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# taz.de -- Wie umgehen mit dem kolonialen Erbe?: Museale Subjekte
> Eine internationale Konferenz des Goethe-Instituts und der SPK widmete
> sich in Berlin der „Vergangenheit und Gegenwart des Kolonialismus“.
Bild: Statuen aus dem Königreich Dahomey, heute Benin, im Pariser Musée du Qu…
Am Freitag übergaben der senegalesische Ökonom Felwine Sarr und die
französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy dem französischen
Staatspräsidenten Emmanuel Macron ihren Bericht zur Restitution
afrikanischen Kulturerbes. Wie erwartet empfiehlt ihr 252 Seiten starker
Report die schnelle Rückgabe geraubter Kunst aus französischen Museen an
die Herkunftsländer. Macron entschied daraufhin, 26 Objekte an Benin zu
übergeben, die französische Soldaten 1892 aus dem Anwesen des Königs von
Dahomey geplündert hatten, dessen Reichtum auf dem Handel mit Sklaven
gründete.
Als der Bericht am Freitagabend veröffentlicht wurde, war im Ethnologischen
Museum in Berlin-Dahlem gerade ein zweitägiges internationales Symposium
des Goethe-Instituts und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) zu
Ende gegangen. Dort hatten Wissenschaftler und Museumsleute aus Ägypten,
Australien, Brasilien, China, Deutschland, Fidschi, Großbritannien,
Namibia, Kolumbien und den USA mit im Publikum sitzenden Aktivisten über
das so komplexe wie emotional aufgeladene Thema der Kolonialzeit und ihren
Folgen diskutiert.
„Vertagtes Erbe?“ lautete der Titel der Konferenz, die sich der
„Vergangenheit und Gegenwart des Kolonialismus“ in Bezug auf Artefakte,
aber auch auf menschliche Überreste in europäischen Sammlungen widmete. Sie
nahm so den Umstand in den Blick, den Sarr und Savoy in einer Formel
zusammenfassen: Europäische Museen seien ungewollt zu öffentlichen Archiven
eines Systems der Aneignung und Entfremdung geworden – des Kolonialsystems.
Wie gegenwärtig die koloniale Vergangenheit bei einem Blick ins Archiv
werden kann, illustrierte Nzila Marina Mubusisi, die leitende Kuratorin des
namibischen Nationalmuseums, mit einer Anekdote. Jonathan Fine, der beim
Ethnologischen Museum in Berlin als Kurator für die Sammlungen aus
Westafrika, Kamerun und Gabun zuständig ist und mit Stefanie Peter vom
Goethe-Institut die Konferenz kuratierte, hatte durch die ethnologische
Sammlung geführt. In deren Inventarlisten machte Mubusisi eine Entdeckung:
In der Berliner Sammlung befindet sich auch ein Objekt aus dem Dorf ihrer
Großeltern.
## Wer gibt an wen zurück?
Mubusisi saß unter anderem mit Thomas Schnalke auf der Bühne, der als
Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité die Rückführung von
zwanzig menschlichen Schädeln von Nama und Herero aus der ehemaligen
anatomischen Sammlung der Charité an Namibia in die Wege leitete. Nach
Schätzungen der Charité befinden sich ungefähr 7.000 menschliche Schädel in
deutschen Sammlungen.
Als eine namibische Delegation mit hochrangigen Vertretern nach Berlin kam,
um die Überreste der Toten in Empfang zu nehmen, stellte sich das
diplomatische Problem, wer die Schädel an wen zurückgebe. Die Charité
konnte sie nicht dem namibischen Staat übergeben. Also einigte man sich
darauf, dass das National Council of Heritage Namibias der Empfänger sein
würde.
## Materielle Beweise
Marina Mubusisi berichtete, dass die Schädel einen Tag lang im Garten des
namibischen Parlaments zugänglich waren, um den Angehörigen der beiden
Gemeinschaften die Möglichkeit zu geben, den Toten ihren Respekt zu
erweisen. Die Vertreter der Nama und Herero beschlossen dann, dass die
Schädel als materielle Beweise für die Verbrechen des deutschen
Kolonialregimes im Museum aufbewahrt, aber nicht gezeigt werden sollten.
Raphael Gross, der Direktor des Deutschen Historischen Museums, verwies auf
die Humboldt-Brüder, die aus Südamerika ebenfalls menschliche Überreste
mitgebracht hatten. Es verbiete sich, diese menschlichen Überreste im
Museum zu zeigen, sagte Gross. Zur Verblüffung seiner Mitdiskutanten
erwähnte er dann aber, dass nicht alle Verantwortlichen seiner Meinung
seien. Sie habe angenommen, zumindest in dieser Frage sei man sich
inzwischen allgemein einig, kommentierte Moderatorin Larissa Förster.
## Die Vermessung der Welt
Auch im Jahr 2018 muss also noch über Selbstverständlichkeiten gestritten
werden. Im Hinblick auf die Humboldt-Verehrung in Deutschland wies Gross
darauf hin, dass „die Vermessung der Welt“ eben auch der Anfang der
Vermessung von Schädeln und Knochen war, die bald zu einer der wesentlichen
Methoden deutscher Rasseforscher wurde.
Bei Schädeln handelt es sich nicht um museale Objekte, sondern um Subjekte,
ergänzte Thomas Schnalke. Diese Definition müsste aber auch für andere
Sammlungsobjekte gelten, wurde mehrfach betont. Denn was für einen
europäischen Kurator ein bearbeiteter Stein aus einer Grabanlage sein mag,
repräsentiert für einen Angehörigen möglicherweise einen Ahnen und wird zur
Familie gezählt.
Dass es daher darum gehen müsse, die wissenschaftlichen Methodologien zu
dekolonisieren, forderte der namibische Archäologe Goodman Gwasira. Er
setzte einheimische Spurenleser ein, um die Fußabdrücke zu analysieren, die
sich neben Malereien von Elefanten und Schamanen in einer namibischen
Bergregion fanden. Sie konnten wertvolle Hinweise darauf geben, welches
Alter und Geschlecht die Urheber der Abdrücke vermutlich hatten.
## Neue Formen von Nutzungsrechten
Obwohl sich alle darüber einig waren, dass die Anerkennung der kolonialen
Verbrechen heute die Grundlage musealer Arbeit sein muss, war kein Konsens
darüber auszumachen, wie in Bezug auf die teils vehement geforderte
Rückgabe zu verfahren sei. Die Umstände sind oft extrem unterschiedlich.
Und die Frage, wem Artefakte gehören, ist auch in den Herkunftsländern
häufig umstritten.
Möglicherweise lässt sich dieses Problem nur lösen, wenn neue Formen von
Nutzungsrechten ausgehandelt werden. Der britische Historiker Richard
Drayton wies darauf hin, dass die mittelalterlichen Rechtssysteme in Europa
Eigentum von Gott ableiteten, was es ihnen ermöglichte, Nutzungsrechte zu
definieren, die über rein individuelle Eigentumsrechte hinausgehen.
Vielleicht sei es an der Zeit, neue Formen sozialen Eigentums zu
entwickeln.
Das dürfte schwerer sein, als sofortige Rückgabe zu fordern, erfüllt aber
die Zielvorgabe, die Shuzhong He von der Nationalen Kulturerbeverwaltung
der Volksrepublik China formulierte: Zwar müssten illegal erworbene Objekte
restituiert werden. Aber die Verhandlungen darüber sollten als Chance für
neue Kooperationen begriffen werden. Denn das kulturelle Erbe solle das
gegenseitige Verständnis der Kulturen fördern und sei eine kreative Quelle
für die Zukunft.
25 Nov 2018
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
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