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# taz.de -- Ermittlungen gegen Verfassungsschützer: Dem Schreddern auf der Spur
> Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt doch gegen den Verfassungsschützer,
> der V-Leute-Akten schreddern ließ. NSU-Opfer hatten Anzeige gestellt.
Bild: Hier wurde geschreddert: das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln
BERLIN taz | Nun also doch: Die Staatsanwaltschaft Köln bestätigte der taz,
dass sie doch noch gegen den Verfassungsschützer „Lothar Lingen“ ermittelt,
der kurz nach Bekanntwerden des NSU im November 2011 mehrere V-Mann-Akten
schreddern ließ.
„Wir haben am 11. November Ermittlungen aufgenommen“, sagt Ulf Willuhn,
Sprecher der Staatsanwaltschaft. [1][Just an dem Tag war die
Schredderaktion von Lingen verjährt]. Die Ermittler aber stießen auf eine
zweite Vernichtung, die der Verfassungsschützer damals wenige Tage später
veranlasst hatte. Und dafür, so Willuhn, könne sich Lingen nach ersten
Ermittlungen nicht mehr auf Gutgläubigkeit berufen.
Lingen, so sein Deckname, war 2011 Referatsleiter im Bundesamt für
Verfassungsschutz. Am 11. November 2011 – dem Tag, an dem der NSU
öffentlich bekannt wurde – hatte er angeordnet, die Akten von sieben
V-Männern schreddern zu lassen. Alle Spitzel stammten aus Thüringen, dem
Heimatland der Rechtsterroristen.
Lingen behauptet bis heute, ihm seien bei der Durchsicht der Akten nach
einem NSU-Bezug Löschfristen aufgefallen. Zu den Rechtsterroristen habe
dort nichts gestanden. Die Kölner Staatsanwaltschaft nahm dennoch
Ermittlungen auf – und stellte diese wieder ein: Lingens Version sei
glaubhaft. Die Vorwürfe verjährten.
## „Bitte nicht vernichten“
Dann aber stießen die Ermittler auf die zweite Schredderaktion. Wenige Tage
nach der ersten Vernichtung fand eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes
in einem Schrank zufällig noch einen Ordner aus dem Thüringer
V-Mann-Komplex. Als sie Lingen fragte, was damit geschehen solle, ordnete
er auch hier das Schreddern an. Zuvor allerdings schon hatte der
Referatsleiter selbst eine E-Mail an Mitarbeiter verschickt und gebeten,
wenn möglich, das Aktenschreddern noch aufzuhalten: „Hallo, ich bitte Dich,
die zur Vernichtung anstehenden Akten nicht zu vernichten.“ Der
Verfassungsschutzpräsident wünsche eine erneute Prüfung zum NSU-Trio. Da
aber waren die Akten schon zerstört.
Dass der danach erfolgte Schredderauftrag richtig war, davon konnte Lingen
nun nicht mehr ausgehen, sagte Staatsanwaltschaftssprecher Willuhn. Deshalb
werde nun wegen des Verdachts der Urkundenunterdrückung und des
Verwahrungsbruchs ermittelt. Dafür wurde Lingen nach taz-Informationen
bereits von Ermittlern aufgesucht. Eine ausführliche Befragung steht noch
aus.
Sebastian Scharmer, Anwalt von Gamze Kubasik, deren Vater 2006 vom NSU in
Dortmund erschossen wurde, lobte die Ermittlungen. „Wir begrüßen das
ausdrücklich.“ [2][Gamze Kubasik und ihre Mutter hatten Anzeige gegen
Lingen gestellt]. Scharmer verwies allerdings auf die Nichtermittlungen der
Staatsanwaltschaft zu der ersten, großen Schredder-Aktion. „Es bleibt
deshalb abzuwarten, ob es sich diesmal um eine reine Alibi-Ermittlung
handelt. Oder ob tatsächlich ernsthafte Ermittlungsschritte ohne Rücksicht
auf die Vertuschungsinteressen des Verfassungsschutzes unternommen werden“,
so der Anwalt.
Lothar Lingen selbst hatte in einer späteren Vernehmung vor der
Bundesanwaltschaft eingeräumt, er habe die Akten auch Schreddern lassen,
damit bei der Vielzahl an Thüringer V-Leuten „die Frage, warum das BfV von
nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht“. Der 59-Jährige
arbeitet inzwischen im Bundesverwaltungsamt.
23 Nov 2016
## LINKS
[1] /Zerstoerte-Beweismittel-zum-NSU-Umfeld/!5353647
[2] /Aufarbeitung-des-NSU-Skandals/!5343278
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Verfassungsschutz
Bundesanwaltschaft
Köln
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Islamismus
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Politisches Theater
Lesestück Recherche und Reportage
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