| # taz.de -- V-Mann-Aussage im NSU-Prozess: Der Nazi, den sie „Otto“ nannten | |
| > Kaum jemand verkörpert das Behördenversagen im NSU-Komplex mehr als Tino | |
| > Brandt. Nun sagte er vor Gericht aus. | |
| Bild: Demonstration gegen den Verfassungsschutz beim NSU-Prozess in München. | |
| BERLIN/MÜNCHEN taz | In Handschellen betritt Tino Brandt am Dienstagmorgen | |
| den Saal A101 des Münchener Oberlandesgerichts. Durch eine Seitentür, ganz | |
| in Schwarz gekleidet. Flüchtig schaut der stämmige Mann mit den kurzen | |
| Haaren und dem Kurzbart durch seine Brille hoch zur Empore. | |
| Dass die voll besetzt ist, überrascht nicht: Der Auftritt Brandts ist | |
| zentral im NSU-Prozess. Seit mehr als einem Jahr verhandelt das Gericht die | |
| Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds, die zehn Menschen das | |
| Leben kostete. Und kaum jemand steht mehr für das Behördenversagen als | |
| Brandt: In den 1990ern war der 39-Jährige Chef des Thüringer Heimatschutzes | |
| (THS) – einer Kameradschaft aus bis zu 170 Neonazis, der auch die späteren | |
| NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe angehörten. | |
| Und er war gleichzeitig Quelle des Thüringer Verfassungsschutzes. | |
| Brandt war nicht allein: Spitzel mit den Decknamen Riese, Küche, Alex, | |
| Tarif, Corelli, Piatto oder Ibrahim tummelten sich im NSU-Umfeld. Bis heute | |
| bleibt die größte offene Frage: Warum nur kamen Verfassungsschutz und | |
| Polizei dem untergetauchten Trio nicht auf die Schliche – obwohl sie so nah | |
| dran waren? | |
| Brandt hätte einer ihrer größten Helfer werden können. Richter Manfred | |
| Götzl weiß um die Bedeutung. Gleich drei Prozesstage hat er für dessen | |
| Befragung anberaumt. „Es war mein größter Fehler, mit dem Verfassungsschutz | |
| zusammenzuarbeiten“, sagt Brandt gleich zu Beginn, die Stimme dünn. Sein | |
| früheres Leben sei mit der Enttarnung 2001 erledigt gewesen, sein Job beim | |
| Szeneverlag Nation Europa und der Freundeskreis ebenso. | |
| ## „Fachwissen zu Recht und Germanentum“ | |
| Seine Gesinnung aber hat er sich bis heute bewahrt. „Nach wie vor“ sei | |
| dieser „Rechtsstaat auf deutschem Boden“ nicht der, den er sich vorstelle, | |
| antwortet er auf eine Frage Götzls. Würden hier doch „politische Gruppen“ | |
| verfolgt. Auch gebe es keine „Wissenschaftsfreiheit“. Was das bedeute, | |
| fragt Götzl. Der Zeuge schimpft leise, dass Horst Mahler in Haft sei. Der | |
| Ex-RAF-Anwalt und NPD-Mann sitzt seit Jahren wegen Holocaustleugnung ein. | |
| Zurückhaltend tritt Brandt auf, von sich aus redet er kaum – nichts | |
| verweist auf das Charisma einer Führungsperson. Vielleicht auch, weil | |
| Brandt seit Ende Juni in der JVA Gera in U-Haft sitzt wegen des Verdachts | |
| des sexuellen Missbrauchs. Deshalb auch die Handschellen. | |
| Von Götzl aber wird Brandt über den THS befragt. „Ich war da ein | |
| Mitinitiator“, spielt er seine Rolle herunter. Der Gruppenname sei | |
| „irgendwie demokratisch“ gefunden worden. Zum späteren NSU-Trio sagt der | |
| Zeuge wenig. Götzl hält ihm seine Aussagen beim BKA von 2012 vor. Ja, sagt | |
| Brandt, die Jenaer THSler hätten schon ein „ideologisch gefestigtes | |
| Weltbild“ gehabt. Mundlos habe sich als „nationaler Sozialist“ verstanden | |
| und das „auch argumentativ begründen“ können. Auch Zschäpe habe bei | |
| Schulungen „Fachwissen zu Recht und Germanentum gehabt“, sei „keine dumme | |
| Hausfrau“ gewesen. Die Angesprochene sitzt nur wenige Meter entfernt, hört | |
| konzentriert zu. | |
| ## 3.000 Mark gesammelt | |
| Der THS war Ausgangspunkt der Radikalisierung des späteren NSU. Früh schon | |
| seien die Jenaer durch „konspirative Abschottung“ und „eigenständige | |
| Aktionen“ aufgefallen, berichtete Brandt dem BKA. Für die Ermittler war es | |
| aber auch der THS-Chef selbst, der Mitglieder zur Gewalt anstachelte. Daran | |
| aber will sich Brandt nicht mehr erinnern. | |
| Auch wenn der Verfassungsschutz Brandt uneingeschränkte Aussagegenehmigung | |
| erteilt hat: Für den Dienst ist der Auftritt heikel. Ab 1994 führten die | |
| Thüringer den Zeugen unter dem Decknamen „Otto“, später als „Oskar“. … | |
| einem Pressebericht über ein Konzert habe sich der Dienst an ihn gewandt, | |
| berichtet Brandt. Der feierte die Anwerbung damals als Durchbruch: Bis | |
| dahin sei die Kenntnislage „desolat“ gewesen. | |
| Brandt indes führt nicht nur den „Heimatschutz“, er wird später auch | |
| NPD-Landesvize. Ein Verstoß: Das Amt darf keine Führungsfiguren bezahlen. | |
| 2001 wird der Spitzel deshalb abgeschaltet – aber zwei Monate später | |
| reaktiviert. Zu angewiesen ist der Dienst auf seine Quelle. | |
| In München verneint Brandt, bewusst auf die 1998 abgetauchten Mundlos, | |
| Böhnhardt und Zschäpe angesetzt worden zu sein. Dabei war er nah dran: Bis | |
| zu 3.000 Mark sammelte er auf Konzerten für das Trio ein, erzählt er. | |
| Übergeben wurde das Geld über einen Kontaktmann, André K. Auf den hatte | |
| Brandt auch den Verfassungsschutz hingewiesen. Auch berichtete er, das Trio | |
| finanziere sich über den Verkauf eines selbstgestalteten „Pogromly“-Spiels. | |
| Im März 1999 telefonierte er gar mit Böhnhardt. | |
| ## Ein „exorbitant hohes“ Honorar | |
| Insgesamt gut drei Dutzend Hinweise lieferte der Spitzel zu den | |
| Untergetauchten. Die aber brachten das Amt nicht näher an das Trio heran. | |
| Zwar veranlasste es Observationen, ließ über Brandt „Pogromly“-Spiele | |
| erwerben, 100 Mark das Stück. Das Amt übergab ihm gar 1.800 Mark – für die | |
| Ausreise der Untergetauchten. Das Geld verschwand, das Trio blieb. | |
| Unentdeckt. | |
| Für seine Informationen wurde Brandt großzügig entlohnt: Rund 200.000 Mark | |
| erhielt er für seine Dienste – ein Salär, das selbst in der Behörde als | |
| „exorbitant hoch“ bezeichnet wurde. Brandt will das Geld wieder in die | |
| Szene investiert haben: für Reisekosten, den Druck von Aufklebern oder die | |
| Bezahlung von Geldstrafen für Kameraden. | |
| Zudem behauptet der Zeuge, von dem Amt auch vor Razzien gewarnt worden zu | |
| sein. Das bestreitet der Verfassungsschutz bis heute. Tatsächlich aber | |
| liefen gegen den Neonazi 35 Verfahren – verurteilt wurde er aber nie. | |
| „Äußerst problematisch“ sei der Fall Brandt, urteilte der | |
| NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Der Verdacht stehe im Raum, dass | |
| der Staat über Brandt die Neonazi-Szene finanziert habe. Das Amt selbst | |
| räumte ein, dass ihr V-Mann am Ende „aus dem Ruder gelaufen“ sei. | |
| Der NSU-Ausschuss hat eine Erklärung, warum der Verfassungsschutz trotz | |
| aller V-Leute scheiterte: „Nicht mal ansatzweise“ seien Quellen eingesetzt | |
| worden, um gezielt nach dem Trio zu forschen. Vorliegende Hinweise seien | |
| nicht weitergegeben worden – aus vermeintlichem „Quellenschutz“. Eine | |
| „Unkultur des Zurückhaltens von Informationen“, so die Abgeordneten. | |
| Am Nachmittag wird Brandt immer wortkarger, vermag sich an immer weniger zu | |
| erinnern. Bis Donnerstag wird sich der Zeuge noch viele Fragen gefallen | |
| lassen müssen. | |
| 15 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Speit | |
| Konrad Litschko | |
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