# taz.de -- Kriegstraumata bei den Filmfestspielen: Ein Folterer als Pokerface | |
> Lidokino 4: Paul Schraders „The Card Counter“ erinnert im Wettbewerb von | |
> Venedig an Guantánamo und den Irak. Paolo Sorrentino erzählt von Neapel. | |
Bild: Seelisch versehrt, wird sich der Exfolterer Will (Oscar Isaac) nicht in d… | |
Ein anderer Blick auf Traumata ist nicht zwingend ein Mittel, um sie zu | |
überwinden, er kann aber helfen, besser darüber zu sprechen. Nach den | |
Vietnamveteranen und ihren Gespenstern, die sie nicht loslassen, sind seit | |
einigen Jahren die Kriege im Irak und in Afghanistan Gegenstand von Filmen, | |
wenn es um Kriegsheimkehrer in den USA geht. | |
Ein solcher ist der Protagonist von [1][Paul Schraders] „The Card Counter“, | |
der im Wettbewerb von Venedig läuft. Dieser Will (Oscar Isaac) nennt sich | |
vielsagend Will Tell, heißt aber eigentlich Tillich. Seine Tarnung hat | |
einen Grund, er war in der Armee für das zuständig, was offiziell als | |
„Erweiterte Verhörtechniken“ bezeichnet wurde. In der Praxis von Guantána… | |
oder Abu Ghraib bedeutete das Folter von Kriegsgefangenen. Für seine Praxis | |
musste Will anschließend für achteinhalb Jahre ins Militärgefängnis. | |
Will ist ein diskreter Typ, verschlossen. Am liebsten verbringt er seine | |
Zeit mit Pokerspielen. Damit verdient er Geld, ziemlich gut sogar. Dann | |
lernt er einen Collegeabbrecher namens Cirk (Tye Sheridan) kennen, dessen | |
Vater hatte den gleichen Folterjob wie Will und beging später Suizid. Auch | |
über Wills Vergangenheit weiß der junge Mann bestens Bescheid. Wenig später | |
bietet Will dem jungen Arbeitslosen spontan an, ihn auf seiner Pokertour zu | |
begleiten. | |
Die Vergangenheit des Kriegs ist für beide eine unverheilte Wunde. Doch | |
während Will die Gedanken daran durch Kartenspiel fernhält, brütet es in | |
Cirk. Er hat sogar einen Plan, wie er seinen Vater rächen kann. Von dem | |
versucht ihn Will auf seine lakonisch bestimmte Art abzubringen. | |
Paul Schrader zeigt in dem Film, der lange Zeit scheinbar ziellos | |
dahintreibt, viele Karten, lässt die Kamera gleiten über endlos wirkende | |
Spieltische bei professionellen Pokertournieren, fast reglos dasitzende | |
Spieler wie Will, die versuchen, einander in „die Seele zu blicken“, wie | |
Will es sagt. Wobei er genau das bei sich nicht zulässt. Der einzige | |
Spieler, der andererseits durch pöbelhaftes Auftreten aus der Reihe tanzt, | |
ist der Champion, der stets gewinnt. Er nennt sich Mr USA und brüllt bei | |
jedem Sieg: „USA, USA!“ | |
## Maradonna kommt | |
Kleinere und dennoch große Fragen beschäftigen den italienischen Regisseur | |
[2][Paolo Sorrentino] in seinem ebenfalls im Wettbewerb laufenden Film „È | |
stata la mano di Dio“ mit autobiografischen Erinnerungen an seine Jugend in | |
Neapel. Er zeichnet das Bild einer wunderbar gehässigen Familie im Neapel | |
Mitte der achtziger Jahre, mit einer fluchenden und einer verrückten Tante, | |
einem korrupten Onkel, dem ein baldiger Umzug ins Gefängnis prophezeit | |
wird, und einem Vater, der seit Jahren die Mutter betrügt. | |
Der Sohn Fabio (Filipo Scotti) hat die ganze Zeit eigentlich nichts als | |
Frauen und Maradona im Kopf. Dessen Wechsel nach Neapel steht kurz bevor, | |
dann kommt er wirklich. Ausschnitte aus der WM-Partie Maradonas von 1986 | |
mit seinem legendären Handspiel, dem der Film seinen Titel verdankt, dürfen | |
da nicht fehlen. | |
Es ist eine optisch und auch sonst sehr bunt gefilmte Geschichte, so | |
chaotisch-unvorhersehbar erzählt wie manches Leben, schrill und bewegend. | |
3 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Paul-Schraders-Spielfilm-First-Reformed/!5585305 | |
[2] /Biopic-Film-ueber-Silvio-Berlusconi/!5547235 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
## TAGS | |
Kolumne Lidokino | |
Italien | |
Guantanamo | |
Irak | |
Trauma | |
GNS | |
Film | |
Film | |
Kolumne Lidokino | |
Filmfestival Venedig | |
Filmfestival Venedig | |
Filmfestival Venedig | |
Kino | |
Kolumne Lidokino | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Paolo Sorrentinos Film „Die Hand Gottes“: Maradona rettet Leben | |
Fußball, Tod und Filmemachen: Der Spielfilm „Die Hand Gottes“ von Paolo | |
Sorrentino erzählt vom Heranwachsen des neapolitanischen Regisseurs. | |
Filmfestspiele von Venedig: Nachgeburt auf dem Klo | |
Mit der Regisseurin Audrey Diwan gewinnt zum sechsten Mal eine Frau den | |
Goldenen Löwen. Ausgezeichnet wird ihr Film „L'événement“. | |
Osteuropäische Filme in Venedig: Erlösung vom Terror | |
Nicht immer unbedingt plausibel: Folterer mit schlechtem Gewissen, | |
Traumaverarbeitung und Friedenstauben bei den Filmfestspielen von Venedig. | |
Selbstbestimmung bei den Filmfestspielen: Die Kontrolle zurückgewinnen | |
Starke Frauenfiguren kommen bei den Filmfestspielen in Venedig in diesem | |
Jahr nicht zu kurz. Darunter eine Psychiatriepatientin mit übernatürlichen | |
Fähigkeiten. | |
„Il buco“ beim Filmfestival Venedig: Klaffende Löcher, schwebende Felsen | |
Lidokino 5: Michelangelo Frammartino erzählt von stummen Höhlengängen in | |
Italien. | |
Western auf den Filmfestpielen in Venedig: Was auf die Kuhhaut geht | |
Lidokino 3: Jane Campion kehrt zurück mit einem hinterhältigen Western. In | |
den Hauptrollen: Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst und Leder. | |
Filmfestspiele Venedig: Von Müttern und Bürgermeisterinnen | |
Lidokino 2: Mit Stars in Hochform beginnen die Filmfestspiele von Venedig. | |
Penélope Cruz und Isabelle Huppert bestechen in Dramen. | |
Start der Filmfestspiele von Venedig: Mütter, Dünen, grüne Pässe | |
Die Filmfestspiele von Venedig starten ihre zweite Pandemie-Ausgabe. Die | |
Neuverfilmung von „Dune“ wird mit Spannung erwartet – ebenso wie Jane | |
Campion. |