# taz.de -- Filmfestspiele Venedig: Von Müttern und Bürgermeisterinnen | |
> Lidokino 2: Mit Stars in Hochform beginnen die Filmfestspiele von | |
> Venedig. Penélope Cruz und Isabelle Huppert bestechen in Dramen. | |
Bild: Milena Smit (l-r), Pedro Almodovar und Penelope Cruz beim Fototermin für… | |
Wenn man schon einen Farbfilm dreht, dann dürfen die Farben auch laut | |
werden. Beim [1][spanischen Regisseur Pedro Almódovar] hat dieses Credo die | |
Züge einer Obsession. Das gilt auch für seinen Wettbewerbsfilm „Madres | |
paralelas“, mit dem die Filmfestspiele von Venedig am Mittwoch eröffneten. | |
Wohnungen sind mit Möbeln in schreienden Tönen ausgestattet, Mobiltelefone | |
haben rote und neongelbe Schutzhüllen, selbst ein Jeep für eine Fahrt aufs | |
Land ist in einem knalligen Gelb gehalten. | |
Ebenso wenig ist der Alltag, von dem Almodóvar in „Madres paralelas“ | |
erzählt, auch nur annähernd grau. In der Begegnung zweier werdender Mütter, | |
die sich im Krankenhaus kennenlernen, kurz bevor sie beide gebären, geht | |
es, wie oft bei Almodóvar, in grell zugespitzter Form um elementare Dinge. | |
Janis (Penélope Cruz), ist selbstständige Fotografin und Single, sie hat | |
sich vom Vater getrennt, als der Bedenken gegen das Kind geäußert hatte. | |
Ana (Milena Smit), ist von Mitschülern vergewaltigt worden, wer der Vater | |
ist, steht nicht eindeutig fest. | |
Die Neugeborenen werden nach der Entbindung von den Müttern zur Beobachtung | |
isoliert, es gibt gesundheitliche Risiken. Für Janis, die von ihren Eltern | |
nach Janis Joplin benannt wurde, kommt es zu einer Krise, als der Vater zum | |
ersten Mal seine Tochter sieht und den Eindruck hat, das Kind sei nicht von | |
ihm. In der Folge werden mehrere Gentests vorgenommen, die für die | |
Beteiligten zu überraschenden Einsichten führen. | |
## Schatten des Spanischen Bürgerkriegs | |
Dieses Drama um zwei Frauen, deren Beziehung zueinander im Verlauf der | |
Geschichte nicht einfacher wird, hätte im Grunde schon ausgereicht. Cruz | |
und Smit tragen den Film mit einem Spiel aus Annäherungen und | |
Abstandnehmen. Almodóvar flicht als Rahmen zugleich eine Erinnerung an die | |
[2][Opfer des Spanischen Bürgerkriegs] ein. Janis lernt den Vater ihres | |
zukünftigen Kindes nämlich allein deshalb näher kennen, weil dieser sich | |
von Berufs wegen mit Ausgrabungen auskennt. Und Janis will das Grab | |
ausheben, in dem sie ihren Großvater vermutet, der von faschistischen | |
Falangisten ermordet wurde. | |
Wie Almodóvar die verschiedenen Erzählungen aneinander fügt, ist nicht | |
immer subtil, doch findet er im Gentest, der bei den Ausgrabungen noch | |
einmal zum Einsatz kommt, eine passende optische Klammer, die zudem eine | |
weitere Ebene schafft. Denn es ist schwer, bei den Teststäben nicht an den | |
Pandemiealltag zu denken. | |
Ein Drama aus dem Inneren der französischen Lokalpolitik zeigt hingegen | |
Thomas Kruithof in „Les promesses“, dem Eröffnungsfilm der Reihe | |
„Orizzonti“. [3][Isabelle Huppert] spielt darin die Pariser Bürgermeisterin | |
Clémence, die kurz vor dem Ende ihrer Laufbahn die Renovierung eines | |
heruntergekommenen Wohnungskomplexes in der Banlieue sicherstellen will. | |
Zusammen mit ihrer rechten Hand Yazid (Reda Kateb) versucht sie, die | |
verschiedenen Interessengruppen von ihrem Plan zu überzeugen, was sich vor | |
allem auf Regierungsebene zäh gestaltet. | |
Ihre Rolle versieht Huppert mit einer entwaffnend selbstbewussten | |
Unerschütterlichkeit, sie ist ganz die Politikerin mit Kontakt zu den | |
Bürgern, die sich allein der Sache verschrieben hat, für Verlockungen der | |
Macht andererseits nicht völlig unempfänglich ist. Die Handlung gerät dabei | |
jedoch zunehmend zu einer Heldenerzählung über den unerschrockenen Kampf | |
Einzelner gegen einen verfilzten Apparat, mit einigen charmanten Wendungen, | |
in seiner Gesamtbewegung jedoch verdächtig nah an Hollywood-Mustern | |
orientiert. Kruithofs Regie macht daraus einen Politthriller, dem man | |
gebannt folgt, von dessen Drehbuch man sich am Ende aber nicht richtig | |
ernst genommen fühlt. | |
2 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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