# taz.de -- Erstes Album von Ozan Ata Canani: „Ich sollte mehr Türke sein“ | |
> Ozan Ata Canani war das erste Gastarbeiterkind, das deutsche Lieder | |
> schrieb. Nun erscheint sein Debütalbum „Warte mein Land, warte“. | |
Bild: Musiker Ozan Ata Canani: ein Stück Gastarbeitergeschichte in Deutschland | |
„Warte mein Land, warte, bis ich wiederkomm. Denn auch in der Fremde bleib | |
ich dein Sohn. Abends wenn ich schlafe, seh ich dich im Traum. Denn die | |
Sehnsucht schlug im Herzen Wurzeln wie ein Baum.“ Das Land, auf das sich in | |
[1][Ozan Ata Cananis] Lied der Blick im Schlaf richtet, ist die Türkei. | |
Aber es könnte auch ein anderes sein. | |
„Warte mein Land, warte“ ist das zweite Stücke auf dem [2][ersten Album | |
Ozan Ata Cananis], und es hat ihm auch seinen Namen geben. Am heutigen | |
Freitag erscheint es beim Berliner Label Fun in the Church – mit gut | |
vierzig Jahren Verspätung. Denn so lange schon komponiert Ata eigene | |
Lieder. Eines davon, sein wichtigstes, „Deutsche Freunde“, hat er vor | |
langer Zeit mit seiner Band bei „Bios Bahnhof“ im deutschen Fernsehen | |
vorgestellt. | |
Dieser Auftritt hätte ihm in einer besseren Welt einen Plattenvertrag | |
eingebracht. Doch türkische Musik mit einem deutschen Text passte im Jahr | |
1982 weder zum Sound der Neuen Deutschen Welle, noch hatten besonders viele | |
Gastarbeiter und ihre Kinder ein Ohr dafür. | |
„Die Leute aus der ersten Generation haben mich ausgelacht“, hat Ata | |
erzählt, als wir ihn [3][vor zwei Jahren in die taz eingeladen hatten]. | |
„Die wussten gar nicht, worum es geht. Die zweite Generation hat mich so | |
halb-halb gehört.“ Die Gastarbeiter flüchteten sich in ihre Träume und | |
schwiegen. Ihre „zwischen zwei Welten“ lebenden Kinder, die Ata in seinem | |
Lied besang, mussten vom Rand hereinrufen, wenn sie sich Gehör verschaffen | |
wollten: „Ich bin Ata und frage euch, wo wir jetzt hingehören?“ | |
## Dritte Generation | |
Die deutschen Enkel der Gastarbeiter sprechen heute selbstverständlich aus | |
der Mitte der Gesellschaft. Über sie sagt Ata: „Die dritte Generation hört | |
mich sehr gut. Sie verstehen mich. Sie wollen wissen, wie ihre Omas und | |
Opas in Deutschland gelebt haben, welche Schwierigkeiten sie erlebt haben. | |
Sie sind auf der Suche. Die vierte Generation wird mich noch mehr hören, da | |
bin ich mir sicher.“ | |
Das dürfe nur nicht weitere Jahrzehnte dauern, sagt Ata, denn das würde er | |
nicht mehr schaffen. Er ist ein herzlicher Mensch voller Tatendrang und | |
Humor. Aber diesen Satz meint er ernst, und es ist ihm und uns zu wünschen, | |
dass er jetzt die Anerkennung bekommt, die er verdient. | |
Das Album beginnt mit dem Sound, der für Atas Musik charakteristisch ist. | |
Es ist der elektrisch verstärkte und durch Effektgeräte verzerrte Klang der | |
Bağlama, der türkischen Langhalslaute. Hier klingt sie noch härter als je | |
zuvor, dabei gibt dieses Lied der humanistischen Philosophie Atas Ausdruck. | |
Er ist dem Leben und den Menschen zugewandt: „Alle Menschen dieser Erde, | |
alle Menschen groß und klein. Alle Menschen dieser Erde, alle wollen | |
glücklich sein.“ | |
Fünf der Lieder seines Albums singt Ata auf Deutsch, fünf auf Türkisch. | |
„Özlemim Var“, „Bırakmaz“ und „Tez Gel“ handeln von der Sehnsucht… | |
fernen Geliebten. In „Şerefsiz“ wird ein ominöser „Ehrloser“ besunge… | |
sich in den Träumen des Erzählers eingenistet hat und sich an dessen | |
Scheitern weidet. „Adaletsiz Mahkeme“, Gericht ohne Gerechtigkeit, ist ein | |
dezidiert politisches Lied, in dem der Sänger die türkische Justiz anklagt. | |
Er hat es Deniz Yücel gewidmet. | |
## In einem fremden Land | |
In „Stell Dir einmal vor“ kehrt der Erzähler in die Vergangenheit der | |
Gastarbeiter zurück: „Stell Dir einmal vor, du wärst in einem fremden Land | |
zu Gast. Stell Dir einmal vor, du fühltest, dass Du keine Freunde hast.“ | |
Bei „Import/Export“, das sich gegen die Rüstungsindustrie richtet, wird gar | |
ein alter Demoslogan der deutschen Linken vertont: „Deutsche Waffen, | |
deutsches Geld morden mit in aller Welt.“ | |
Eines der neuen Lieder hat zwar türkische Lyrics, aber sie werden nicht | |
gesungen: „Maraşlım“ heißt es. In der südostanatolischen Stadt Maraş … | |
Ata 1963 geboren. Zwei Jahre zuvor, im Oktober 1961, hatte die | |
Bundesrepublik mit der Türkei ein Anwerbeabkommen geschlossen. Atas Vater | |
gehörte zu den Gastarbeitern, die von der Türkei entsandt wurden. So wurden | |
sie genannt, weil sie nur zwei Jahre bleiben und dann durch neue | |
Arbeitskräfte ersetzt werden sollen. | |
Das Rotationsprinzip wurde bald aufgrund des Drucks westdeutscher | |
Unternehmen gekippt und die Gastarbeiter blieben länger, als sie geplant | |
hatten. Erst nimmt Atas Vater seine Frau mit. Sie wollen noch eine Weile | |
zusammen in Deutschland arbeiten, bevor sie zurückkehren. Nachdem ihr Sohn | |
aber in der Türkei die Grundschule beendet hat, holen sie auch ihn zu sich. | |
Es ist eine typische deutsche Geschichte, die Geschichte von Einwanderern, | |
die noch nicht wissen, dass sie welche sind. | |
Ata kommt 1975 nach Deutschland. Als ihn sein Vater fragt, was er sich als | |
Willkommensgeschenk wünscht, muss er nicht lange nachdenken. Eine Bağlama | |
will er haben. „Mein Vater sagte: Aber das kannst du doch nicht spielen. | |
Ich sagte: Egal, ich lerne“, erzählt Ata. „Nach sechs Monaten konnte ich | |
schon auf der Bühne spielen. Ich habe in Bremerhaven, Oldenburg, | |
Delmenhorst, Hamburg Konzerte gegeben.“ Denn der Dreizehnjährige darf mit | |
seinem großem Vorbild, dem alevitischen Aşık Mahzuni Şerif, auf Tour gehen. | |
## Sich in die Verhältnisse einmischen | |
Doch Atas Vater ist ein frommer, konservativer Mann. Er will, dass sein | |
Sohn Hodscha wird, nicht Sänger. Später sagt ihm der Vater, er solle sich | |
nicht so sehr in die deutschen Verhältnisse einmischen: „Ich sollte mehr | |
Türke sein“, erzählt Ata. „Ja, ich bin Türke. Die Türkei und die türki… | |
Kultur hab ich nicht vergessen. Das liegt mir am Herzen. Aber ich bin der | |
Meinung, man soll sich ein bisschen anpassen an das Land, in dem man lebt.“ | |
Die Geschichte der Einwanderung ist auch eine Geschichte der Konflikte | |
zwischen Eltern und ihren Kindern. | |
Doch Ata setzt sich durch und hat bald seine eigene Band. Er spielt auf | |
türkischen Hochzeitsfeiern, Verlobungsfeiern, Beschneidungsfesten und nimmt | |
einige türkischsprachige Kassetten auf, die in Musikshops, in Gemüse- und | |
Elektroläden in Deutschland verkauft werden, aber auch ihren Weg in die | |
Türkei finden. Vor allem in seiner Heimatstadt Maraş hat er bald einige | |
Fans. | |
1978, als Punk langsam in Deutschland Fuß fasst und junge Deutsche nicht | |
mehr auf Englisch, sondern auf Deutsch singen, komponierte Ata „Deutsche | |
Freunde“, das nun den Höhepunkt von Atas Album bildet. Es ist sein erstes | |
Lied in seiner neuen Sprache. | |
Er hat sie in der Schule und auf der Straße gelernt, unter freundlicher | |
Mithilfe deutscher Rentner, die er anspricht, wenn er etwas wissen will. | |
„Wenn man Türkisch denkt und Deutsch aufschreibt, dann kommt Unsinn raus“, | |
sagt Ata über das Texten. „Wenn man auf Deutsch überlegt und auf Türkisch | |
aufschreibt, dann kommt was völlig anderes raus. Das ist wie | |
Google-Übersetzer.“ | |
## Lyrische Sprechweise | |
Da aber unterschätzt er seine eigenen lyrischen Fähigkeiten, denn sowohl | |
„Deutsche Freunde“ als auch „Warte mein Land, warte“ gelingt es, das | |
Türkische im Deutschen zu bewahren, im Schema der Reime und als lyrische | |
Sprechweise. | |
15 Jahre alt ist Ata, als er „Deutsche Freunde“ schreibt, eben von | |
Bremerhaven nach Köln umgezogen, wo er zum ersten Mal Sprüche wie | |
„Ausländer raus“ auf Häuserwänden liest. Das kennt er aus Bremerhaven | |
nicht. Auf dem Titel einer Zeitschrift der IG Metall entdeckt Ata den Satz | |
von Max Frisch. | |
Und so beginnt „Deutsche Freunde“ mit den Zeilen: „Arbeitskräfte wurden | |
gerufen. Unsere deutsche Freunde. Aber Menschen sind gekommen. Unsere | |
deutsche Freunde. Nicht Maschinen, sondern Menschen. Aber Menschen sind | |
gekommen. Unsere deutsche Freunde, Freunde, Freunde. Sie haben am Leben | |
Freude.“ | |
„Gemeint war: ‚Ihr habt am Leben Freude, aber ihr wisst ganz und gar nicht, | |
wie die Leute am Arbeitsplatz arbeiten‘“, erklärt Ata. „Ich war selbst | |
Arbeiter, ich hab auch jede Menge Drecksarbeit gemacht.“ Die Lebensfreude | |
der „deutschen Freunde“, hiermit wollte Ata die Politiker in Bonn | |
ansprechen, findet in Atas Song paradoxerweise ihren Ausdruck in einer | |
Musik, die traditionell auf anatolischen Hochzeitsfeiern gespielt wird. Es | |
ist Musik zum Tanzen und Feiern. Die einen haben es schön, die anderen | |
müssen arbeiten, „als Schweißer, als Hilfsarbeiter, als Drecks- und | |
Müllarbeiter, Stahlbau- und Bandarbeiter“. | |
## Das ist Almanya | |
Die Sehnsucht eines Gastarbeiters nach dem Land seiner Träume, der Ata nun | |
in „Warte mein Land, warte“ mit klagendem, traurigen Gesang Ausdruck | |
verleiht, bleibt ungestillt: „Warte mein Land, warte. Ich komm ganz gewiss. | |
Du bist fern und ahnst ja nicht, wie ich dich vermiss. Auch wenn man im | |
Sarg ist – ich komm ganz gewiss.“ So schlägt Ata einen Bogen von der Liebe | |
ins Politische, von der Gegenwart in die Vergangenheit, vom Leben zum Tod. | |
So spiegelt sich in der Geschichte von Ata und seiner Musik die Geschichte | |
des Einwanderungslands Almanya wider. | |
Bevor uns Ata vor zwei Jahren beim taz Lab „Warte mein Land, warte“ | |
vorspielte, erzählte er uns, auch er habe seinen Vater vor einigen Jahren | |
verloren, auch er habe den Vater „im Sarg nach Hause gebracht“. Sein Lied | |
sei allen Gastarbeitern gewidmet, „die ihr Leben hier in Deutschland und in | |
Europa verloren haben“. | |
Auf die Frage, wo er selbst denn einmal ruhen möchte, antwortet er: „Ich | |
möchte in Deutschland beerdigt werden.“ | |
27 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Musiker-ueber-deutsche-Gastarbeiterkultur/!5556325 | |
[2] http://ozanatacanani.de/ | |
[3] /Deutsch-tuerkisches-Zusammenleben/!168462/ | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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