# taz.de -- Fachkräfte aus dem Ausland: Punkte sammeln für den Job | |
> Das Innenministerium hat einen Gesetzentwurf zum Fachkräftemangel | |
> vorgelegt. Ein Punktesystem soll die Arbeitssuche erleichtern. | |
Bild: Auch in der Baubranche herrscht Fachkräftemangel | |
BERLIN taz | Mehr Fachkräfte aus dem Ausland sollen helfen, dem immer | |
größeren Fachkräftemangel in Deutschland beizukommen. Ende November hatte | |
das Kabinett bereits [1][Eckpunkte für eine Reform des | |
Fachkräfteeinwanderungsgesetzes] beschlossen – nun hat das | |
Bundesinnenministerium einen entsprechenden Gesetzentwurf in die | |
Ressortabstimmung gegeben. | |
Der Entwurf liegt der taz vor. Er beinhaltet verschiedene Maßnahmen, um die | |
Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zu erleichtern und zu | |
beschleunigen und Hürden für qualifizierte Arbeitskräfte aus | |
Nicht-EU-Staaten abzusenken. So sollen Fachkräfte mit anerkanntem Abschluss | |
künftig auch andere qualifizierte Beschäftigungen ausüben dürfen als die, | |
in der sie ausgebildet sind. Auch soll es unter bestimmten Umständen | |
möglich sein, das Anerkennungsverfahren erst nach der Einreise nach | |
Deutschland und parallel zur Arbeitsaufnahme zu beginnen. | |
Als zentrale Neuerung hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil schon vor | |
Monaten eine [2][sogenannte Chancenkarte angekündigt]: Auf Grundlage eines | |
Punktesystems sollen Menschen auch ohne Jobzusage für bis zu ein Jahr zur | |
Arbeitsplatzsuche nach Deutschland kommen können, wenn sie bestimmte | |
Kriterien erfüllen. Im nun vorliegenden Referentenentwurf finden sich dazu | |
nun auch Details. | |
So soll die entsprechende Aufenthaltserlaubnis bekommen, wer mindestens | |
sechs Punkte aus einem festgelegten Katalog erreicht. Vier Punkte gibt es | |
für Menschen mit ausländischer Berufsqualifikation, für deren Anerkennung | |
in Deutschland zum Beispiel noch Nachqualifizierungen nötig sind. Drei | |
Punkte gibt es für gute deutsche Sprachkenntnisse oder für langjährige | |
Berufserfahrung in dem Bereich, für den die Person ausgebildet ist. Für | |
ausreichende Sprachkenntnisse oder lediglich mehrjährige Berufserfahrung | |
gibt es zwei Punkte, ebenso, wenn die Person nicht älter ist als 35 Jahre. | |
Für ein Lebensalter zwischen 36 und 40 Jahren gibt es immerhin noch einen | |
Punkt. Diesen bekommt auch, wer in den vergangenen fünf Jahren für | |
mindestens ein halbes Jahr ununterbrochen und rechtmäßig in Deutschland | |
gelebt hat oder wer eine Art Bürg*in findet, die oder der sich bereit | |
erklärt, die „Eingliederung des Ausländers in Arbeitsmarkt und Gesellschaft | |
der Bundesrepublik Deutschland zu unterstützen“. Wer seine Qualifikation in | |
Deutschland anerkennen lässt, bekommt die Chancenkarte auch ohne die | |
Punktesammlerei. | |
Die neue Rechtslage soll abrücken vom bisherigen [3][deutschen Beharren auf | |
Zertifikate und der Berufserfahrung von Menschen mehr Gewicht geben]. | |
Allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. So bekommen Menschen keine | |
Chance über das Punktesystem, wenn sie zwar seit langen Jahren in einem | |
bestimmten Beruf tätig sind, aber über keinen formalen Abschluss verfügen: | |
Bedingung für die Karte ist eine mindestens zweijährige ausländische | |
Berufsqualifikation oder ein Hochschulabschluss. | |
Ein Umstand, den die Grüne Innenpolitikerin [4][Misbah Khan] kritisiert. | |
Die Chancenkarte sei ein „wichtiges Symbol für einen leicht verständlichen | |
Weg nach Deutschland“ und werde hoffentlich viele Menschen einladen, sagte | |
sie der taz. Aber: Wir sollten uns grundsätzlich fragen, ob wir weiterhin | |
stark an der ‚deutschen‘ Vorstellung von formeller und dokumentierter | |
Berufsausbildung festhalten wollen, die es in vielen Herkunftsländern so | |
nicht gibt. Der Bedarf ist so groß, dass wir die Punktevergabe in Bezug auf | |
Ausbildung und Sprachkenntnisse erleichtern müssen.“ | |
## Der Entwurf allein reicht nicht | |
Parallel zum Gesetzesverfahren bringt das Bundesarbeitsministerium auch | |
eine Verordnung zur „Erleichterung und Steigerung der Erwerbsmigration“ auf | |
den Weg. Diese soll unter anderem die Deckelung der sogenannten | |
Westbalkan-Regelung aufheben. Diese ermöglicht es auch ungelernten | |
Arbeitskräften aus den [5][Westbalkanstaaten], mit Jobzusage nach | |
Deutschland zu kommen – sie ist bisher aber auf 25.000 Zusagen pro Jahr | |
begrenzt. | |
Expert*innen zufolge braucht Deutschland jedes Jahr 400.000 Fachkräfte | |
aus dem Ausland, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Selbst die | |
Bundesregierung weiß, dass das allein mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz | |
nicht getan ist. Dem Entwurf zufolge schätzt sie, dass dadurch etwa 50.000 | |
zusätzliche qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland kommen werden, | |
zusammen mit der Verordnung hofft sie auf etwa 65.000. | |
„Die Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wird zu einem | |
signifikant höheren Zuzug an ausländischen Arbeitskräften führen“, | |
bekräftigt auch Misbah Khan. | |
Um aber den notwendigen Bedarf zu erreichen, brauche es ein wirkliches | |
Umdenken: „Die [6][Diskussionen um die Silvesternacht] machen einmal mehr | |
deutlich: Wir haben ein gesamtgesellschaftliches Unwohlsein beim Thema | |
Migration“, so Khan. „Doch nur wenn uns der Wandel zu einem | |
chancenorientierten Einwanderungsland gelingt, kommen Menschen nach | |
Deutschland, um unsere Großeltern zu pflegen, Microchips zu bauen oder den | |
Bus zu fahren.“ | |
6 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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