# taz.de -- Ethnologie und Kolonialismus: Zurück nach Hause | |
> Was tun mit ethnologischen Objekten aus kolonialen Kontexten? Eine | |
> Kooperation Berlin-Namibia zeigt, wie es gehen könnte. | |
Bild: Hertha Bukassa (Mitte) und Golda Ha-Eiros (links) aus Namibia erklären d… | |
BERLIN taz | Als Puppe wird so mancher sie nicht gleich erkennen: | |
„Kandina“, wie sie von Königin Olugondo von Odonga im heutigen Namibia | |
genannt wurde, ist ein hantelförmiges Holz, im schlankeren Mittelteil eng | |
umwickelt mit Ketten aus Muschel- und Elfenbeinperlen, Ochsenleder und | |
anderen Kostbarkeiten. Die Königin stellte sie um 1900 selbst her – als | |
Geschenk für eine gewisse Anna Rautanen, Tochter eines finnischen | |
Missionars im damaligen „Deutsch-Südwest“. Rautanens Mann, der Missionar | |
und Sammler Herman Tönjes, verkaufte sie 1908 dem Berliner Museum für | |
Völkerkunde. | |
Mehr als 100 Jahre schlummerte „Kandina“ in der hiesigen Ethnologischen | |
Sammlung, ohne dass ihre Geschichte bekannt gewesen wäre. Erst als nun im | |
Zuge einer Kooperation zwischen dem Berliner Ethnologischen Museum und der | |
Museums Association of Namibia (MAN) mehrere ForscherInnen aus Namibia ein | |
paar Monate in Berlin waren, kam sie ans Licht. | |
„Die namibischen KollegInnen sahen sofort, dass die Puppe aus dem | |
finnischen Missionskontext kommt“, erklärte Provenienzforscherin Julia | |
Binter am Mittwoch bei der Vorstellung des Projekts in den Dahlemer Museen. | |
Man habe daraufhin im Archiv die Erinnerungen Tönjes’ gefunden, worin er | |
„Kandinas“ Werdegang beschrieben habe. Über 1.400 Objekte aus Namibia, die | |
es in der Berliner Sammlung gibt, wurden im Rahmen der Kooperation | |
begutachtet. | |
23 von ihnen wurden von den GastforscherInnen sowie von VertreterInnen der | |
Volksgruppen in Namibia ausgewählt und werden nun der MAN ausgeliehen. In | |
Namibia würden sie in regionale Museen gebracht, um dort mit KünstlerInnen | |
und Angehörigen der Volksgruppen weiter erforscht zu werden, erklärte Golda | |
Ha-Eiros, Vorstandsvorsitzende der MAN und Kuratorin. | |
## „Das ist unser Erbe“ | |
Ziel sei, dass Wissen um die Objekte – ihre Herstellung, ihren Gebrauch, | |
ihre Bedeutung –, das die Alten zum Teil noch hätten, zu erneuern. „Das ist | |
unser Erbe, das lange weg war. Es macht mich stolz zu sehen, dass wir diese | |
Fähigkeiten hatten“, so Ha-Eiros. Hertha Bukassa, Referentin im | |
Kulturministerium Namibias, ergänzte: „Die Objekte sind Indikatoren | |
unserer Geschichte, Kultur, unseres way of life. Sie bringen uns | |
hoffentlich als Nation zusammen.“ | |
Der Berliner Abschnitt des Forschungsprojekts hat nicht nur im Falle von | |
„Kandina“ gezeigt, wie wenig bei den hiesigen Ethnologen zum Teil über die | |
Sammlungsobjekte und jene, die sie schufen, bekannt ist. Ha-Eiros | |
berichtete, wie erstaunt sie war, dass im Sammlungsarchiv die ethnischen | |
Namen der Objekte nicht verzeichnet waren und vielfach Informationen über | |
den Zweck der Objekte fehlten. Einige Objekte seien etwa dem Volk der | |
„Bergdamara“ zugeordnet gewesen – eine europäische Fremdbezeichnung für… | |
#Nu-Koen (das # steht für einen Klick-Laut), die von den ersten Siedlern in | |
die Berge vertrieben worden waren. | |
Als Beispiel zeigte Ha-Eiros ein Objekt, dass hiesigen Forschern bislang | |
nur als „Schildlrötenpanzer“ bekannt war und das die #Nu-Koen !Uros nennen: | |
ein mit Lederriemen verzierter Schildkrötenpanzer mit Ledertasche, die zur | |
Lagerung von Parfümpulver aus getrockneten Wurzeln, Stängeln und Samen | |
verwendet wurde. Das !Uros werde bis heute von verschiedenen namibischen | |
Völkern benutzt, ältere Damen trügen es noch immer, erklärte sie. „Alle | |
Zwecke kennen wir selber nicht, das muss weiter erforscht werden.“ | |
Aufschlussreich ist auch die Geschichte eines Paars Sandalen, die von einer | |
Ovaherero-KünstlerIn um 1900 gefertigt wurden. Bukassa erklärte, solche | |
Sandalen würden auch heute noch getragen, allerdings nicht von den | |
Ovaherero, sondern von den Ovahimba. „Auch die Materialien haben sich | |
geändert, statt Leder wird heute Reifen für die Sohlen verwendet.“ Die | |
Ethnologin Larissa Förster, wissenschaftliche Beraterin des Projekts, | |
ergänzte, die Sandalen seien 1903 – also vor dem deutschen Genozid an den | |
Herero und Nama – „gesammelt“ worden. Ein deutscher Militärarzt habe sie | |
dem Berliner Museum angeboten, zusammen mit „menschlichen Überresten“, die | |
er vermutlich aus Gräbern geraubt habe. [1][Zwei dieser Schädel wurden im | |
vorigen Jahr an Namibia zurückgegeben.] | |
## „Sammeln“ im Kolonialismus | |
Angehörige der Militär, so Förster, spielten während der gesamten | |
Kolonialzeit eine wichtige Rolle als „Stifter und Verkäufer an deutsche | |
Museen“. Etwa die Hälfte der im Kolonialismus gesammelten Objekte sei wohl | |
von Angehörigen des Militär „besorgt“ worden. Jonathan Fine, Kurator am | |
Ethnologischen Museum: „Die Sammeltätigkeit von deutschen Militärs wirft | |
die Frage auf, wie koloniale Gewalt anfängt.“ Die Militärangehörigen | |
„konnten Machtverhältnisse aufbauen, die auf der Androhung und Ausübung von | |
Gewalt fußten. Die Sandalen sind Vorboten der grausamen Aneignung von | |
Objekten und Land sowie der Ermordung von tausenden Menschen in Namibia.“ | |
Das Beispiel zeigt, warum auch von deutscher Seite, wenigstens der | |
Forschung, das Kooperationsprojekt mit Namibia sehr hoch gehängt wird. In | |
der Debatte um den Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten könne | |
es Modellcharakter bekommen „auch für andere Teile der Sammlung“, sagte der | |
Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), Hermann Parzinger. | |
Förster betonte, man wolle mit den Objekten „einen Beitrag leisten zur | |
Debatte über den Genozid“ und das deutsch-namibische Verhältnis – und dah… | |
nicht nur „Wissen an Namibia weitergeben, sondern auch Objekte“. Die | |
Namibier hätten das Sagen bei diesem Projekt: Die Initiative dazu sei von | |
ihnen ausgegangen, sie hätten auch die Fragen bestimmt, die an die Objekte | |
gerichtet werden: „Der Zugang zu den Objekten geht von Deutschland nach | |
Namibia. Die 23 sind nun Wegbereiter, andere Objekte werden ihnen folgen.“ | |
Dass die 23 Objekte nicht förmlich an Namibia restituiert werden, sondern – | |
zunächst – nur für drei Jahre ausgeliehen, stieß allerdings umgehend auf | |
Kritik. Die Ausleihe sei „ein paternalistisch anmutender Akt postkolonialer | |
Anmaßung“, so das postkoloniale Bündnis „Völkermord verjährt nicht“. | |
Herero-Aktivist Israel Kaunatjike vom Bündnis forderte erneut eine | |
offizielle Entschuldigung Deutschlands sowie Entschädigung für | |
Kolonialismus und Völkermord. „Zur Wiedergutmachung gehört neben der | |
überfälligen Rückführung aller Gebeine unserer Ahnen auch die Rückgabe | |
aller Kulturschätze, die man uns genommen hat. Vielleicht lassen wir dem | |
Berliner Museum dann eine gewisse Anzahl als Leihgaben. Vielleicht aber | |
auch nicht.“ | |
Parzinger sagte, „natürlich“ würden Rückgaben in Zukunft Teil des Projek… | |
sein. An die namibischen KuratorInnen gewandt erklärte er: „Ihr sagt uns, | |
was ihr wollt.“ | |
## Deutsch-namibische Verhandlungen | |
Ganz so einfach ist es freilich nicht: Eine formelle Restitution muss von | |
der deutschen Politik beschlossen werden, weil die Objekte der SPK aus dem | |
Bundeshaushalt herausgelöst werden müssen. Die Bundesregierung sei daher in | |
der Verantwortung, „unrechtmäßig in Besitz genommene Objekte den Nachfahren | |
der beraubten Communities zur dauerhaften Rückgabe anzubieten“, sagte die | |
grüne Bundestagsabgeordnete Kappert-Gonther der taz. „Durch temporäre | |
Leihgaben werden die grundsätzlichen rechtlichen Fragen nicht geklärt und | |
es wird der völlig falsche Eindruck erweckt, man habe in jedem Fall eine | |
faire Lösung gefunden.“ | |
Doch die deutsch-namibischen Verhandlungen, die seit 2015 laufen, stocken. | |
Aus Angst vor weitreichenden Entschädigungsforderungen weigert sich die | |
Bundesregierung nach wie vor, den Genozid von 1904-1908 offiziell | |
anzuerkennen. Bis das geklärt ist, wird es wohl auch keine Rückgaben geben. | |
Golda Ha-Eiros: „Ich hoffe sehr, dass unsere Regierungen sich bald einig | |
werden.“ | |
18 Sep 2019 | |
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[1] /Deutsche-Kolonialverbrechen-in-Namibia/!5532220/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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