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# taz.de -- Fünf Jahre NSU-Prozess: „Unglaubwürdig und meschugge“
> Die Verteidiger von Beate Zschäpe weisen deren Mitschuld an der Mordserie
> zurück. Völlig abwegig, finden die Opfer und ihre Anwälte. Fünf
> Protokolle.
Bild: Abdulkerim (2. v. l.) und Adile Şimşek (2. v. r.), Sohn und Witwe des v…
Berlin taz | Seit fast fünf Jahren wird vor dem Oberlandesgericht München
über die Terrorserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU)
verhandelt. Über die 10 Morde, 2 Bombenanschläge, 15 Raubüberfälle, verübt
von 1998 bis 2011. Taten, die alle einer Frau angelastet werden: Beate
Zschäpe, die einzige noch Lebende des Zwickauer Terrortrios.
In der vergangenen Woche, nach 420 Prozesstagen, durfte Beate Zschäpe noch
einmal ihre Sicht auf die Vorwürfe kundtun – mit dem Plädoyer ihrer
Verteidiger. Und die erklärten die Angeklagte für unschuldig an der
Terrorserie. Zschäpe sei zwar mit in den Untergrund gegangen, die Morde und
Anschläge aber seien alleiniges Werk ihrer beiden Begleiter Uwe Mundlos und
Uwe Böhnhardt gewesen. Zschäpe sei an keinem Tatort gewesen, auch in keine
Planung involviert – anderes sei bis heute nicht nachgewiesen. Lediglich
von den 15 Raubüberfällen habe die 43-Jährige gewusst und diese geduldet.
Zudem sei sie verantwortlich für die Inbrandsetzung des letzten
NSU-Unterschlupfs in Zwickau. Die Verteidiger plädierten auf Freispruch
für die Mord- und Anschlagsserie und für den Rest auf eine Haftstrafe nicht
höher als zehn Jahre. Und sie versicherten: Heute gebe es bei Zschäpe
keinerlei rechtsextreme Gesinnung mehr.
Die Bundesanwaltschaft sieht Zschäpe als gleichberechtigte Mittäterin an
der Terrorserie. Sie sei durch das enge Zusammenleben im Untergrund in alle
Morde eingeweiht gewesen und habe diese auch gewollt. Zschäpe habe zudem
für die Tarnung des Trios gesorgt, Papiere und Wohnungen organisiert – und
am Ende, nach dem Tod der Männer, das NSU-Bekennervideo verschickt. Ohne
sie wären die Taten nicht möglich gewesen. Die Forderung der
Bundesanwaltschaft: lebenslange Haft mit anschließender
Sicherungsverwahrung. Die Höchststrafe.
Der NSU-Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt, dann mit dem Plädoyer des
Mitangeklagten Carsten S. Er soll den Rechtsterroristen die Ceska-Pistole
überbracht haben, mit dem diese neun ihrer Opfer erschossen. Ein Urteil
könnte nach jetzigem Stand im Juni erfolgen. (ko, db)
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## „Zu Recht als Mörderin angeklagt“
Die Strategie von Beate Zschäpe ist und bleibt kläglich. Wenn alles ganz
anders war als in der Anklage, hätte sie gleich zu Prozessbeginn auspacken
können. Aber Zschäpe hat erst gesprochen, als klar war, dass sie hoch
verurteilt wird – mit Ausführungen, die zwischen unglaubwürdig und
meschugge liegen. Da ist also eine Nazifrau, die mit Nazis zusammenwohnt
und immer wieder nur entsetzt ist, wenn diese von ihren Nazimorden
berichten? Beim ersten Mal gar so entsetzt, dass es keine
Weihnachtsgeschenke gab. Aha. Und wenn sie so abhängig war von ihren Uwes,
warum hat sie dann die Bekenner-DVD des NSU verschickt? Da waren beide
Männer tot, es gab keinen Druck mehr. Die Aussage ist gelogen,
offensichtlich. Da hilft auch das Plädoyer ihrer Anwälte nicht. Sie wischen
alle Vorwürfe als falsch weg – aber ich habe nichts von ihnen gehört, was
ein alternatives Tatgeschehen plausibel erscheinen lässt. Erschreckend ist
auch die Unkenntnis rechtsextremer Terrorstrategien. Man könne nicht von
einem rassistischen Tatmotiv reden, weil die türkische Community ohne
Bekennerschreiben nicht gewusst habe, wer die Taten beging, und gar nicht
verunsichert gewesen sein konnte? Die Verunsicherung in der Community war
enorm, die Terrorbotschaft des NSU ist dort genau angekommen. Nur bei den
Ermittlern nicht. Beate Zschäpe ist zu Recht als Mörderin angeklagt und
wird auch so verurteilt werden. Das wird aber nicht das Ende der
juristischen Aufarbeitung sein. Ich werde nach dem Prozess mit einer
Staatshaftungsklage notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte ziehen. Es sind zu viele Fragen offen.“
Mehmet Daimagüler Anwalt der Familien von Abdurrahim Özüdoğru und İsmail
Yaşar, erschossen am 13. Juni 2001 und am 9. Juni 2005 in Nürnberg.
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## „Erdrückende Indizien“
Das Plädoyer ist keine Überraschung. Die einzige spannende Frage war, wie
es Grasel und Borchert gelingen könnte, eine Beweisaufnahme zu würdigen, an
der sie weitgehend nicht teilgenommen haben. Daran sind Grasel und Borchert
krachend gescheitert. Dieser sogenannte Jahrhundertprozess hat eine derart
schlechte Verteidigung der Hauptangeklagten nicht verdient. Offenbar ging
es Borchert nur darum, die von ihm verfasste Zschäpe-Einlassung vom
Dezember 2015 zu verteidigen. Als ob eine Beweisaufnahme nicht
stattgefunden hätte, wiederholte er nur, die Einlassung sei nicht
widerlegt. Natürlich kann die Verteidigung das behaupten – aber bei der
Fülle von erdrückenden Indizien nur, weil sie die Beweisaufnahme ignoriert.
Nach dieser Logik kann ein Angeklagter nie verurteilt werden. Ich
produziere eine Einlassung, die mit der Realität nichts gemein hat und
behaupte dann – unter Ausblendung von über 400 Verhandlungstagen – die
Einlassung sei nicht widerlegt. Die Strafmaßforderung von zehn Jahren
Freiheitsstrafe ist dann auch vollständig sinnbefreit. Es wäre
nachvollziehbar gewesen, wenn die Verteidigung die Täterschaft von Zschäpe
in Zweifel zieht und lediglich von einer Beihilfe ausgeht. Eine Beteiligung
an den Mordtaten und Anschlägen aber generell zu bestreiten, ist angesichts
der Beweisaufnahme abwegig.“
Thomas Bliwier Anwalt zweier Schwestern von Halit Yozgat, der am 6. April
2006 in Kassel erschossen wurde
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## „Die Managerin der Morde“
Das Plädoyer von Frau Zschäpe ist für die Hinterbliebenen ein weiteres
schweres Unrecht von vielen. 13 Jahre lebte sie zusammen mit den Männern im
Untergrund, wandte alle Tricks an, um nicht erkannt zu werden, nur mit den
Morden hatte sie nichts zu tun? Was für ein erbärmliches Zeugnis. Sie
hätten jeden Tag die Chance gehabt, zur Polizei zu gehen. Aber das hat sie
nicht getan. Für die Hinterbliebenen ist klar: Frau Zschäpe war die
Managerin der zehn Morde und der Bombenattentate, sie hat das gewieft und
erfolgreich organisiert. Viele Familien hatten gehofft, dass Frau Zschäpe
im Prozess endlich offenlegt, warum ihre Angehörigen zu Opfern wurden –
aber auch das hat sie nicht. Die Familien haben während des Prozesses
erlebt: Dieser Frau fehlt jedes Unrechtsbewusstsein. Für die Opferfamilien
kommt nur die Strafe infrage, die die Bundesanwaltschaft fordert: die
Höchststrafe. Und selbst die ist der Schuld nicht angemessen. Auch dass der
Prozess nicht weitere Mittäter aufgedeckt hat, dass das Staatsversagen
nicht untersucht wurde, das hat viele Familien enttäuscht. In ihren Augen
ist der deutsche Rechtsstaat beschädigt durch die beispiellos blinde
Ermittlungsarbeit nach dem Abtauchen der Terroristen und in den Tatjahren.“
Barbara John Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der
NSU-Terrorserie.
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## „Ausgedachte Geschichte“
Das Plädoyer war genauso konstruiert, wie die Erklärungen von Beate
Zschäpe, es wirkte teils bizarr. Meine Mandantin hat aber nichts anderes
erwartet. Zschäpes Anwalt Herrmann Borchert hat sich allein an dem
orientiert, was er und sein Kollege Grasel für Zschäpe als Einlassung
abgegeben haben. Er nannte diese Schilderungen selbst ein literarisches
Werk aus seiner Feder. Für Gamze Kubaşık ist es eine ausgedachte
Geschichte, mit der sich Zschäpe aus der Verantwortung ziehen will. Die
jahrelange Beweiserhebung hat gezeigt, dass Zschäpe sehr wohl ihren Anteil
an den Morden hatte. Ihre neuen Verteidiger haben das ignoriert.
Stattdessen halten sie immer nur ihre Einlassung hoch. Das können sie
machen, aber es wird niemanden überzeugen. Denn diese Einlassung ist am
Ende ein Beweismittel von vielen. Und die Frage ist: Wie glaubhaft ist sie?
Da sagen nicht nur wir: überhaupt nicht. Für Frau Kubaşık ist Beate Zschäpe
genauso schuldig am Tod ihres Vaters wie die, die auf ihn schossen. Sie
wünscht sich endlich ein klares Urteil. Dabei war für Frau Kubaşık ein
möglichst schneller Abschluss des Prozesses nie entscheidend. Sie wollte
Aufklärung. Aber die ist in diesem Verfahren nicht mehr zu erwarten. Eine
Hoffnung aber hat Frau Kubaşık: Dass die Richter in ihrer Urteilsbegründung
klarmachen, dass längst nicht alle Fragen zum NSU-Terror geklärt und längst
nicht alle Täter, Helfer und Unterstützer zur Verantwortung gezogen wurden.
Die Aufklärung muss deshalb weitergehen.“
Sebastian Scharmer Anwalt von Gamze Kubaşık, deren Vater Mehmet am 4.
April 2006 in Dortmund erschossen wurde.
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## „Es ist enttäuschend“
Es ist enttäuschend, dass Frau Zschäpe auch das Ende des Prozesses nicht
dafür nutzt, um uns Antworten zu geben. Wir werden damit leben müssen, dass
wir diese nicht bekommen. Warum musste mein Vater sterben? Wie wurde er
ausgewählt? Dass Frau Zschäpe dazu nichts weiß und mit alledem nichts zu
tun hatte, glaube ich nicht. Sie ist genauso schuldig am Mord an meinem
Vater. Maximal zehn Jahre Haft, wie ihre Verteidiger jetzt fordern? Nein.
Sie sollte in höchstem Maße bestraft werden.“
Abdulkerim Şimşek Sohn von Enver Şimşek, der am 9. September 2000 in
Nürnberg erschossen wurde.
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Aufgeschrieben wurden die Protokolle von Konrad Litschko
1 May 2018
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Diese habe keine zentrale Rolle in der Terrorserie gespielt.
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