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# taz.de -- Anerkennung von Berufsabschlüssen: Können reicht nicht
> Arbeitsmigration: Ausländische Berufsabschlüsse müssen mit hiesigen
> Berufsausbildungen verglichen werden. Das grenzt an Detektivarbeit.
Bild: Um als Kfz-Mechatroniker:in zu arbeiten, muss man sich hierzulande nicht …
Berlin taz | Dana Schneider kennt viele solcher Fälle: Ein Mann aus dem
Libanon hat über einen Verwandten den Kontakt zu einer Baufirma in
Brandenburg in Deutschland gefunden, die ihn gerne einstellen würde. Er hat
einen beruflichen Bildungsgang im Herkunftsland hinter sich, hat als
Fliesenleger, Fensterbauer und Maurer auf Baustellen gearbeitet. Er hätte
gerne die Anerkennung als Fachkraft auf dem Bau. Aus seiner Anfrage geht
hervor, dass er stolz ist auf seine Vielseitigkeit. Dabei ist die ein
Problem.
„Ich muss dem Anfragenden mitteilen, dass es in Deutschland jeweils
verschiedene Ausbildungen gibt für Fliesenleger, Glaser/Tischler und
Maurer“, berichtet Schneider, die bei der Handwerkskammer in Potsdam in der
Abteilung Berufsbildung für die [1][Anerkennung ausländischer
Berufsabschlüsse] zuständig ist. Es sei daher nur schwer möglich, dem Mann
die sogenannte teilweise Gleichwertigkeit seiner Ausbildung mit einer
hiesigen staatlich anerkannten Ausbildung zuzugestehen.
Dies wäre die Voraussetzung für eine Einreise, sofern er ein
Arbeitsplatzangebot hat. Eine solche „teilweise Gleichwertigkeit“ bedeutet,
der Mann müsste dann in einem hiesigen Referenzberuf, vielleicht dem des
„Maurers“, bestimmte theoretische und praktische Kenntnisse nachträglich
erwerben, um später dann die „volle Gleichwertigkeit“ zu erlangen und
langfristig bleiben zu können.
Die [2][Vergleichbarkeit und Anerkennung] der „vollen“ oder „teilweisen
Gleichwertigkeit“ von Berufsabschlüssen ist ein entscheidender Punkt bei
der Zuwanderung aus Drittstaaten außerhalb der EU. „Die Anerkennung der
Berufsabschlüsse ist die zentrale Hürde für die Einreise nach Deutschland“,
bestätigt Herbert Brücker, Direktor des Berliner Instituts für empirische
Integrations- und Migrationsforschung (BIM). Um einen Antrag auf
Anerkennung des Berufsabschlusses stellen zu können, müssen die
Betreffenden den Abschluss einer mindestens einjährigen staatlich
anerkannten Ausbildung im Herkunftsland vorlegen, erklärt Dana Schneider.
## Betrieb half bei der Nachqualifizierung
In europäischen Ländern sei die Vergleichbarkeit dabei eher gewährleistet
als in Drittstaaten. Schneider schildert das Beispiel eines
Kfz-Mechatronikers aus Belarus, der eine dreijährige staatlich anerkannte
Ausbildung in seinem Heimatland absolviert und dort 14 Jahre lang als
Kfz-Fachmann gearbeitet hatte. Über Kontakte hatte er eine
Arbeitsplatzzusage eines Kfz-Betriebes im Havelland bekommen.
Der Mann schickte Abschlusszeugnisse und Arbeitszeugnisse an die
Handwerkskammer in Potsdam. Spezialisten, die sich mit den Lehrplänen an
den Berufsschulen in Belarus auskennen und diese dann mit den Lehrplänen
der deutschen Ausbildung für „Kfz-Mechatroniker im Bereich Lkw“ verglichen,
erkannten auf eine teilweise Gleichwertigkeit des Abschlusses und benannten
Defizite in mehreren Bereichen, darunter zum Beispiel die Diagnostik von
Fehlern in der Fahrzeugelektronik und Kenntnisse über die rechtlichen
Vorgaben beim TÜV.
Der Mann konnte herkommen, der Betrieb im Havelland, der ihn einstellte,
hilft bei der Nachqualifizierung bis zur „vollen“ Gleichwertigkeit mit dem
deutschen Referenzberuf.
## Leichter ist es, wenn die Ausbildung nachvollziehbar ist
Probleme ergeben sich, wenn es in der deutschen Ausbildungsordnung keinen
vergleichbaren Beruf, einen „Referenzberuf“, gibt. Ein Klassiker seien
„Schweißer“, die eine Ausbildung und auch Berufserfahrung als Schweißer
hätten, aber in Deutschland nicht mit einem bestimmten Beruf verglichen
werden könnten, weil das Schweißen hierzulande Teil einer umfangreicheren
Ausbildung im Metallbereich sei, berichtet Schneider.
Ist die Ausbildung im Herkunftsland nachvollziehbar, belegbar und
vergleichbar, steigen die Chancen auf Anerkennung der vollen oder
teilweisen Gleichwertigkeit und damit auch auf ein Visum zur Einreise. Ein
Elektrotechniker aus der Türkei stellte vom Heimatland aus einen Antrag
bei der Handwerkskammer in Düsseldorf. Er hatte in der Türkei eine
vierjährige staatliche schulische Ausbildung zum Elektrotechniker mit
Abschlusszeugnis durchlaufen und mehrere Jahre Berufserfahrung hinter sich.
„Wir bekamen die Lehrpläne aus der Türkei digital zugemailt“, erzählt
Mariangela Pierri, die bei der Handwerkskammer in Düsseldorf für die
Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zuständig ist. Eine „teilweise
Gleichwertigkeit“ seines Berufsabschlusses mit dem Beruf des Elektronikers
für Energie- und Gebäudetechnik wurde festgestellt. Die Prüfer erkannten
einen Bedarf an Nachqualifikation etwa in den VDE-Richtlinien der
Elektrotechnik und in bestimmten berufspraktischen Bereichen.
## Handwerkliche Ausbildung unreglementiert
Schwieriger wird die Vergleichbarkeit von handwerklichen Abschlüssen und
Berufswegen aus Ländern, in denen es nur wenige staatlich anerkannte
Ausbildungsgänge gibt. Das Bundeswirtschaftsministerium betreibt das
[3][BQ-Portal], auf dem sich Handwerkskammern über das Bildungswesen in
vielen Ländern und dortige einzelne Berufsprofile informieren können.
Über Afghanistan zum Beispiel heißt es, viele Handwerksbetriebe bildeten
„auf traditionelle Weise“ aus: „Diese Ausbildung ist vollkommen
unreglementiert, das heißt, es existieren keine Zugangsvoraussetzungen,
keine Regelungen zur Dauer der Ausbildung und auch keine Vorgaben zu den
Lehrinhalten.“ Es wird „on the job“, nicht selten bei Verwandten, gelernt.
Wer also etwa in Afghanistan beim Onkel in der Tischlerwerkstatt jahrelang
gelernt und gearbeitet und sich dann selbstständig gemacht hat, kann ein
sehr geschickter Handwerker sein – aber er kann in Deutschland nicht mit
einer Anerkennung einer „teilweisen Gleichwertigkeit“ seiner Ausbildung
rechnen. „Das scheitert dann schon daran, dass es keine Lehrpläne für die
Ausbildung gibt“, sagt Pierri.
## Mitunter detektivisches Vorgehen
Ein Problem entsteht auch, wenn etwa eine kürzere Ausbildung lediglich bei
irgendeiner privaten Schule im Ausland absolviert wurde, ohne staatliche
Anerkennung. Aus Albanien kämen zum Beispiel Anfragen von Arbeitssuchenden,
die in der Heimat einen viermonatigen Kurs zum „Elektroinstallateur“
absolviert hatten, bei einem teuren privaten Institut, das damit geworben
hatte, das Zertifikat würde „überall in der EU“ anerkannt, schildert
Pierri. Aber hier in Deutschland ist damit keine „teilweise
Gleichwertigkeit“ möglich.
Mitunter müssen Handwerkskammern fast detektivisch vorgehen und eigene
Recherchen anschieben, um den Arbeitsmigrant:innen zu helfen. Pierri
erzählt von einem Mann aus Sri Lanka, der hier lebt und in seinem
Heimatland eine dreijährige Ausbildung zum Elektrotechniker absolviert
hatte. Er beantragte [4][die Anerkennung der Gleichwertigkeit] oder
zumindest teilweisen Gleichwertigkeit seiner Ausbildung bei der
Handwerkskammer.
Er hatte ein Abschlusszeugnis, verfügte aber nicht über irgendwelche
Lehrpläne seiner Schule. Derzeit versuche ein singhalesischer katholischer
Priester in Krefeld ehrenamtlich per Telefon über die Behörden in Sri Lanka
an Lehrpläne aus der Schule zu kommen, schildert Pierri.
## Reform des Gesetzes steht an
Wer Berufserfahrung aus dem Heimatland hat, in Deutschland lebt und hier
als selbstständiger Handwerker arbeiten möchte, muss sich ohne Meisterbrief
eine Nische suchen. So arbeiten in den „Änderungsschneidereien“ versierte
Handwerker:innen, die sich ohne eine hier staatlich anerkannte Ausbildung
nicht „Schneider:innen“ nennen dürfen. Mit Ausnahmegenehmigungen mancher
regionaler Handwerkskammern eröffnen Herrenfriseure die sogenannten Barber
Shops nur für Männer – eine im Friseurhandwerk umstrittene Grauzone.
Weil die Anerkennungsverfahren kompliziert sind, sieht die [5][geplante
Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes] eine neue Regelung vor:
Mehrjährig berufserfahrene Fachkräfte aus dem Ausland sollen künftig
bereits dann zuwandern können, wenn sie eine im Heimatland staatlich
anerkannte mindestens zweijährige Ausbildung durchlaufen haben und ihnen
ein angemessen vergütetes Jobangebot von einem Arbeitgeber in Deutschland
vorliegt.
„Das kann eine Erleichterung der Zuwanderung für bestimmte Zielgruppen
darstellen“, sagt Claudia Moravek, Arbeitsbereichsleiterin beim
Bundesinstitut für Berufsbildung. Damit ergebe sich jedoch für Arbeitgeber
die Herausforderung, die Fähigkeiten einer Fachkraft eigenständig und „auch
ohne das geregelte Anerkennungsverfahren adäquat einzuschätzen“, so
Moravek.
## 400.000 Zugewanderte werden benötigt
Für diesen Weg der Zuwanderung soll allerdings die Bedingung gelten, dass
die Arbeitgeber entweder tariflich gebunden sind oder ein Gehalt zahlen,
das mindestens 45 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der Deutschen
Rentenversicherung beträgt, derzeit rund 3.200 Euro brutto im Monat. „Diese
Gehaltsschwelle ist zu hoch“ sagt Migrationsexperte Brücker. Bei kleineren
Betrieben sei auch nicht unbedingt eine Tarifbindung gegeben. „Es müsste
reichen, dass der Betrieb dem Beschäftigten ein Entgelt in Höhe eines
Tariflohnes zahlt“, meint Brücker.
Bislang beschränke sich die gesteuerte Zuwanderung zu Erwerbszwecken aus
Drittstaaten höchstens auf etwa 60.000 Personen pro Jahr, hatte das
Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kürzlich
mitgeteilt. 400.000 zugewanderte Arbeitskräfte werden künftig nach Ansicht
des Instituts alljährlich zusätzlich benötigt, um den Personalmangel in
Deutschland auszugleichen.
15 Feb 2023
## LINKS
[1] /Fachkraefte-aus-dem-Ausland/!5907189
[2] /Migration-nach-Deutschland/!5895548
[3] https://www.bq-portal.de/db/L%C3%A4nder-und-Berufsprofile/deutschland
[4] /Einwanderung-von-Fachkraeften/!5891268
[5] /Einwanderung-von-Fachkraeften/!5891268/
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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