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# taz.de -- FPÖ vor Gericht bei Wiener Festwochen: Wie Rechte ticken
> Die Wiener Festwochen stellen Rechtspopulisten vors Theatergericht. Die
> FPÖ sei eine Gefahr für die Demokratie, Sanktionen soll es aber nicht
> geben.
Bild: Prozessführung mit Sturmhaube bei den Wiener Festwochen
Für eine Saison von gut fünf Wochen erklären die Wiener Festwochen und ihr
Intendant Milo Rau die „Freie Republik Wien“ zum Staat im Staate mit
eigener Hymne, bunten Kinderfahnen, Gremien, Ritualen und sogar einer
eigenen Gerichtsbarkeit. Parallel zum konventionellen Aufführungsprogramm
verdoppeln sich hoheitliche Institutionen und Insignien so zum Gleichnis im
Überbau eines medial erweiterten barocken Welttheaters.
Raus bisweilen karnevaleske Meta-Inszenierung spielt virtuos auf der
Klaviatur einer Krise der Repräsentation. Die Infusion von Wirklichkeit ins
Theater stiftet dort noch immer Verwirrung. Die Behauptung, eine
aktivistische Kunstpraxis könne direkte politische Wirkungen erzielen, wird
selbst zum Theatercoup.
Die Wiener Öffentlichkeit spielt zuverlässig mit. Kaum war davon die Rede,
dass man der Welt angesichts des bedauerlichen Zustands, in den sie geraten
ist, eine Revolution schulde, murmelten Stimmen von rechts, was da denn
wieder für linkslinkes Zeug mit Steuergeld betrieben werde, und schnappten
bereitwillig nach dem Zuckerl einer Schluckimpfung, die die ganze
Unternehmung grundimmunisiert – auch gegen andere mögliche Formen der
Kritik, denen die „Freie Republik“ vielleicht gar nicht so lustig oder
vielmehr zu lustig vorkommt.
## Konfrontation als Katharsis
Dabei sind die neuen Jakobiner von Wien durch und durch milde Zeitgenossen.
Sie lassen keine Köpfe rollen. Die juridische Dramaturgie im Theater der
„Wiener Prozesse“ soll die öffentliche Sprache mäßigen, den Schlagabtaus…
von Stehsätzen in einen Austausch von Argumenten verwandeln.
Wortreiche Rechtspopulisten werden plötzlich ganz still, wenn sie in der
direkten Konfrontation der Lebensgeschichte einer Geflüchteten
gegenüberstehen. Es geht um den ältesten Effekt des Theaters: Katharsis. In
exemplarischer Weise könnte sie deliberativen Prozessen in der Wirklichkeit
wieder auf die Sprünge helfen.
Am Wochenende der Europawahl war die rechtspopulistische Freiheitliche
Partei Österreichs (FPÖ) angeklagt für „Anschläge auf die Demokratie“.
Drei Sitzungsrunden verhandelten drei Themenkreise, die Geschichte der FPÖ
und ihrer Vorgängerorganisation als Sammelbecken hochrangiger Nazis in den
ersten Nachkriegsjahren, die Gefährdung der Demokratie durch eine
neuerliche Radikalisierung der FPÖ, ihr sich selbst als „Volkskanzler“
antizipierender Anführer Ex-Innenminister Herbert Kickl schwadroniert über
Fahndungslisten für unliebsame Gegner, Gedankenexperimente einer
„Remigration“ sind hier keine Neuigkeit, schließlich die aktuellen
Skandale, [1][die Bereitschaft im Ibiza-Video, die halbe Republik für
politischen Einfluss zu verkaufen], die Verbindung von Spitzenpolitikern
zur Partei Putins, aber auch der Spionageskandal in Ressortverantwortung
der FPÖ, der, mutmaßlich mitorchestriert vom flüchtigen Jan Marsalek, den
österreichischen Verfassungsschutz auf Monate lahmlegte.
Das alles ist in der Sache zeitgeschichtlich, journalistisch und juristisch
weitgehend aufgearbeitet. Allein für die Aufzählung des
„Vorstrafenregisters“ rechtskräftig verurteilter Amts- und Mandatsträger
der FPÖ brauchte der als „Chefankläger“ der Prozesse mitspielende Wiener
Anwalt Alfred Noll einen ziemlich langen Atem.
## Lehren aus dem Nationalsozialismus
Welche Mittel hat das österreichische Verfassungsrecht gegen Gefährdungen
der Demokratie aufzubieten? Überraschend wenig. Wie der deutsche
[2][Soziologe Heinz Bude] erklärt, hatten die westdeutsche Bundesrepublik
und die Republik Österreich aus dem Nationalsozialismus ganz
unterschiedliche Lehren gezogen. Das Grundgesetz sieht ihn als Gefahr, die
in der Demokratie entstanden ist.
In Österreich wurde die NS-Zeit vor allem im Zusammenhang der
Anschlussproblematik gelesen. Der liberalen Verfassungstradition in
Österreich sind Maßnahmen wie Parteiverbote fremd. So zog die Anklage es
gar nicht erst in Betracht und verlegte sich auf den Entzug der staatlichen
Parteienfinanzierung, den die Jury ablehnte, obwohl sie die FPÖ für
gefährlich hält. Österreichischer Eigenspott nennt den pragmatischen Umgang
mit Prinzipien gern „österreichische Lösung“.
Es blieb davor die Neugier, die Rechten von Angesicht zu Angesicht zu
erleben, wie sie ticken, zumindest die, die es vor ein solches
Theatertribunal gelockt hat. Geladene Spindoktoren der FPÖ formulierten den
Generalverdacht, dass alles nur Spektakel, Manipulation des Auditoriums
sei. Die einst linke Kritik an der Exklusivität bürgerlicher Hochkultur
wird zum Verdachtsmoment einer Verschwörungserzählung, was nicht daran
hindert, ins Scheinwerferlicht der Verschwörer zu streben.
## Zeitreisende aus einer anderen Epoche
Als Verteidiger bot die FPÖ die Ex-AfDler Frauke Petry und Marcus Pretzell
auf. Sie schienen wie Zeitreisende aus einer anderen Epoche, hat sie die
rasante Radikalisierung der AfD doch längst überrollt. Petry wettert gegen
den Veranstalter als „Sowjetrepublik Wien“. Die alte antikommunistische
Rechte ist längst verdrängt von einer neuen, der der Autoritarismus und die
Missachtung der Menschenrechte das Geringste war, was sie an der
kommunistischen Herrschaft störte.
Als die frühere Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung,
Barbara Helige, mit fernsehgerichtsgerechtem Holzhämmerchen die
Schlusssitzung eröffnete, kursierte im Saal bereits die Meldung, dass die
FPÖ bei einer landesweiten Wahl erstmals stärkste Partei geworden ist.
Ist Österreich noch zu retten? Ja. Es sind die stillen und weniger stillen
Helden, die das Land hinter der postdemokratischen Simulation am Laufen
halten, auch sie kamen im Prozess zu Wort: die im Untersuchungsausschuss
ermittelnde Abgeordnete, der prinzipientreue Verfassungschutzbeamte, mutige
Journalist:innen, Forscher:innen, Künstler:innen und der Detektiv, der
den „Ibiza“-Skandal aufdeckte.
11 Jun 2024
## LINKS
[1] /Schauspieler-ueber-Serie-Ibiza-Affaere/!5806620
[2] /Buch-ueber-die-Boomer/!5987755
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
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