# taz.de -- Flucht und Migration nach Europa: Der andere Weg nach Spanien | |
> 58 Menschen aus Gambia sind vor der Küste Mauretaniens beim Kentern ihres | |
> Bootes ertrunken. Sie waren unterwegs zu den Kanarischen Inseln. | |
Bild: Damals kamen noch sehr viele: Geflüchtete im Hafen von Santa Cruz, Tener… | |
BERLIN taz | Bei einem Bootsunglück vor der Küste Mauretaniens sind am | |
Mittwoch mindestens 58 Menschen ertrunken. Das gab die Internationale | |
Organisation für Migration (IOM) bekannt. | |
Demnach befanden sich etwa 140 Menschen an Bord des Bootes. 87 der Insassen | |
retteten sich schwimmend ans Ufer. Das Unglück ereignete sich etwa 50 | |
Kilometer südlich der Stadt Nouadhibou, ganz im Norden Mauretaniens. | |
Bei den Insassen handelt es sich den IOM-Angaben zufolge um gambische | |
Staatsangehörige. Das Boot hatte nach Aussagen Überlebender den kleinen | |
Staat an der westlichen Spitze Afrikas am Mittwoch, dem 27. November, in | |
Richtung Kanarische Inseln verlassen. Dorthin sind es etwa 1.600 Kilometer. | |
In den sieben Tagen bis zum Schiffsunglück am Mittwoch legte das Boot rund | |
die Hälfte der Strecke zurück. Dann ging der Treibstoff aus und es | |
kenterte. Die Überlebenden wurden von der IOM in das Krankenhaus der Stadt | |
Nouadhibou gebracht. | |
## Anstieg der Flüchtlingszahlen auf den Kanaren | |
Die Zahl der Ankünfte von Flüchtlingen und irregulären MigrantInnen auf den | |
Kanarischen Inseln ist seit einiger Zeit deutlich angestiegen. 2019 | |
erreichten auf diesem Weg nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex | |
1.987 Menschen auf 109 Booten spanisches Territorium, das waren etwa | |
fünfmal so viele wie zwei Jahre zuvor. | |
Grund dafür war vor allem die restriktive Politik des mittlerweile aus dem | |
Amt geschiedenen italienischen Innenministers [1][Matteo Salvini, der die | |
Route übers Mittelmeer zu blockieren versuchte]. Trotzdem ist der Weg von | |
der westafrikanischen Küste zu den Kanaren die am schwächsten frequentierte | |
Migrationsroute. Von 2010 bis 2017 kamen so jedes Jahr nur einige Hundert | |
Menschen in die EU – ein Bruchteil der Zahlen im Mittelmeer. | |
Das liegt nicht nur an dem langen und entsprechend beschwerlichen Weg über | |
das Meer. Es hat vor allem damit zu tun, dass Spanien sehr früh in der | |
Region interveniert und die Route effektiver blockiert hat, als es der EU | |
irgendwo sonst gelungen wäre. | |
Ab 2005 hatte die Regierung in Madrid zunächst die Sperranlagen der | |
Enklaven Ceuta und Melilla deutlich verstärkt. Im folgenden Jahr kamen rund | |
31.000 Flüchtlinge und MigrantInnen an den Küsten der Kanaren an – für | |
damalige Verhältnisse eine extrem hohe Zahl. | |
## Für Westafrika gibt es Geld samt Guardia Civil aus Spanien | |
Madrid stockte die Entwicklungshilfe für Westafrika deutlich auf und | |
erkaufte sich damit das Recht, vor allem in den Küstengewässern Senegals zu | |
patrouillieren. | |
Seither ist die spanische Grenzschutztruppe Guardia Civil dauerhaft im | |
Hafen der senegalesischen Hauptstadt Dakar stationiert und fängt Boote, die | |
ihr verdächtig erscheinen, einfach ab. Senegal stellte gar den Versuch, das | |
Land zu verlassen, um ohne Papiere nach Europa zu reisen, unter Strafe. | |
Spanien bekam ab August 2006 europäische Hilfe für diesen Einsatz: Die | |
gerade gegründete EU-Grenzschutzagentur Frontex beteiligte sich an der | |
Überwachung der Kanaren. | |
## Geräuschlose „Operation Hera“ von Frontex | |
Die „[2][Operation Hera]“ genannte Mission war die längste, die Frontex bis | |
heute unternommen hat. Sie lief zwölf Jahre lang, weitgehend geräuschlos, | |
bis 2018. Unter anderem bekam die Guardia Civil Unterstützung durch | |
französische Hubschrauber. | |
Die Grenzschützer beschränkten sich allerdings nicht darauf, Boote nur | |
aufzuhalten und zurückzuschicken. Jene, die schon weit in Richtung Kanaren | |
vorgedrungen waren, wurden jahrelang in einem eigens errichteten | |
Internierungslager eingesperrt. Das befand sich in der mauretanischen Stadt | |
Nouadhibou – genau dort, wo sich nun das Unglück ereignete. | |
Die Aufgehaltenen wurden von dort auf Lkws der mauretanischen Armee durch | |
die Wüste zurück nach Süden gefahren und an der Grenze zu Mali abgesetzt. | |
Dabei wurde offenbar keine Rücksicht darauf genommen, ob es sich bei den | |
Menschen um Schutzbedürftige handeln könnte. Die Möglichkeit, einen | |
Asylantrag zu stellen, wurde ihnen verweigert – ein klarer Rechtsverstoß. | |
## Kein Einblick in Einsatzdokumente | |
2016 versuchte das in Berlin ansässige Europäische Zentrum für Grund- und | |
Verfassungsrechte, die entsprechenden „Hera“-Einsatzdokumente zu erhalten. | |
Doch Frontex gab diese nur geschwärzt heraus. | |
Seit 2013 haben etwa 61.000 GambierInnen einen Asylantrag in der EU | |
gestellt. Das sind angesichts der Einwohnerzahl des Landes von nur gut 2 | |
Millionen sehr viele. Denn obwohl Gambia eines der wenigen Reiseziele für | |
Pauschaltouristen in Westafrika ist, ist die politische Situation | |
angespannt. | |
[3][Besonders viele GambierInnen verließen das Land in den Jahren 2014 bis | |
2017] – den letzten Jahren der Herrschaft von Yahya Jammeh. Der hatte einen | |
[4][autoritären Polizeistaat] errichtet, Gambia zur „islamischen Republik“ | |
erklärt und sich nach 21 Jahren geweigert, die Macht abzugeben. | |
Der Konflikt war Ende 2016 so weit eskaliert, dass die Armee Senegals | |
einmarschierte und die Machtübergabe an den Nachfolger Adama Barrow | |
durchsetzte. | |
Seither hat sich die Menschenrechtslage etwas verbessert, und auch [5][die | |
Flüchtlingszahlen gingen deutlich zurück]. Gleichwohl leidet die Wirtschaft | |
des Landes bis heute unter den Folgen der Ära Jammeh, so dass viele junge | |
Menschen das Land verlassen. Auf Asyl können sie dabei allerdings nicht | |
hoffen. 2018 wurden nur rund 5 Prozent aller Asylanträge von gambischen | |
Staatsangehörigen in der EU anerkannt. | |
NaN NaN | |
## LINKS | |
[1] /Salvini-blockiert-Seenotrettung/!5619456 | |
[2] /Gerichtsurteil-zu-NGO-Klage/!5644843 | |
[3] /Flucht-aus-Gambia/!5543474 | |
[4] /Repressionen-und-Gewalt-in-Gambia/!5436066 | |
[5] /Kolumne-Afrobeat/!5373151 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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gebracht. |