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# taz.de -- Zschäpes Aussagen im NSU-Prozess: Die Wortprobe
> Beate Zschäpe inszeniert sich als Mitläuferin, Anwälte der Opfer halten
> dagegen. Mit einem möglichen Berlinbesuch und einer Brieffreundschaft.
Bild: Zschäpe saß offenbar mit Mundlos und Böhnhardt direkt gegenüber der S…
München taz | Frank G. kann sich auch nach 16 Jahren noch erinnern. Es sei
eine auffällige, attraktive Frau gewesen, die er am 7. Mai 2000 vor der
Synagoge in der Berliner Rykestraße gesehen habe. Er selbst habe Dienst als
Objektschützer gehabt, die Frau habe an einem Tisch in einem Restaurant
gegenüber des Gotteshauses gesessen, im geblümten Kleid, mit zwei jungen,
großen Männern. Mehrmals sei er an ihnen vorbeigelaufen.
So schildert es der frühere Polizist am Mittwoch im NSU-Prozess. Die
Erinnerungen sind inzwischen brüchig, mehrmals bringt Frank G. Dinge
durcheinander. „Das ist lange her“, sagt er dann. An jenem Mai-Tag vor 16
Jahren aber war sich der Beamte am Abend plötzlich sicher, wen er da
beobachtet hatte: Beate Zschäpe. In der TV-Sendung Kripo Live wurde da über
drei gesuchte Bombenbastler aus Jena berichtet – Zschäpe und ihre Komplizen
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Frank G. erkannte die Frau von der Synagoge
wieder – und rief sofort die Polizei an.
Dass der Objektschützer in den NSU-Prozess nach München geladen ist, geht
auf eine Initiative des Anwalts Yavuz Narin zurück, der die Familie des
Münchner NSU-Opfers Theodoros Boulgarides vertritt. Narin hatte die Aussage
des Polizisten wieder ausgebuddelt – und einen schweren Verdacht geäußert:
[1][Spähte Zschäpe damals die Synagoge, die größte Deutschlands, für einen
möglichen Anschlag aus?]
Zschäpe selbst bestreitet am Mittwoch über ihren Verteidiger Mathias Grasel
den Vorwurf. Ja, sie sei im Frühjahr oder Sommer 2000 mit Mundlos und
Böhnhardt in Berlin gewesen, gesteht sie. Aber nur, „weil wir mal aus
Chemnitz rauskommen wollten“. In der sächsischen Stadt lebte das Trio nach
ihrem Untertauchen 1998 versteckt in einer Wohnung.
## Auch Jan W. war an diesem Tag in Berlin – Zufall?
Eine Synagoge habe sie in Berlin nicht ausgespäht, lässt Zschäpe wissen.
„Ich kenne keine Synagoge in Berlin.“ Auch nachdem ihr Bilder des
Gebetshauses in der Rykestraße vorgelegt wurden, habe sie dieses nicht
erkannt. Sie sei bei ihrem Berlin-Besuch rein touristisch unterwegs
gewesen: am Brandenburger Tor oder am Alexanderplatz. Am besten sei ihr das
große Kadewe-Kaufhaus in Erinnerung. „Weil ich so etwas noch nicht gesehen
hatte.“
Die Opfer-Anwälte überzeugt das nicht. Er glaube sehr wohl an den
Ausspähplan, sagt Mehmet Daimagüler, Vertreter der Familien zweier
Nürnberger NSU-Opfer. Sein Verdacht: Als Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt
aber bemerkt hätten, dass die Synagoge bewacht sei, hätten sie sich „weiche
Ziele“ gesucht. Klar ist: Sieben Monate später folgte der erste NSU-Mord,
an Enver Şimşek in Nürnberg.
Anwalt Narin und eine Kollegin legen zudem nach. Sie verweisen auf
Erkenntnisse des sächsischen Verfassungsschutzes: Laut einer
Handyüberwachung war just am 7. Mai 2000 auch Jan W., Sachsen-Chef des
militanten „Blood&Honour“-Netzwerkes, in Berlin. W. steht bis heute im
Verdacht, dem NSU eine Waffe beschafft zu haben. Und laut Verfassungsschutz
dieser an diesem Mai-Tag Kontakt mit einer Frau, die zwei Kindern hatte.
Das passt zu der Beobachtung des Objektschützers Frank G.: Er schilderte
damals, am Tisch des von ihm beobachteten Trios saßen noch ein weiterer
Mann, eine Frau und zwei kleine Kinder. „Jan W. kontaktierte die Flüchtigen
möglicherweise am 7. Mai 2000 in Berlin“, schlussfolgert der
Verfassungsschutz in einem Vermerk selbst.
Der Tag ist da für Zschäpe bereits gelaufen. Denn wieder schürt er Zweifel
an dem Bild, das die 41-Jährige zuletzt so bemüht war, von sich zu
zeichnen: das der bedrängten Mitläuferin.
Dafür hatte Zschäpe Ende September eigens erstmals das Wort erhoben im
NSU-Prozess. Sie hege, anders als früher, „keine Sympathien für
nationalistisches Gedankengut“, sprach sie ins Mikrofon. Ihre „Angst vor
Überfremdung“ habe sich über die Jahre gelegt. Und, so ergänzte Zschäpe:
Sie verurteile die Taten von Mundlos und Böhnhardt.
Schon im Dezember 2015 hatte Zschäpe diese Botschaft vermittelt. In einer
schriftlichen Einlassung hatte sie damals erstmals zu den Vorwürfen gegen
sie geäußert: Die zehn Morde und zwei Anschläge des NSU, sie gingen alle
auf das Konto von Böhnhardt und Mundlos. „Entsetzlich“ habe sie diese
gefunden. Dennoch sei sie zu abhängig von ihren Begleitern gewesen, um
diese zu verlassen.
Als „vollkommen unglaubhaft“ kanzelten die Opfer-Anwälte diese Aussagen ab.
Warum verschickte Zschäpe dann noch nach dem Tod ihrer beiden Kumpanen 2011
die blutrünstigen Bekenner-DVDs des NSU? Und warum reiste sie mit ihnen
nach Berlin, mindestens zum Urlauben, wie Zschäpe selbst einräumte,
vielleicht gar für Anschlagspläne?
## „Hochprivater“ Brief an einen Neonazi
Alexander Hoffmann, Anwalt eines Opfers des NSU-Anschlags in Köln, legte
jüngst nach. Er beantragte, einen Brief Zschäpes im Prozess verlesen zu
lassen. Den hatte diese 2013 aus der U-Haft heraus, kurz vor Prozessbeginn,
an Robin S. geschrieben, einen ebenfalls inhaftierten Neonazi aus Dortmund.
Zschäpes Verteidiger intervenieren bis heute gegen das Ansinnen: Der Brief
enthalte „Höchstprivates“ und habe im Verfahren nichts zu suchen.
Die Opferanwälte sehen das anders. Denn der Brief zeige „ungefiltert“ wie
Zschäpe ticke, so Hoffmann: nämlich keineswegs unterwürfig. So schildert
Zschäpe Robin S. etwa, wie sie bisweilen „auf Krawall gebürstet“ sei.
„Meine Schimpforgien hätten dir Schwindelgefühle bereitet.“ Gut möglich
sei, dass S. in ihr seine „Meisterin“ gefunden habe: „Ich bräuchte nur m…
dem Finger schnippen und du würdest mir hinterherhecheln.“
In der JVA dagegen, stellt Zschäpe klar, würde sie „um's Verreckenwillen“
niemanden an ihrem Gefühlsleben teilhaben lassen. Sie sei umkreist von
Menschen, die „mich in eine Richtung lenken wollen, die mir stinkt“. Dazu
kommt die Klage über „Baggersprüche so manch eines Südländers“: Diese s…
„das Hinterletzte“.
Als „selbstbewusst und abgebrüht“ präsentiere sich Zschäpe in dem
Schreiben, findet Anwalt Hoffmann – ganz anders als in ihrer
Selbstdarstellung. Auch passe der Adressat von Zschäpes Schreiben nicht zu
ihrer Aussage, sie habe sich von rechtem Gedankengut gelöst. Der Neonazi
Robin S. saß in Haft, weil er im Februar 2007 einen Lebensmittelladen
überfallen hatte: Viermal schoss er dabei auf einen Kunden, den
Deutschtunesier Mustapha R. Dieser überlebte knapp.
## Gutachten des Gerichtspsychiaters noch nicht öffentlich
Keine nationalistische Einstellung mehr, aber eine Brieffreundschaft mit
einem gewalttätigen Neonazi? Nicht nur Hoffmann sieht darin einen
Widerspruch. Im Prozess ist der Zschäpe-Brief dagegen immer noch nicht
verlesen worden. Zuletzt hatte sich auch Robin S. dagegen ausgesprochen:
Dies verletze seine Persönlichkeitsrechte. Nun müssen die Richter
entscheiden.
Und: Druck könnte auf Zschäpe demnächst auch von anderer Seite kommen. Denn
dieser Tage übermittelte der Gerichtspsychiater Henning Saß dem Senat sein
Gutachten über die Angeklagte. Öffentlich ist es noch nicht, für Zschäpe
aber ein weiteres Risiko.
Über dutzende Prozesstage hatte Saß die Angeklagte im Gericht beobachtet.
Wie reagierte sie auf die Aussagen von Opferangehörigen? Wie auf
Schilderungen der Gewalt ihrer Kumpanen? Direkt mit Saß sprechen, wollte
Zschäpe nicht. Schon vor Prozessbeginn hatte der Psychiater deshalb auf
Aktengrundlage ein vorläufiges Gutachten erstellt. Voll schuldfähig sei
Zschäpe, stellte Saß darin fest. Ihr Auftreten beschreibt er als
„selbstbewusst, unbefangen, tatkräftig“. Die rechtsextreme Ideologie von
Mundlos und Böhnhardt habe Zschäpe wohl geteilt. Zweifel an den Taten habe
er nicht feststellen können.
Die hat Zschäpe inzwischen geäußert. Die Frage nur ist: Hält Saß dies für
glaubhaft? Denn Zschäpe ließ bisher unbeantwortet, wie es zu ihrem
Gesinnungswandel kam, ausgerechnet im Untergrund. Und Saß wird sich auch
noch zu einem anderen Punkt äußern: Für wie gefährlich er Zschäpe noch
hält. Die Einschätzung ist entscheidend für die Entscheidung, ob der
Angeklagten am Ende nach einer möglichen Haftstrafe auch noch eine
Sicherungsverwahrung droht.
## Bundesanwaltschaft ist wieder gestärkt
Klar ist: Zschäpe befindet sich bereits wieder in der Defensive, ihre
Aussage vom September ist verpufft. Und die Diskussion um ihren
Berlin-Besuch macht die Sache noch düsterer.
Selbstsicher gibt sich dieser Tage daher auch ein anderer Akteur: die
Bundesanwaltschaft. In ihrer Anklage hatte sie Zschäpe als Mittäterin für
die zehn Morde, zwei Anschläge und 15 Überfälle des NSU erklärt – obwohl
sie an keinem der Tatorte gesehen wurde. Von einer „untergeordneten
Stellung“ Zschäpes innerhalb des Trios sei „nichts ersichtlich“, schrieb…
die Bundesanwälte. Einer von ihnen, Jochen Weingarten, hält dazu am
Mittwoch nur knapp fest: „Bisher spiegelt die Beweisaufnahme unsere Anklage
wider.“
26 Oct 2016
## LINKS
[1] /Anschlagsplaene-des-NSU/!5346497
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Beate Zschäpe
NSU-Prozess
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Mordfall Peggy K.
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Rechtsextremismus
Kindesmissbrauch
Polizei Berlin
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