hält wenig von Zschäpes Einlassung. Der Anwalt im
NSU-Prozess rechnet mit einer Höchststrafe für sie.
Verfassungsschutz und NSU: Zur Strafe befördert
Gab es in den Überwachungsbehörden harte Konsequenzen nach dem
NSU-Desaster? Drei Verfassungsschützer wurden strafversetzt – 47 stiegen
auf.
Verfassungsschutz und der NSU: Schweigende Informanten
Von ehemaligen V-Männern könnte man viel über den NSU erfahren. Doch Akten
wurden geschreddert. Ein ehemaliger Spion starb im Zeugenschutzprogramm.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.