# taz.de -- Akademiker:innen aus dem Ausland: Endlich Anerkennung im Beruf | |
> Ausländische Akademiker*innen haben es nicht leicht in Deutschland. | |
> Eine spezielle ErzieherInnen-Ausbildung hilft ihnen, beruflich Fuß zu | |
> fassen. | |
Bild: Kristina Goncharuk (links) und Marina Yankova (rechts) | |
BERLIN taz | Kristina Goncharuk ist voller Tatendrang. Die russlanddeutsche | |
Spätaussiedlerin freut sich auf ihre Ausbildung als Erzieherin, die Ende | |
August startet. Seit 2018 lebt sie in Deutschland, und wenn von ihrer in | |
Russland erworbenen Ausbildung als Logopädin die Rede war, hörte sie immer | |
nur: „Das ist hier nicht anerkannt.“ | |
Die 38-Jährige hat in Russland in Kitas und Waisenhäusern Kinder sprachlich | |
gefördert. Doch ihre Logopädie-Ausbildung war in Russland eine | |
pädagogische. In Deutschland ist das ein medizinischer Beruf, und somit hat | |
sie keine Chance, ihren Abschluss anzuerkennen. | |
Bei der GIZ gGmbH, wo sie sich als Erzieherin ausbilden lässt, höre sie zum | |
ersten Mal „dass unsere beruflichen Erfahrungen aus anderen Ländern | |
geschätzt werden. Hier gelte ich als Expertin und Fachkraft“, sagt sie der | |
taz. „Und das tut gut.“ | |
ErzieherIn ist ein Mangelberuf. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung | |
werden 2030 bis zu 8.500 Beschäftigte allein in Berliner Kindertagesstätten | |
fehlen. Hinzu kommen fehlende ErzieherInnen in Horten, Jugendämtern, | |
berufsbildenden Schulen und bei freien Trägern, die mit Jugendlichen | |
arbeiten. Die GIZ geht darum seit 2014 den Weg, eine neue Zielgruppe als | |
Erzieherinnen auszubilden: zugewanderte AkademikerInnen. | |
## Angepasste Ausbildung | |
Gemeinsam mit der staatlichen Anna-Freud-Berufsfachschule bietet sie ein | |
Ausbildungsprogramm für ErzieherInnen an, das zwei statt drei Jahre dauert. | |
Die meisten Auszubildenden waren in ihren Herkunftsländern LehrerInnen, | |
aber auch AbsolventInnen von sozialwissenschaftlichen und verwandten | |
Studienrichtungen lernen hier. | |
„Wir haben die Lehrpläne für ErzieherInnen genau studiert, gestrichen, was | |
unsere Zielgruppe schon gelernt hat und dafür Dinge aufgenommen, die sie | |
besonders lernen müssen“, sagt Britta Marschke von der GIZ. Dazu gehören | |
beispielsweise die deutsche Fachsprache, aber auch kultursensible Inhalte. | |
„Als eine Teilnehmerin von ihrem Praktikum erzählte, zeigte sie sich | |
entrüstet, dass Dreijährige bei hochsommerlichem Wetter nackt unter dem | |
Sprenger gelaufen sind und die Erzieherinnen das so gelassen nahmen. Das | |
mussten wir im Unterricht auffangen und diskutieren“, erzählt Marschke. | |
Gut die Hälfte der ausgebildeten ErzieherInnen sprechen Arabisch als | |
Muttersprache, es folgen russische, türkische und rumänische | |
MuttersprachlerInnen. Und die GIZ ist stolz auf einen Erfolg: Seit 2014 | |
haben alle knapp 200 Auszubildenden die Ausbildung abgeschlossen – eine | |
Erfolgsquote von 100 Prozent. Andernorts kann man von so einer Quote nur | |
träumen: Der Paritätische Wohlfahrtsverband ermittelte 2018 die | |
Abbrecherquote in Berlin mit 25 Prozent. | |
## Erfolgsquote 100 Prozent | |
„Wir haben es in unseren Kursen mit Frauen und Männern zu tun, die es | |
gewohnt sind zu kämpfen. Das führt zu dem Erfolg“, sagt Marschke. Mit der | |
Ausnahme einer Frau, die nach dem Berufsabschluss aus familiären Gründen | |
nicht arbeiten wollte, hätten alle danach eine Stelle als ErzieherInnen | |
gefunden. Vielen sei bereits während der zwei Praktika, die in die | |
Ausbildung integriert sind, ein Arbeitsplatz angeboten worden. | |
So ging es etwa der Bulgarin Marina Yankova. Sie ist in die Räume der GIZ | |
nach Spandau gekommen, um ihr Zeugnis abzuholen. Fünf Tage später wird sie | |
an einer Montessorischule als Erzieherin in der Vorklasse und im Hort mit | |
der Arbeit beginnen. Sie wurde in Bulgarien als Theologielehrerin | |
ausgebildet, erzählt sie, und bekam vor ihrer ErzieherInnen-Ausbildung in | |
Deutschland nur Jobs als Babysitterin in Familien. Die Arbeit mit kleinen | |
Kindern ist ihr vertraut, auch in Bulgarien hat sie einige Zeit in einer | |
privaten Kita gearbeitet, wofür dort ein Abschluss als Lehrerin verlangt | |
wird. | |
Doch nicht jeder, der die spezielle ErzieherInnenausbildung beginnen will, | |
kann das auch. Grund ist laut Marschke, dass die Jobcenter einen Teil der | |
Kosten übernehmen und deshalb zustimmen müssten. Denn die Azubis bei der | |
GIZ erhalten keine Ausbildungsvergütung. Das Jobcenter muss für den | |
Lebensunterhalt während der zweijährigen Ausbildungszeit zahlen. | |
Marschke erzählt von einem ägyptischen Lehrer, der lange auf den Beginn des | |
neuen Ausbildungsjahres wartete. „Doch dann hat das Jobcenter nicht | |
zugestimmt und ihn in eine Ausbildung als Busfahrer gedrängt.“ Auch das ist | |
ein Mangelberuf. Aber für einen Lehrer? | |
## Gemeinsame Erfahrung | |
Alle TeilnehmerInnen der Kurse sind schon etwas älter, haben eine gewisse | |
Lebenserfahrung. Britta Marschke sagt, dass die gemeinsame Erfahrung, sich | |
neben der Ausbildung auch um ihre Familie zu kümmern, die Gruppe | |
zusammenhalte. | |
In einer „normalen“ Fachschulklasse wären sie unter Teenagern mit einer | |
ganz anderen Lebenswelt, wo man sich etwa abends zum Lernen trifft – und | |
nicht Kinder ins Bett bringen muss. Aber auch die Erfahrung, dass ihre im | |
Ausland erworbene Ausbildung anderswo in Deutschland abgewertet wird, | |
verbinde sie. Die gemeinsame Erfahrung führe dazu, dass sie sich in der | |
Ausbildung gegenseitig motivieren, so Britta Marschke. | |
Der Erzieherberuf ist für im Ausland ausgebildete LehrerInnen oft die | |
einzige Chance, eine pädagogische Tätigkeit auszuüben. Hanin T. (Name | |
geändert), eine in Syrien ausgebildete Grundschullehrerin, hat vor einem | |
Jahr ihre Ausbildung als Erzieherin abgeschlossen. | |
Um als Lehrerin arbeiten zu können, hätte sie in Deutschland noch einmal | |
ein mehrjähriges Studium absolvieren müssen. Das wollte sich die | |
Mittvierzigerin, die Mutter von zwei Kindern ist, nicht antun. „Außerdem | |
dürfte ich als Lehrerin kein Kopftuch tragen“, sagt sie der taz. In der | |
Kita fühle sie sich sehr wohl. „Wir haben viele arabischsprachige Kinder, | |
meine Kenntnis der arabischen Sprache und Kultur werden hier geschätzt.“ | |
Sie hat ihre Ausbildung nicht bei der GIZ gemacht, sondern eine „normale“ | |
dreijährige duale Ausbildung zur Erzieherin absolviert. „Das war Stress | |
pur. Nicht einmal auf meiner Flucht aus Syrien stand ich so stark unter | |
Stress. Ich habe mehrmals überlegt, die Ausbildung abzubrechen“, sagt sie. | |
Duale Ausbildung heißt, Hanin war zwei Tage pro Woche in der Berufsschule | |
und arbeitete drei Tage pro Woche in einer Kita. Mit der Arbeit verdiente | |
sie ihren Lebensunterhalt. Obwohl sie keine ausgebildete Erzieherin war und | |
beispielsweise für ihre Facharbeit spezielle Angebote für eine Gruppe von | |
Kindern machen und danach auswerten musste, wurde sie voll auf den | |
Erzieherschlüssel der Kita angerechnet. | |
## Stress pur und viele Überstunden | |
„Ich musste wegen Personalmangels viele Überstunden leisten, die Zeit | |
fehlte mir dann für Prüfungsvorbereitung und Facharbeit“, berichtet sie. | |
Anders als Auszubildende mit deutscher Muttersprache musste Hanin im | |
vierten Semester zusätzlich einen deutschen Sprachkurs absolvieren. Hätte | |
sie von dem Angebot bei der GIZ erfahren, hätte sie diesen Weg sofort | |
gewählt. | |
Als besonders stressig empfand es die Syrerin, dass sie während der | |
dreijährigen Ausbildung nie Urlaub hatte, ausgenommen die wenigen Tage | |
zwischen Weihnachten und Silvester, wo sowohl Kita als auch Berufsschule | |
geschlossen hatten. Sonst galt: In den Schulferien musste sie fünf Tage pro | |
Woche in der Kita arbeiten. Hatte sie in der Kita Urlaub, musste sie zwei | |
Tage pro Woche zur Berufsschule gehen. | |
„Ich habe immer Urlaub während der Prüfungszeit genommen, um zu lernen. | |
Erholen konnte ich mich nie“, erzählt sie von dieser schwierigen Zeit. | |
Obwohl Hanin zwei schulpflichtige Kinder hat, konnte sie als Auszubildende | |
keinen Urlaubsanspruch während der Schulferien durchsetzen. | |
Zurück zu Kristina Goncharuk. Ihr Ziel ist es, in Berlin eine eigene | |
Kunstschule zu gründen. „Während ich hier die deutsche Sprache lernte, | |
entwickelte ich mich gleichzeitig als bildende Künstlerin weiter“, erzählt | |
sie. Die Ausbildung habe ihr geholfen, mehr über die Regeln einer | |
multikulturellen Gesellschaft und Bildung in Deutschland zu erfahren. Und | |
endlich Berufserfahrung zu bekommen. | |
14 Aug 2023 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
## TAGS | |
Ausbildung | |
Akademiker | |
Fachkräftemangel | |
Schwerpunkt Flucht | |
Fachkräftemangel | |
Fachkräftemangel | |
Fachkräftemangel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Professor über Fachkräftezuwanderung: „Verwaltungsabläufe sind nicht klar�… | |
Ausländische Arbeitskräfte sollen leichter nach Deutschland kommen dürfen. | |
Ein Problem bleibe der bürokratische Flaschenhals, sagt Hans Vorländer. | |
Reform der Fachkräfte-Einwanderung: Ein Berufsabschluss muss sein | |
Die Bundesregierung legt einen Gesetzentwurf zur Fachkräfte-Einwanderung | |
vor. Sie hofft auf 75.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten. | |
Anerkennung von Berufsabschlüssen: Können reicht nicht | |
Arbeitsmigration: Ausländische Berufsabschlüsse müssen mit hiesigen | |
Berufsausbildungen verglichen werden. Das grenzt an Detektivarbeit. |